piwik no script img

Krieg in der UkraineKonflikt ums kleine Korn

Russland setzt seine Attacken auf ukrainische Hafenstädte fort. Zugleich gehen die Bemühungen weiter, das Getreideabkommen zu retten.

Wieder hat es Odessa getroffen: Zerstörtes Gebäude nach russischen Angriffen am Donnerstag Foto: Libkos/ap

Berlin taz | Ein Schiff mit Rapssaat war das letzte, das am vergangenen Sonntag den Hafen der süd­ukrai­ni­schen Stadt Odessa im Rahmen der Schwarzmeer-Getreide-Initiative verlassen hatte. Die Schiffsbewegungen, die auf einer UN-Webseite zu sehen sind, stehen seither komplett still. Fortan gelten für Moskau jegliche Schiffe, die in den betroffenen Gebieten des Schwarzen Meers – im vereinbarten humanitären Korridor – unterwegs sind und ukrainische Häfen anlaufen, als mögliche Gegner.

Das russische Verteidigungsministerium hat sie am Donnerstag als „potenzielle Träger militärischer Fracht“ eingestuft. „Diese Erklärung steht im Zusammenhang mit der Beendigung des Deals“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Und: Es gäbe keinen Zusammenhang zwischen dem jüngsten Anschlag auf der Krim-Brücke. Die ukrainische Regierung hat erklärt, seinen Deal mit der Vereinten Nationen und der Türkei weiter erfüllen zu wollen – selbst wenn Moskau beim seit Juli 2022 geltenden Getreidedeal nicht mehr dabei ist.

Auch seit Donnerstag hat Moskau nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums keine Vertreter im Istanbuler Kontrollzentrum mehr. Eine offizielle Bestätigung seitens der russischen Regierung über den Abzug des russischen Personals aus Istanbul blieb zunächst aus. Laut der türkischen öffentlich-rechtlichen Hörfunk- und Fernsehanstalt TRT bemüht sich Ankara weiterhin um eine Einigung und eine Wiederbelebung des Getreidedeals, denn die Türkei sehe „keine Alternative zum Getreidekorridor“. In diesem Sinne werden diesbezüglich weitere Konsultationen mit allen Parteien aktuell geführt, so TRT.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Mittwoch bereits verkündet, beim Getreidedeal mit UN und Türkei wieder mit einzusteigen. Unter der Voraussetzung, dass die russischen Bedingungen dann erfüllt seien. Aus Moskauer Sicht hätten westliche Staaten die zugesicherten Erleichterungen für russische Dünge- und Nahrungsmittelexporte nicht ausreichend umgesetzt.

60.000 Tonnen vernichtetes Getreide

Auch im Juli 2022 schlossen die UN und Russland ein Memorandum ab, in dem die UN Moskau ihre Unterstützung bei der Ausfuhr von Agrargütern und Dünger versprachen. Laut den UN ist das Memorandum weiter in Kraft. Während der Umsetzung des einjährigen Getreideabkommens wurden nach Angaben der UN und Ankara mehr als 33 Millionen Tonnen landwirtschaftlicher Güter von ukrainischen Häfen in 45 Länder exportiert. Über 1.000 Schiffe waren an der Ausfuhr beteiligt.

Verstärkte Bemühungen für Getreideexporte aus der Ukraine kündigte die deutsche Außenministerin Annalena Baer­bock am Donnerstag bei einem EU-Außenministertreffen in Brüssel an. „Wir arbeiten mit allen Partnern international zusammen, damit das Getreide in der Ukraine jetzt in den nächsten Wochen nicht in den Silos verrottet, sondern zu den Menschen auf der Welt kommt, die es dringend brauchen“, sagte die Grünen-Politikerin. Alternative Verkehrsrouten, wie etwa die Binnenhäfen in der Donau, wurden bereits kurz nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs benutzt.

