Krieg in der Ukraine: Im Dienste des Kreml
Russlands politische Elite schert sich nicht mehr darum, wie der Westen sie wahrnimmt. Ein Blick in die Gesichter der russischen Macht.
Sie pöbeln, beleidigen, hetzen. „Wir sind, wie wir sind, und zeigen es auch“, das scheint nun die Haltung zu sein. Ihre Sprache ist ähnlich verroht wie das politische System des Landes. Der einstige Witz des Außenministers Sergei Lawrow ist genauso verschwunden wie die Freiheit aus den Reden des ehemaligen Präsidenten Dmitri Medwedew. Ein Blick in die Gesichter der russischen Macht
Der Anti-Diplomat
Wie ein eitler Gekränkter hatte Sergei Lawrow kürzlich das Treffen der Außenminister*innen der G20-Staaten auf Bali verlassen. So manche Diplomat*innen hatten demonstrativ einen Bogen um den 72-Jährigen gemacht. Der einst geschätzte russische Chefdiplomat beklagte sich darüber, dass auf Bali lediglich über „Russlands angebliche Verbrechen“ gesprochen werde – und zog von dannen, ohne sich weitere Reden anzuhören.
Bereits einen Monat zuvor schäumte er, weil „Undenkbares“ passiert sei. Das „Undenkbare“ war nach Lawrow natürlich nicht der Krieg in der Ukraine, das „Undenkbare“ war für ihn die Luftraumsperre für seinen Besuch in Serbien. Der Moskauer war am Boden geblieben, hatte der Nato und der EU „niederträchtige Methoden“ vorgeworfen und sich darüber beschwert, dass der Westen Russland wieder einmal das Recht nehme, die eigenen Interessen zu verteidigen.
Lawrow, seit 2004 auf seinem Posten, hat stets die Vorstellung Russlands als Imperium vertreten. Seine harte Rhetorik galt bei Diplomat*innen in der ganzen Welt als legendär. Seinen Witz aber hat er über die Jahre verloren, oder er hat ihn bewusst aufgegeben. Was für ihn zählt, sind nur noch die Machtinteressen Russlands.
Der Hobbyruderer ist das Spiegelbild russischer Außenpolitik. Nach seinem Studium am Moskauer Institut für Internationale Beziehungen, der Kaderschmiede für Diplomaten, arbeitete er bereits als 22-Jähriger an der sowjetischen Botschaft in Sri Lanka, bis er nach einigen Jahren in Moskau zur UN-Vertretung in New York wechselte. Hier zeigte er sich selbstbewusst und scherzte gern. Bei einer Sitzung soll er auf einem Zettel das Wortspiel gekritzelt haben: „Diplomacy – deep, low, messy“ (Diplomatie – unergründlich, heruntergekommen, chaotisch). Als der BBC-Korrespondent Steve Rosenberg ihn im Juni bei einem Interview auf das Tun russischer Soldaten in der Ukraine ansprach, schaute der Anti-Diplomat fast schon diabolisch in die Kamera und sagte unbeirrt, ja stolz: „Russland ist, was es ist. Und wir schämen uns nicht zu zeigen, wer wir sind.“
Die Einpeitscherin
Sie kocht gern und postet dazu bei Instagram – in Russland als „extremistisch“ eingestuft – ihre Lieblingsrezepte. Amerikanische Suppe, Carpaccio, mexikanischer Salat – die ganze Welt findet Platz am Küchentisch von Margarita Simonjan. Doch mit der Welt hat die 42-jährige Chefin des russischen Auslandssenders RT ein Hühnchen zu rupfen. Vor allem mit dem Westen, und dort in erster Linie mit den USA.
Amerika, wo sie als Jugendliche ein Austauschjahr in New Hampshire verbrachte, sei schuld am Übel in der Welt. Das Land, das in ihren Augen jedem anderen Land Dinge aufzuzwingen versuche, die es nicht brauche, pflege selbst keine Werte, sagt sie bei jedem ihrer Auftritte. Weil Propaganda-Politshows seit Februar um ein Vielfaches zugenommen haben, ist Simonjan nun Dauergast im Staatsfernsehen. Und ihre Sicht der Dinge lässt sie auch bei RT verbreiten und nennt es „alternativer Blick zum westlichen Mainstream“.
Simonjan wurde im südrussischen Krasnodar als Tochter armenischer Eltern geboren. Immer wieder verweist sie auf ihre ärmliche Herkunft. In der Schule bekam sie Bestnoten, studierte Journalismus und wurde durch die Berichterstattung über die Geiselnahme von Beslan 2004 bekannt, bei deren Erstürmung durch russische Einsatzkräfte mehr als 300 Menschen starben. Simonjan stieg schnell auf, wurde mit 25 Jahren zur Chefin von RT ernannt, später auch zur Chefredakteurin des staatlichen Medienunternehmens Rossija Sewodnja.
