Kriegsführer in Äthiopien: Einst Genossen, heute Erzfeinde
Äthiopiens Regierungschef Abiy führt Krieg gegen die Region Tigray. Mit dessen Führer Debretsion verbindet ihn eine lange, wechselvolle Geschichte.
![Tigray-Führer Debretsion Gebremichael Tigray-Führer Debretsion Gebremichael](https://taz.de/picture/4516385/14/Debretsion_Abiy_-1.jpeg)
Der 70-jährige Debretsion, geboren in Shire in Tigray, schloss sich bereits in den 1970er Jahren als Student der TPLF an, damals eine Rebellenbewegung gegen die marxistisch-leninistische Regierung von Diktator Mengistu Haile Mariam. Als Technikfreak spielte er eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Apparaten, um die Kommunikation des Feindes abzuhören und dessen Radiosignale zu unterbrechen.
Der 44-jährige Abiy griff 1991 gegen dieselbe Diktatur zu den Waffen – bei der Demokratische Partei der Oromo (ODP) im Süden Äthiopiens. Die stellte aber nur etwa 200 Kämpfer in der Rebellenkoalition EPRDF (Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker) gegen Mengistu, von deren 100.000 Kämpfern ungefähr 90.000 aus Tigray stammten.
Als Mengistu 1991 aus Äthiopien floh und die EPRDF die Macht übernahm, wurde die TPLF die dominierende Partei in Äthiopiens Politik, Wirtschaft und Armee. Abiy ging zum Militär, wo viele seiner Kameraden aus Tigray kamen. Debretsion entwickelte Äthiopiens Telekommunikationsinfrastruktur und wurde im Jahr 2012 Kommunikationsminister. Abiy wurde nach seiner Karriere in der Armee im Jahr 2015 Minister für Wissenschaft und Technologie.
Drei Jahre später kandidierten Abiy und Debretsion gegeneinander innerhalb der EPRDF für die Position des Premierministers. Der TPLF-Leiter verlor. Abiy kam an die Macht.
„Du bist zu unreif“
Gegenüber der Financial Times sagte Debretsion, dass er damals Abiy gesagt habe: „Du bist zu unreif. Du bist nicht der richtige Kandidat.“ Trotzdem schienen die beiden Rivalen freundlich miteinander umzugehen. Debretsion unterstützte die Initiative von Abiy, mit Eritrea Frieden zu schließen.
Nach dem blutigen Grenzkonflikt zwischen Äthiopien und Eritrea (1998–2000) mit 70.000 Toten war zwar ein Friedensvertrag unterschrieben worden, aber wirklichen Frieden gab es nicht. Tigray grenzt an Eritrea und litt am schlimmsten unter dem Krieg. Debretsion hoffte nun, dass die geschlossene Grenze zu Eritrea sich öffnen würde, mit positiven wirtschaftlichen Folgen für Tigray. Das passierte aber nicht, die Grenze war nur kurz offen.
Der Bruch zwischen Abiy und Debretsion kam, als der Premierminister 2019 die EPRDF auflöste, die sich 1991 aus einem Rebellenbündnis in eine Regierungskoalition regional und ethnisch basierter Parteien verwandelt hatte und ganz Äthiopien fest im Griff hatte. Abiy gründete an Stelle der EPRDF die Wohlstandspartei (PP), eine nationale Partei, die eine Einheit schmieden soll aus den rund 80 verschiedenen Ethnien im Land. Die TPLF schloss sich der PP nicht an, und damit war der Bruch vollzogen.
Tigrayer fühlen sich marginalisiert
Debretsion ist ein stolzer Tigrayer und hat einmal gesagt, dass seine Region der „Mutterleib“ der äthiopischen Nation sei. Wie viele andere Tigrayer findet er, dass seine Ethnie marginalisiert ist, seit Abiy Premierminister ist. Dazu glaubt er, dass eine Föderation eine bessere Struktur ist, um Äthiopien zu regieren.
Während der EPRDF-Regierung wurde die bewaffnete Opposition im Land mit harter Hand unterdrückt, vor allem in der Somali-Region im Osten des Landes. Seit Abiy die Zügel ein wenig locker ließ, sind im ganzen Land gewaltsame Konflikte aufgeflammt. Es geht um regionale Macht, politischen Einfluss und wirtschaftliche Pfründen.
TPLF-Chef Debretsion verließ die Hauptstadt Addis Abeba und zog sich zurück nach Tigray, wo er auch Vizepäsident der Regionalregierung ist. Er hat dort den Ruf eines Reformers, weil er auch neue politische Parteien zuließ, als Tigray im September gegen den Willen der Zentralregierung Wahlen abhielt, die die TPLF gewann.
Debretsion musste Abiy gut genug kennen, um zu wissen, dass er mit dieser Herausforderung von Abyis Autorität mit dem Feuer spielte. Beide werfen sich jetzt gegenseitig vor, den Krieg angefangen zu haben. Und sicher ist, dass die beiden unversöhnlichen Haudegen nicht schnell Frieden schließen werden. Beide glauben, wie schon oft in der äthiopischen Geschichte, dass nur Waffen Konflikte lösen.
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