Derweil hat Russland in der dritten Nacht in Folge Angriffe auf die Schwarzmeerstadt Odessa verübt. Wieder schlugen Raketen ein, dabei starben mindestens zwei Menschen. Bei den Attacken in der Nacht zuvor waren bereits mehrere Getreide- und Ölterminals des Hafens zerstört worden. Laut Sprecher der ukrainischen Militärverwaltung wurden dadurch 60.000 Tonnen Getreide vernichtet. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, verurteilte die Angriffe auf Getreidelager.

Ebenfalls in der Nacht zum Donnerstag wurde die Hafenstadt Mykolajiw, circa 150 Kilometer östlich von Odessa und 60 Kilometer der umkämpften Stadt Cherson, angegriffen. Die süd­ukrai­nische Stadt steht aufgrund ihrer strategischen Lage seit einem Jahr quasi unter Dauerbeschuss, auch wegen ihrer Schlüsselrolle in der Getreideproduktion. Ziel der Raketenangriffe sind zum Teil die Lagertanks für Sonnenblumenöl. In Mykolajiw sollen auch „Treibstoff-Infrastrukturanlagen und Munitionslager“ der ukrainischen Streitkräfte zerstört worden sein, so das russisch-amerikanische Medienportal currenttime.tv.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Auch Russland verfügt über große Mengen Getreide, obwohl es kein Embargo gibt, verkauft Russland kein Getreide. Außerdem exportiert die Ukraine etwa 750.000 Tonnen Getreide in die ärmsten Länder der Welt, China – 8 Millionen Tonnen und Spanien – 6 Millionen Tonnen. Ratet mal, warum Spanien nur eine Inflation von 1,6 % und Deutschland über 6,4 % hat?

  • Ich finde die russischen Attacken unentschuldbar und verurteile sie scharf.



    Trotzdem finde ich es befremdlich, dass Russland teilweise für eine Verschärfung des Welthungers verantwortlich gemacht wird. Nahrung gibt es genug auf der Welt, letztendlich ist alles nur eine Frage der Kosten.

    Der Westen hat die Ukraine im ersten Jahr mit 140 Milliarden Euro unterstützt. Zur Bekämpfung des Welthungers fehlen 14 Milliarden.

    m.focus.de/finanze..._id_187057719.html

    www.berliner-zeitu...e-hunger-li.111170

    Passt da wirklich die Verhältnismäßigkeit?

    Ich weiß, dass das Thema Welthunger für viele Menschen bei uns sehr abstrakt ist, da man sich daran gewöhnt hat. Aber wenn man sieht was für Mittel für den Krieg in der Ukraine bereitgestellt werden hoffe ich, dass es zumindestens ein wenig zum Nachdenken anregt. Eine Welt ohne Hunger wäre so einfach finanzierbar...

  • Ich finde die russischen Attacken unentschuldbar und verurteile sie scharf.



    Trotzdem finde ich es befremdlich, dass Russland teilweise für eine Verschärfung des Welthungers verantwortlich gemacht wird. Nahrung gibt es genug auf der Welt, letztendlich ist alles nur eine Frage der Kosten.

    Der Westen hat die Ukraine im ersten Jahr mit 140 Milliarden Euro unterstützt. Zur Bekämpfung des Welthungers fehlen 14 Milliarden.

    m.focus.de/finanze..._id_187057719.html

    www.berliner-zeitu...e-hunger-li.111170

    Passt da wirklich die Verhältnismäßigkeit?

    Ich weiß, dass das Thema Welthunger für viele Menschen bei uns sehr abstrakt ist, da man sich daran gewöhnt hat. Aber wenn man sieht was für Mittel für den Krieg in der Ukraine bereitgestellt werden hoffe ich, dass es zumindestens ein wenig zum Nachdenken anregt. Eine Welt ohne Hunger wäre so einfach finanzierbar...

  • "Fortan gelten für Moskau jegliche Schiffe, die in den betroffenen Gebieten des Schwarzen Meers – im vereinbarten humanitären Korridor – unterwegs sind und ukrainische Häfen anlaufen, als mögliche Gegner."



    Was nichts anderes als Piraterie bedeutet. Warum nennt das keiner so?



    Am Horn von Afrika gibt's das auch. Der einzige Unterschied ist die Zielsetzung, nämlich Eroberung und Beute versus Zerstörung.