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Krieg in der UkraineTodesängste im Korridor

Die ukrainische Hauptstadt Kyjiw und andere Landesteile sind erneut Ziel russischer Angriffe. Die Lage im AKW Saporischschja soll fragil sein.

Die Hauptstadt Kyjiw nach russischen Angriffen Ende Dezember Foto: Nicolas Cleuet/Le Pictorium/Zuma Press/dpa

Kyjiw taz | Der Mittwoch hatte gerade erst begonnen, da heulten in Kyjiw die Sirenen auf. Nichts Ungewöhnliches, dachten sich viele, das hatte es in den vergangenen Wochen öfter gegeben und am Ende war die Hauptstadt im Gegensatz zu anderen Städten in der Ukraine doch wieder einmal verschont geblieben.

Dieses Mal erzitterte der Boden mehrmals zwischen sieben und acht Uhr morgens. Kaum jemand hatte die Chance, einen Schutzraum aufzusuchen, also griff die von den Behörden für den Ernstfall empfohlene „Zwei-Wände-Regel“. Sie besagt, dass man bei Luftalarm zwei Wände, eine davon fensterlos, zwischen sich und draußen haben sollte. Das ist nur im Gang, im Bad und der Toilette der Fall.

„Ich hätte es wissen müssen“, klagt die 77-jährige Nadja, die nach dem ersten Einschlag zitternd den Gang aufgesucht hatte. An einer Stelle ist die Wand so dick, dass der Mobilfunkempfang nicht funktioniert. Dort wartet sie immer auf Entwarnung, wenn die Stadt mit Raketen und „Mopeds“, wie die Drohnen genannt werden, beschossen wird.

„Mein Telegram-Kanal hatte mich vor Raketen am Morgen gewarnt. Aber ich habe gedacht, es würde nicht Kyjiw treffen.“ Zudem hielten sich der Chef der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), Rafael Grossi und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in der Stadt auf. „Auf die würden die Russen ja wohl nicht schießen.“ Insgesamt kamen bei den Angriffen auf Kyjiw mindestens vier Menschen ums Leben, 40 Personen wurden verletzt. Ziel von Angriffen waren auch andere Städte – darunter Mikolajiw, Charkiw sowie das Gebiet Lwiw.

Größtes AKW in Europa

Foto: Valentyn Ogirenko/reuters

IAEO-Chef Rafael Grossi dürfte zum Zeitpunkt des Angriffs Kyjiw schon in Richtung Enerhodar verlassen haben. Dort befindet sich das von russischen Truppen besetzte AKW Saporischschja. Es ist das größte AKW in Europa.

Dort sei die Lage, so Grossi am Dienstag vor Journalisten, „sehr fragil“. Insbesondere beunruhige ihn, dass die russische Verwaltung des besetzten AKWs seit dem 1. Februar Angestellten, die sich weigerten, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen und für die russische Betreiberfirma zu arbeiten, den Zugang zum Kraftwerk verwehre. Insgesamt, so der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko, gehe es um 400 lizensierte Mitarbeiter des AKW.

Es liege auf der Hand, dass diejenigen, die dieses Personal ersetzen würden, keine Lizenz hätten. Das werde die Arbeit beeinträchtigen, folglich auch den Betrieb dieser Anlage sowie die nukleare Sicherheit im Allgemeinen beeinträchtigen, sagte Haluschtschenko. Nach Angaben der IAEO arbeiten derzeit 4.500 Personen im AKW. Vor dem Krieg waren es 11.500.

Laut Grossi sei auch die externe Stromversorgung der sechs Reaktoren ein Problem. Acht Mal sei diese unterbrochen gewesen und das Kraftwerk nur mit Dieselgeneratoren betrieben worden. Der Zustand der Brennstäbe sei bedenklich. Deren sechsjährige Laufzeit werde demnächst enden. Die wichtigsten Fragen im AKW Saporischschja beträfen die technische Bewertung des Zustands des Kernbrennstoffs in den Reaktoren und die Frage des Personals, so Grossi.

Eigene Besonderheiten

„Die Frage der Entsorgung von Brennelementen haben wir bei unserem Treffen mit dem Minister und Vorstandsvorsitzenden von Energoatom, Petro Kotin, erörtert. Dieses Thema wird bei meinen Gesprächen mit der Kraftwerksleitung und der russischen Führung in Moskau an erster Stelle stehen“, sagte Grossi.

Er betonte, dass jeder Kraftwerksblock seine eigenen Besonderheiten und Laufzeiten des eingesetzten Brennstoffes habe.„Wir werden unsererseits auf einer möglichst gründlichen Bewertung des technischen Zustands bestehen“, sagte der IAEO-Generaldirektor.

Seit 2016 werden im AKW Saporischschja neben Brennstäben aus russischer Produktion auch Brennstäbe von der US-Firma Westinghouse, dem weltweit größten Hersteller von Kernbrennstoffen, eingesetzt.

