piwik no script img

Krieg in der UkraineEine Frage des politischen Willens

In der Ukraine ist der EU-Gipfel zu Russlands Milliarden in den Medien ein bestimmendes Thema. Die Frage ist: Werden sie die Unterstützung Kyjiws freigeben?

Kyjiw im Dezember 2025 mit Bombenschäden: Die Ukraine ist dringend auf das Geld der russischen Zentralbank in Europa angewiesen Foto: Gleb Garanich/reuters
Bernhard Clasen

Aus Kyjiw

Bernhard Clasen

In der ukrainischen Presse ist die Debatte zur Verwendung eingefrorener russischer Staatsvermögen zwecks Unterstützung der Ukraine derzeit ein Topthema. Unter dem Titel „Nationalist, Separatist, Pragmatiker. Alles über den Regierungschef Belgiens, der Gelder für die Ukraine blockiert hat“ widmet das Nachrichtenportal Ukrainska Pravda dem Politiker Bart De Wever eine längere Abhandlung.

Viel Raum in der Berichterstattung nimmt auch der Konflikt zwischen Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán und der EU am Rande des EU-Gipfels in Brüssel ein. Orban soll gesagt haben, es gebe keine ausreichende Unterstützung unter den Mitgliedstaaten für die Nutzung dieser Gelder. Die Idee, russische Vermögen zu konfiszieren und an die Ukraine weiterzuleiten, habe Orbán als „Schritt in den Krieg“ und „Weg in eine Sackgasse“ bezeichnet, berichten ukrainische Medien.

Das Thema bei der Nutzung russischer Aktiva für die Ukraine seien in erster Linie nicht juristische Hindernisse, so der Politologe Sergej Sumlenny auf dem Portal radiokhartia.com. Es gehe vielmehr darum, dass in den Ländern Europas der politische Wille fehle.

Außerdem gehe es nicht um das Vermögen russischer Oligarchen, sondern um souveräne Gelder der russischen Zentralbank. Und die wiederum sei direkt mit dem russischen Staat verbunden und somit auch für dessen Verbrechen in der Ukraine mitverantwortlich. Aus juristischer Sicht sei die Nutzung dieser Mittel möglich und mit internationalem Recht vereinbar. Sumlenny führt die Zurückhaltung vieler europäischer Regierungen auf politische Ängste vor möglichen Reaktionen Moskaus zurück.

Warnung vor gravierenden Folgen

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte unterdessen vor gravierenden Folgen, sollte die EU auf die Nutzung eingefrorener russischer Vermögen verzichten. Rund 200 Milliarden Euro dieser Gelder befinden sich innerhalb der EU. Ohne deren Einsatz gerate die Ukraine in eine deutlich schwächere Position.

Selenskyj betonte, dass jeder Krieg am Verhandlungstisch ende – dafür müsse die Ukraine jedoch stark bleiben. Eine stabile Finanzierung sei entscheidend, um Russland zu Verhandlungen zu bewegen. Ohne diese Perspektive werde Präsident Wladimir Putin weder an Diplomatie noch an Dialog interessiert sein.

„Mich interessiert diese ganze Debatte überhaupt nicht“ sagt eine Frau namens Olfa, die als Verkäüferin arbeitet. „Ich verdiene jetzt meine 500 Euro und ich werde sie auch im nächsten Monat verdienen. Ich persönlich jedenfalls werde von diesen Geldern, sollten sie jemals kommen, nichts haben.“

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • "Ohne deren Einsatz gerate die Ukraine in eine deutlich schwächere Position."

    Oder sie gerät genau deswegen noch weiter in eine schwächere Position. Die Ukraine hatte Ihren Moment der Stärke im Herbst 22. Wäre die Finanzierung nicht langfristig sicher gewesen, hätte die Ukraine vermutlich damals den Fokus auf Verhandlungen gelegt anstatt sich unrealistischen Träumereien wie z.B. Rückeroberung der Krim hinzugeben.

  • Auf Zahl gesetzt

    Inzwischen sind in Brüssel die Würfel gefallen - ohne die gewünschten Zahlen. Noch kurz zuvor hatte Merz diese Causa zum Test für „die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union“ hochgejazzt. Und Tusk warnte: Entweder die russische Knete heute oder Blut morgen.

    Beides scheint nun in die Hose gegangen. Die EU ist demzufolge nunmehr „handlungsunfähig“ und morgen werden wir alle sterben, weil die letzte Barriere gegen „den Russen“ gefallen ist, wie 1945 über Europa herzufallen.

    Das kommt davon, wenn man in der (großen wie der kleinen) Politik nur auf Zahl setzt und unfähig ist, Gegner und Widerstände nüchtern komplex zu analysieren und eine Scheitern zu antizipieren.

    „Politik ist die Kunst des Möglichen“ (Otto von Bismarck) und kein Wunschkonzert. Alles oder nichts war nie ein taugliches Credo für rationale und erfolgversprechende Politik.

    Wenn nun stattdessen ein „Kredit“ von 90 Mrd. € aus dem Hut gezaubert wird, stellt sich natürlich die Frage, warum nicht gleich so, und nach den nunmehrigen Sicherheiten, wenn das russische Guthaben dafür nunmehr nicht zur Verfügung steht.

  • Selenskyi hat es auf den Punkt gebracht. Wladimir wird nur „auf Augenhöhe“ verhandeln, wenn er weiß, das er nicht „auf Zeit spielen kann“. Den Kremlkönig interessieren weder juristische Details, noch politische Angsthasen. Höchstens als Einladung den Druck zu erhöhen. Jetzt rächt es sich, massiv dass Europa auf den Weg zu mehr gemeinsamer Staatlichkeit leider nicht wirklich vorangekommen ist. Wären wir da weiter, käme niemand auf die Idee die Europäer bei irgendwelchen Verhandlungen an den “Katzentisch“ verbannen zu wollen.

    • @vieldenker:

      So schön Verhandlungen auf Augenhöhe auch klingen mag: sind sie schon mal auf die Idee gekommen, dass Verhandlungen auf Augenhöhe von Anfang ein unrealistisches Ziel gewesen sein könnten?



      In den meisten internationalen Verhandlungen zwischen Ländern ist diese Augenhöhe nicht gegeben, weil ein Land mächtiger ist als ein anderes.



      Gerne gebe ich Ihnen ein einfach Beispiel. Wenn z.B. Portugal mit dem Land Sao Tome & Principe über etwas verhandelt ist Portugal immer in der stärkeren Position.



      Fair ist das natürlich nicht.