Mit mehr als 2.000 Mitarbeiter*innen verbreitete RT jahrelang Nachrichten in Englisch, Arabisch, Französisch, Spanisch und Deutsch. Simonjan sieht den Sender als „Verteidigungsministerium“ samt Mediensoldaten, bereit für einen Krieg. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat die EU Sendeverbot für RT erteilt. Simonjan poltert und sieht die Pressefreiheit bedroht. Für Russland fordert die Einpeitscherin, die Putin als „Woschd“ (Führer) bezeichnet – wie Stalin –, hingegen, das Verbot der Zensur aus der Verfassung zu streichen. „Ohne die Kontrolle über Informationen kann ein großer Staat nicht existieren“, sagt sie und hat, nicht zuletzt durch ihre derben Sprüche, eine große Fangemeinde.
Der Sprecher
Die „Spezialoperation“ stifte „Frieden“ in der Ukraine, der Westen müsse Russland Schadensersatz wegen der verhängten Sanktionen zahlen, überhaupt müssten die USA der ganzen Welt Kompensationen wegen des Coronavirus zahlen, und für die ukrainischen Kriegsgefangenen – auch wenn offiziell gar kein Krieg herrscht – müsse die Todesstrafe her. Wenn der Duma-Sprecher Wjatscheslaw Wolodin seine Positionen zum Besten gibt, klingt er noch konservativer und autokratischer als Wladimir Putin.
Der Ultrapatriot versteht es bestens, die Wünsche des Präsidenten zu erraten, und versucht, diesem durch seine abgeklärten Auftritte zu gefallen. Wolodin, sagen manche, sei kein Mensch, sondern ein Bioroboter, der die Launen des Präsidenten riechen könne. Der aus der Region Saratow an der Wolga stammende Mechaniker, der später als Jurist promovierte, machte seine ersten politischen Schritte in der KPdSU. Später war er Vizepremier unter Putin, wechselte unter Dmitri Medwedew in die Präsidialverwaltung und blieb dort, als Putin wieder Präsident wurde. Wohl unwillig wurde er 2016 zum Vorsitzenden des russischen Parlaments ernannt. Hier lässt er seine Untergebenen einen Eid auf sich ablegen und handelt nach dem Motto: „Ich bin der Chef, du bist der Dumme.“
Vor Putin agiert er ähnlich: „Du bist der Chef, ich bin der Dumme“, und beweist so seine absolute Ergebenheit. „Ohne Putin kein Russland“, sagte der heute 58-Jährige 2014 – und 2020: „Nach Putin kommt Putin.“
Der Musterschüler
Kaum war die Nachricht um die Trennung von seiner Ehefrau aufgetaucht, stellte sich Dmitri Medwedew vor die Kameras und erklärte: „Ich gratuliere dir, Swetlana, zu diesem Feiertag der Familie, der Liebe, der Treue.“ Es war ein Feiertag, den Russland erst kürzlich erschaffen hatte, um die „Werte der Familie“ zu stärken – und gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen zu agitieren. Medwedews Frau Swetlana, steif neben ihm stehend, lächelte kurz, nickte noch kürzer, fertig war der Videoclip, der dem ehemaligen russischen Präsidenten und langjährigen russischen Premier lediglich Häme einbrachte. Da war er wieder, mehr Lachnummer als Staatsmann.
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Medwedew hat es nie geschafft, aus dem Schatten seines politischen Ziehvaters Wladimir Putin zu treten. Mit dem Ausspruch „Freiheit ist besser als Unfreiheit“ versuchte er sich ab 2008 als liberaler Nachfolger Putins, samt dem „Neustart“ in den russisch-amerikanischen Beziehungen, einem „Europa von Lissabon bis Wladiwostok“ und schaffte ein gewisses politisches Tauwetter, auch wenn der zweite Prozess gegen den einstigen Öl-Tycoon Michail Chodorkowski und auch der Fünftagekrieg gegen Georgien in seine Amtszeit fiel.
Das Experiment Medwedew brach Putin mit der Rochade von 2011 ab. Zuletzt war der unterwürfige 56-Jährige auf dem extra für ihn geschaffenen Posten des Vize-Vorsitzenden des Sicherheitsrates (Vorsitzender ist Putin) von der Bildfläche verschwunden. Mitsamt Russlands „militärischer Spezialoperation“ tauchte er nach dem 24. Februar gewandelt auf: als scharfzüngiger Kriegstreiber, musterschülerhaft wie eh und je. In seinem Telegram-Kanal lästert, pöbelt und beleidigt er. Er ist ein digitaler Testballon, wenn es um die Wiedereinführung der Todesstrafe geht, um Strafen für „Verräter“ (Menschen, die Russland kritisieren), um die Beurteilung westlicher Sanktionen. Der einstige Hoffnungsträger ist längst zu einem Hetzer geworden. Er will nicht nur Putin zeigen, dass es ihn noch gibt. Sondern sich selbst beweisen, wie wichtig er noch ist.
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