Seit September 2022 ist ständig ein Expertenteam der IAEO im AKW vor Ort präsent. Kommende Woche wird Grossi nach Russland reisen. Oberste Priorität bei seinen Gesprächen in Moskau, so Grossi in Kyjiw, habe die Frage der Laufzeit der Brennstäbe.

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5 Kommentare

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  • Mir machen langsam die Atomkraftwerke in Russland Sorgen, selbst Roskosmos schickt Soldaten, und auch in der Rüstungsindustrie wurden Leute teilweise eingezogen, warum sollte also vor Mitarbeitern in Atomkraftwerken halt gemacht werden? Oder Aufbereitungsanlagen etc. dazu kommen jene die sich freiwillig melden wegen der besseren Bezahlung oder das Land verlassen. Wir sehen ja jetzt schon einen graduellen Kollaps der russischen Infrastruktur weil Geld und Leute fehlen wenn sich das noch verschärft wie lange dauert es bis in irgendeinem russischen Atomkraftwerk was schief geht weil Mitarbeiter fehlen oder zu alt sind? Oder weil bei der Wartung gespart wurde?

  • Leider wiederholen sich die schlimmen Meldungen ja fast täglich.



    Nach fast 2 Jahren Krieg wissen wir ja inzwischen, dass die Ukraine aus bekannten plausiblen Gründen (nukleare Eskalation, Zusammenbruch von Russland usw) vermutlich auch in Zukunft nicht die Waffen erhalten wird, die es brauchen würde, um zumindestens eine theoretische Chance auf einen Sieg zu haben.



    Vielleicht sollte man sich früher oder später auch mit anderen Optionen auseinander setzen. Leider wird die Lage für die Ukraine ja mit der Zeit nicht besser wie das letzte Jahr deutlich gezeigt hat.



    Und es besteht durchaus dir realistische Gefahr, dass die Lage noch ungünstiger wird. Erschwerend kommt hinzu das Russland auch seit einem Jahr keine Zeichen gibt, die als ernsthaftes Interesse bzgl Verhandlungen gedeutet werden könnten.



    Den betroffenen Menschen bleibt wohl erstmal nur zu wünschen übrig, dass es kein böses "Erwachen" gibt.

    • @Alexander Schulz:

      Wenn es weder militärisch noch diplomatisch eine Lösung gibt, ist die Lösung nach Deutschland zu ziehen. Ganz einfach. Die meisten Ukrainer sind gut ausgebildet, klar initial wird das richtig teuer für Deutschland und wird bestehende Probleme verschärfen. Hätte man halt mit Weitsicht im Februar 22 die Rüstungsproduktion hochgefahren wären wir nicht in der Lage. Jetzt ist das die beste Option für die Ukrainer. Außer jenen die Guerillakrieg führen wollen ist meine Empfehlung an jeden Ukrainer nach Westen zu ziehen wenn der Westen nicht die Unterstützung hochfährt. Deutschland sollte dann bei Ukrainer schnell die Staatsbürgerschaft verteilen dann wird auch die AFD geschwächt.

    • @Alexander Schulz:

      "Vielleicht sollte man sich früher oder später auch mit anderen Optionen auseinander setzen."



      Ja, z.B. eine Frist für den Abzug russischen Militärs aus dem AKW setzen und zugleich Sanktionen gegen den russischen Nuklearsektor ankündigen, die mit Ablauf der Frist in Kraft treten, wenn die Demilitarisierung, Übergabe der Aufsicht an die IAEO und die Rückkehr des ukrainischen Personals nicht erfolgt ist.

      • @Barbara Falk:

        Auch auf die Gefahr hin, dass Sie mir wieder Sympathien für Putins verbrecherisches Regime vorwerfen, muss ich Ihnen wiedersprechen.



        Ja, in der Theorie klingt ihr Vorschlag interessant, aber in der Praxis ist er vollkommen unrealistisch.



        Über die Hälfte des Urans für die EU kommt aus Russland bzw Ländern, die unter seinem Einfluss steht.

        www.tagesschau.de/...-russland-100.html

        Auch muss berücksichtigen, dass der Hauptteil der benötigen Brennstäbe aus dem uran in Russland hergestellt wird und viele Reaktortypen (siehe zb Slowakei gar nicht mit amerikanischen funktionieren).

        Selbst wenn Amerika wollen würde könnte es Russland Exporte gar nicht ersetzen.

        Ferner gibt es auch Länder wie Frankreich, die trotz des russischen Angriffskrieges die Zusammenarbeit auf nuklearer Ebene sogar ausgebaut haben.

        Ich möchte dafür werben nicht nur Fakten mehr in Diskussionen zu berücksichtigen, sondern auch andere Blickwinkel versuchen zu verstehen (zb den französischen).