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Krieg in der UkraineEine höllische Nacht

Die schwersten russischen Luftangriffe seit Monaten treffen Ziele im ganzen Land, sogar weit im Westen. Ein Anruf von Scholz sorgt für scharfe Kritik.

Der Morgen danach: Ein Mann trägt sein Hab und Gut aus seinem Haus in Odessa, das von russischen Raketen zerstört wurde Foto: Nina Liashonok/reuters

Berlin taz | Mit den größten Luftangriffen auf die Ukraine seit langer Zeit hat Russland in der Nacht zum Sonntag seinen Kriegskurs bekräftigt. Pünktlich zum Wintereinbruch kam die Energie-Infrastruktur des ganzen Landes unter Beschuss. Nach Angaben des Energieversorgers DTEK musste in Kyjiw wegen der Angriffe der Strom abgeschaltet werden. Auch in den Regionen Donezk und Dnipropetrowsk im Osten des Landes fiel der Strom aus, ebenso in Odessa am Schwarzen Meer. Die ukrainische Luftwaffe sprach von einer „höllischen Nacht“.

Das russische Verteidigungsministerium bestätigte, man habe „wesentliche Energie-In­fra­struktur, die den ukrainischen militärisch-industriellen Komplex unterstützt“, angegriffen. Alle Ziele seien getroffen worden. Durch die Angriffe wurde in der Ukraine nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj bereits die Hälfte der Kapazitäten zur Energieproduktion zerstört. Nach ukrainischen Angaben feuerte Russland insgesamt 120 Raketen und 90 Drohnen auf das Land ab. Die ukrainische Abwehr habe 102 der Raketen und 42 der Drohnen abgeschossen. Auch F16-Kampfjets kamen auf ukrainischer Seite zum Einsatz.

Die Angriffswelle erfolgte wenige Tage nach dem ersten Anruf des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz beim russischen Präsidenten Wladimir Putin seit zwei Jahren. Das Telefonat am Freitag, in dem Scholz Putin zum Rückzug seiner Truppen aus der Ukraine aufgefordert haben soll, war auf scharfe Kritik gestoßen. Präsident Selenskyj hatte gesagt, Scholz habe ihn zwar vorab über das Telefonat informiert, aber mit dem Anruf „die Büchse der Pandora“ geöffnet, indem er die westliche Isolation Putins durchbrochen habe. „Das ist genau, was Putin seit Langem anstrebt. Es ist für ihn von kritischer Bedeutung, seine und Russlands Isolation zu schwächen und Gespräche zu führen, die zu nichts führen.“ In einem Interview führte Selenskyj am Samstag aus, die Ukraine müsse im kommenden Jahr „alles tun, um den Krieg mit diplomatischen Mitteln zu beenden“. Dafür sei eine Aufrechterhaltung der westlichen Unterstützung nötig.

Telefondiplomatie kann reale Unterstützung der Ukraine nicht ersetzen

Donald Tusk, Ministerpräsident Polens

Die massiven russischen Angriffe seien die „wahre Antwort“ Putins auf die westliche Telefondiplomatie, erklärte am Sonntag das ukrainische Außenministerium. Polens Ministerpräsident Donald Tusk zog ebenfalls diese Verbindung: „Niemand wird Putin mit Telefonaten aufhalten. Der Angriff der vergangenen Nacht, einer der größten dieses Krieges, hat bewiesen, dass Telefondiplomatie die reale Unterstützung der Ukraine durch den gesamten Westen nicht ersetzen kann“, sagte er. „Die kommenden Wochen werden entscheidend sein, nicht nur für den Krieg, sondern für unsere Zukunft.“

Polen hält sich bereit, auf eine mögliche Ausweitung der russischen Angriffe zu reagieren. „Einsätze von polnischen und von alliierten Flugzeugen in unserem Luftraum haben begonnen“, erklärte die polnische Armee am Sonntagmorgen. Zudem seien „alle nötigen Kräfte“ zur Verteidigung des eigenen Staatsterritoriums mobilisiert worden. Grund seien „massive“ russische Angriffe unter anderem auf die Westukraine „mit Marschflugkörpern, ballistischen Raketen und Drohnen“. Bombardiert wurde sogar das westukrainische Transkarpatien an der Grenze zu Ungarn.

An der Kriegsfront im Osten der Ukraine setzt Russland derweil seine Vorstöße fort. Russische Einheiten sind nach der Stadt Torezk auch in das Zentrum der Stadt Tschassiw Jar vorgerückt, bestätigte das US-amerikanische Institute for the Study of War am Wochenende. (mit afp, rtr)

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3 Kommentare

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  • "Niemand wird Putin mit Telefonaten aufhalten." - so ist es.

    Das Telefonat des Kanzlers war schon Wahlkampf. Scholz wollte klarmachen, dass man nichts erreicht, wenn man bei Putin anruft. Das Signal geht an diejenigen, die meinen, es wäre ja soooo einfach, diesen Krieg per Verhandlung zu beenden ...

  • Scholz ist nicht schuld an dem Raketen-Angriff, wenn, dann ist Friedrich Merz schuld. Er sagte nämlich der FAZ vor 3 Tagen die Bedingungen, unter denen er den Taurus liefern würde: Wenn die Bombardements so weiter gehen.

    siehe www.faz.net/aktuel...ern-110045273.html

    Jetzt eskaliert Moskau prompt! Putin will ganz superoffensichtlich wissen, ob Worte von Herrn Merz zählen.

    Und daher müssen sich Merzes politische Absprachen mit Scholz jetzt schleunigst hinbewegen zu einer Ausfuhrgenehmigung im Rahmen der Unterstützung der Ukraine. Merzes Bedingungen hat der Raketenangriff übererfüllt!

  • Scholz sollte nun entweder den Taurus liefern oder zurücktreten.

    Gerade jetzt fehlt Selenskijs Truppen das Gerät zur Antwort auf Putins ZERSTÖRUNGskrieg - "Angriffskrieg" war gestern, jetzt ist nur noch Mordlust hinter Russlands Präsidentenschreibtisch.

    Putin ist einfach ein schlecht erzogener Bengel, der seine Macht zum Kriegspielen missbraucht. Den Haag muss ihn wohl nach Jugendstrafrecht behandeln, wenn's mal zu 'nem Kriegsverbrecherprozess kommen sollte :-(