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Kriegsverbrechen der Wagner-GruppeDie ganze Kommandokette

Ein Ex-Ausbilder der Söldner will vor dem Internationalen Strafgerichtshof aussagen. Es geht um entführte Kinder und den abgeschossenen Flug MH17.

Ehemalige Wagner-Söldner, die sich einer Einheit der Achmat-Spezialkräfte angeschlossen haben, im Oktober in der Ukraine Foto: Stanislav Krasilnikov/imago

Amsterdam taz | Erstmals ist am Montag ein russischer Militärangehöriger in die Niederlande eingereist, um sich dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Der 60-jährige Igor Salikow war ab 2014 als Oberst in der selbsternannten Volksrepublik Donezk im Einsatz. Zudem war der frühere Soldat der sowjetischen Armee auch Ausbilder bei der Söldnergruppe Wagner und kämpfte für diese in Syrien, der Ukraine und mehreren afrikanischen Ländern, wie niederländische Medien Anfang der Woche berichteten.

Für eine strafrechtliche Verfolgung des russischen Angriffs auf die Ukraine kann Salikows Aussage als sogenannter Insider-Zeuge von großer Bedeutung sein. Im März erließ der IStGH einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Putin und die Kinder-Beauftragte seiner Regierung, Marija Lwowa-Belowa. Salikow kam auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol in die Niederlande, wo er ein Video aufnahm, das auf niederländischen Websites dokumentiert wird.

Zuvor hatte Salikow, der ab 2022 sein Wissen über Kriegsverbrechen und deren Täter aufschrieb und dem IStGH eine Version dessen schickte, dem TV-Magazin „Een Vandaag“ (1V) ein Online-Interview gegeben.

Dort berichtet er unter anderem davon, er habe gesehen, wie Kinder „tagelang“ und „aus dem einen oder anderen Grund ohne ihre Eltern“ abgeführt wurden. Die Redaktion bringt diese Aussage in Verbindung mit über 6.000 entführten ukrainischen Kindern, die auf russischen Websites zur Adoption angeboten wurden.

Befehle aus dem russischen Verteidigungsministerium

Salikows Motivation sei gewesen, in der Ukraine Faschisten bekämpfen und Russland wieder stark und vereinigt machen zu wollen

Salikow behauptet in einem Schreiben an das Tribunal, die gesamte Kommandostruktur der sogenannten Volksrepublik Donezk zu kennen. Die Befehle dort seien zumeist direkt aus dem Moskauer Verteidigungsministerium und manchmal auch aus dem Kabinett Putins gekommen.

Bei illegalen Operationen seien häufig die Geheimdienste FSB und GRU beteiligt gewesen. Auf ein Konkurrenzverhältnis zwischen diesen geht laut Salikow auch der Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 2014 über der Ostukraine zurück, bei dem 289 Insassen getötet wurden.

Seine eigene Motivation betreffend sagt Salikow, er habe in der Ukraine Faschisten bekämpfen und Russland wieder „stark und vereinigt“ machen wollen. „Wir glaubten da wirklich dran. Wir glaubten, dass in der Ukraine der Nationalismus aufkam.“ Dem Menschenrechts-Aktivist Wladimir Osechkin zufolge, der Salikow unterstützt, habe dieser „auf einmal eingesehen, was die russische Armee in der Ukraine anrichte“.

Gegenüber „Een Vandaag“ berichtet Osechkin, die meisten von Salikows Aussagen seien verifiziert worden. „Dadurch wurden Orte entdeckt, an denen getötete ukrainische Bürger begraben waren, und auch Kriegsgefangene, die zu Tode gefoltert oder exekutiert wurden.“

Osechkin, der von Frankreich aus das Projekt Gulagu.Net gegen Folter und Korruption in Russland betreibt, half Salikow im vergangenen Sommer bei der Flucht aus Russland, die „komplex und riskant“ gewesen sei.

Zwischenzeitlich hielt sich der Ex-Oberst mit seiner Frau und drei Kindern auf Zypern auf. Dort allerdings, berichtet das Algemeen Dagblad, habe ihnen nicht nur das russische Konsulat Unannehmlichkeiten bereitet, sondern sie seien auch durch Autos mit verdunkelten Scheiben verfolgt worden.

