Krieg in der Ukraine: „Klare Worte sind wichtig“
Der Krieg beschäftigt auch die Schulen. Die Berliner Lehrerin Maria Mutjewa macht derzeit „kollegiale Erstberatungen“ an den Schulen.
taz: Frau Mutjewa, Sie sind eine der Referent*innen, die derzeit im Auftrag der Bildungsverwaltung Schulen beraten, wie sie mit dem Ukrainekrieg umgehen können – mit Fragen der Kinder, mit geflüchteten Kindern, die nun in die Schulen kommen werden. Sie unterrichten selbst an einer Lichtenberger Schule: Auf welche Fragen brauchen Schulen jetzt Antworten?
Maria Mutjewa: Der Krieg hat uns überrollt, niemand war auf eine solche Situation vorbereitet. Die Konzepte sind noch im Entstehen. Deshalb ist es gut, dass jetzt relativ schnell Strukturen dafür aufgebaut werden. In der Verwaltung gibt es eine Fachgruppe, die dazu eine Strategie entwickelt, da bin ich involviert.
Maria Mutjewa, in Russland geboren, lebte in der Ukraine und ist seit 20 Jahren in Berlin. Die promovierte Soziologin unterrichtet an einer Lichtenberger Sekundarschule Geschichte, Politik und Russisch. Sie ist Mitglied der NGO Deutsch-Russischer Austausch, wo sie ein Freiwilligenprogramm für junge Menschen aus Russland, Ukraine und Belarus koordinierte, und Mitgründerin von Karussell, einem Verein für bilinguale Bildung (russisch-deutsch) in Berlin.
Worüber sprechen Sie da?
Es geht zum einen um die Fortbildung von Lehrkräften, zum anderen um die emotionalen Bedürfnisse der Kinder. Es wird ein Pool von Referent*innen aufgebaut, die Workshops für Lehrkräfte und Erzieher*innen an Schulen geben können. Die Fachgruppe Gesellschaftswissenschaften hat bereits eine Sammlung mit Unterrichtsmaterial erstellt. Es wird zudem eine komplette Fortbildungsreihe ausgearbeitet: Da geht es um Traumapädagogik und Konfliktmanagement – das wird wichtig werden, wenn geflüchtete Schüler*innen in Klassen kommen, wo es russischstämmige Kinder gibt.
Was raten Sie den Lehrkräften konkret?
540 Willkommensklassen gibt es aktuell an den Schulen. 6.000 Kinder und Jugendliche sollen dort in erster Linie Deutsch lernen, um danach in reguläre Klassen wechseln zu können. Ab 2015/16, als vor allem viele syrische Geflüchtete nach Berlin kamen, hatte Berlin zeitweise mehr als 12.000 Kinder in über 1.000 Willkommensklassen.
50 Willkommensklassen für Jugendliche an den beruflichen Schulen will die Bildungsverwaltung „zeitnah" einrichten, sagte ein Sprecher. Weitere Klassen auch für jüngere Altersgruppen sollen folgen. Ein Problem bliebe die Frage nach Unterrichtsräumen und der bundesweite Personalmangel von Lehrkräften. Bestehende Willkommensklassen seien bereits „recht gut ausgelastet", so der Sprecher. Eine Lerngruppe soll in der Regel nicht mehr als 12 Schüler*innen haben. (akl)
Ich habe bisher eine Fortbildung gegeben. Da ging es vor allem darum, wie man den Unterricht nutzt, um sich mit Fragen der Kinder und Jugendlichen zum Krieg auseinanderzusetzen. Bei den Älteren hat man ja Fächer wie Politik und Ethik. Aber in den Grundschulen gibt es manchmal Verunsicherung, wie man mit jüngeren Kindern den Krieg thematisieren kann – und ob man das überhaupt tun sollte.
Sollte man?
Ich glaube, es ist wichtig, nichts zu verschweigen, denn dadurch entwickeln sich Ängste erst recht. Klare Worte sind wichtig. Es muss erstens darum gehen, den Kindern zu vermitteln: Es gibt eine Lösung für diesen schlimmen Konflikt, und die Erwachsenen werden es schaffen, diese Lösung zu finden. Und, zweitens, den Kindern durch Projekte und Aktionen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit zu geben.
Was meinen Sie damit?
Zum Beispiel Spenden sammeln, für den Frieden singen oder Antikriegsplakate malen. An meiner Schule haben sich die Kinder zu einem großen Peace-Zeichen auf dem Schulhof aufgestellt, eine Drohne hat davon Luftbilder gemacht. Ich selbst habe in einer 9. Klasse darüber gesprochen, welche innenpolitischen Mechanismen es in Deutschland gibt, damit die demokratischen Strukturen stabil bleiben.
Maria Mutjewa, Lehrerin
Erleben Sie, dass der Krieg russischstämmige Familien in Berlin spaltet?
Viele aus der liberalen russischen Community hatten wohl unterschätzt, wie wirksam die russische Propaganda in großen Teilen der russischstämmigen Bevölkerung war und ist. Das spiegelt sich auch hier wider – insbesondere in Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf, wo viele russischstämmige Familien wohnen. Seit Beginn des Krieges versuche ich in russischsprachigen sozialen Medien Hilfsangebote zu vernetzen und zu informieren – über die Solidaritätsaktionen und Demonstrationen hier. Dafür ernte ich aus Russland auch viel Hass. In Berlin stehen aber viele russische und ukrainische Bürger*innen jetzt zusammen.
Tragen die Kinder auch politische Konflikte von zu Hause in die Schule?
Ich erzähle Ihnen ein reales Beispiel: In einer Unterrichtstunde von mir saßen drei Kinder aus russischstämmigen Familien, die quasi die Propaganda des russischen Außenministers wiedergegeben haben: von der Nato, die sich auf Kosten Russlands nach Osten erweitern wolle etc. Sie haben zwar gesagt, sie seien natürlich auch gegen Krieg – dann kam das „Aber“. Dabei haben sie gar nicht gemerkt, dass ein Mädchen angefangen hatte zu weinen. Deren Mutter kommt aus der Ukraine, die Großmutter ist dort in einem umkämpften Gebiet. An solchen Punkten hört die Diskussion auf. Da muss ich als Lehrerin Schutzräume für das Kind schaffen.
Gibt es für die Aufgaben, die jetzt auf die Schulen zukommen, genug Personal?
Es müssen jetzt zwei Dinge ermittelt werden: Wie viele schulpflichtige Kinder aus der Ukraine sind hier offiziell registriert, und wo sind diese Kinder? Viele Familien haben sich bisher gar nicht registriert, weil ihr Status als Geflüchtete zunächst unklar war. Dann versucht die Bildungsverwaltung herauszufinden, wie viele russisch- und ukrainischsprachige Lehrkräfte in Berlin eine Ausbildung für Deutsch als Zweitsprache haben. Aber selbst wenn man Personal finden sollte, was angesichts des ohnehin schon vorhandenen Lehrermangels nicht einfach sein dürfte: Die Räume in den Schulen fehlen, und die bestehenden Willkommensklassen sind schon ausgelastet.
2015, als Willkommensklassen für syrische Kinder aufgemacht wurden, war eine Kritik: Der Job in den Willkommensklassen ist unattraktiv, weil schlechter bezahlt, und grundsätzlich gibt es nur befristete Einjahresverträge.
Ja, das ist leider häufig der Fall. Und zugleich ist der Job in der Willkommensklasse alles andere als ein einfacher, da sind häufig Kinder, die traumatisiert sind von dem, was sie erlebt haben, oder wenig Schulbildung erfahren haben.
Aber ist es nicht die Hauptsache, die Kinder in die Schulen zu bekommen – ihnen überhaupt ein Angebot zu machen?
Das stimmt. Ich sage nur: Es gibt kaum noch Ressourcen in dem knapp ausgestatteten System Schule für diese neue Herausforderung, die eine Menge schwierige Konflikte mitbringen könnte. Ich sehe aber auch: Die Bildungsverwaltung arbeitet in dieser Krisensituation hart und ist bemüht, Lösungen zu finden – etwa indem man auch Lehrkräfte unter den Geflüchteten ansprechen will. Wichtig wird auch sein, ob es im Doppelhaushalt, der ja noch verabschiedet werden muss, genügend Mittel für die Schulen gibt, um diese Herausforderungen zu meistern.
Es gibt auch Kritik an den Willkommensklassen, manche finden, sie behindere eher Integration. Was denken Sie?
Da kommt es auf das Kind und die Schule an. Da ist vielleicht der Jugendliche aus einer ukrainischen Großstadt, der Englisch spricht, super in Naturwissenschaften ist und schon ein bisschen Deutsch kann, besser in einer normalen Klasse aufgehoben mit noch ein paar Extra-Deutschstunden am Nachmittag. Und dann gibt es vielleicht den – für den wäre eine Willkommensklasse besser. Aber ich fürchte, die Schulämter werden nicht so viel Ressourcen und Zeit haben, individuell zu entscheiden.
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