In der Pressestelle des IStGH verweist man an die Anklage des Strafgerichtshofs, der bis zum Redaktionsschluss nicht auf eine Anfrage der taz antwortete. Offizielle Stellungnahmen seitens des Tribunals gibt es bislang keine. Ein Mitarbeiter von „Een Vandaag“ berichtet von der prekären Situation Salikows, der bislang weder um politisches Asyl in den Niederlanden gefragt habe noch Teil eines Zeugenschutzprogramms sei.

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5 Kommentare

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  • „Bei illegalen Operationen seien häufig die Geheimdienste FSB und GRU beteiligt gewesen. Auf ein Konkurrenzverhältnis zwischen diesen geht laut Salikow auch der Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 2014 über der Ostukraine zurück, bei dem 289 Insassen getötet wurden“



    Igor Salikows Agieren als Zeuge der Anklage ohne Verlangen nach einem Zeugenschutzprogramm und dessen Gewährung noch Antrag auf politischem Asyl in Niederlanden kann auch das Gegenteil dessen bedeuten, als das es bisher erscheint, nämlich Start einer Desinformationskampagne zugunsten russischen Präsidenten Wladimir Putin zulasten russischer Geheimdienste FSB, GRU nicht nur bei der Frage, wer Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 2014 über der Ostukraine vor internationalen Tribunalen zu verantworten hat? Denn viel Neues, dass das Tribunal nicht schon längst nach 20 Jahren dringlich eingehender Recherche dokumentiert vorliegen hat, wird Igor Salikows nicht liefern können

    • @Joachim Petrick:

      "Denn viel Neues, dass das Tribunal nicht schon längst nach 20 Jahren dringlich eingehender Recherche dokumentiert vorliegen hat, wird Igor Salikows nicht liefern können."



      Welches "Tribunal"? Es gab eine technische Untersuchung und danach einen Strafprozess in den Niederlanden.



      Die für den Abschuss konkret verantwortlichen Täter sind ja ermittelt und vor knapp zwei Jahren (mittlerweile rechtskräftig) verurteilt worden. Und die niederländischen Ermittler haben damals schon recht deutlich gemacht, dass sie die Ermittlungen gegen die Hintermänner (genauer gesagt den Hintermann) nur vorläufig eingestellt haben. U.a. wurden von den Ermittlern ein abgehörtes Telefonat zwischen Putin und der Führung der DNR veröffentlicht, das zeigt, dass Putin sich persönlich um militärische Belange der DNR-Miliz gekümmert und ihren Führern persönlich Hilfszusagen gemacht hat.



      Hier könnte Salikow tatsächlich neue Erkenntnisse zu Putins Rolle liefern.



      Das Salikow zum Schein übergelaufen ist, denke ich eher nicht. Wenn Putin überhaupt in Erwägung zieht, jemals für irgend etwas zur Verantwortung gezogen zu werden, dürfte es nicht gerade der MH17-Abschuss sein, der ihm Sorgen bereitet.

    • @Joachim Petrick:

      Medina/Yamashita Standard Putin ist verantwortlich da diese Gruppen unter seinem Befehlt stehen und vorm ICC steht er wegen der systematischen Entführung von Kindern das hat er im russischen Fernsehen zugegeben.

  • Nehmen wir mal an, dass I. Salikow klar ist, dass jeder Schritt von ihm sein letzter sein kann. Putins Schlapphüte wissen, was mit Abweichlern und Aussteigern zu tun ist, Salikows ehemaliger Chef Prigoschin bekam es zu spüren.



    Aber Salikow sollte auch klar sein, dass er sich nicht nur im eigenen Interesse vorsehen muss. Vor allem durch Zeugen wie ihm kann der Strafgerichtshof seine Aufgabe erfüllen, die Kriegsverbrechen in der Ukraine unwiderlegbar aufzuklären.

    • @Pfanni:

      Ich drücke Herrn Salikow die Daumen, dass er von uns nicht fallengelassen wird wie Snowden.



      Ich hoffe dass er mehr Schutz bekommt, und vielleicht sogar Asyl.