Krieg in Nahost: Forderungen nach Waffenruhe
Waffenstillstand oder israelische Bodenoffensive? Israels Kriegsführung im Libanon ist undurchsichtig. Währenddessen fliehen Tausende aus dem Süden.
Ungeachtet dessen setzte die israelische Armee ihre Angriffe am Donnerstag fort. Bei einem Luftangriff auf eine Unterkunft syrische Arbeiter nahe der Stadt Baalbek wurden am Donnerstag nach Behördenangaben 20 Menschen getötet, davon 19 Syrer*innen. Die ganze Nacht über sei nach Überlebenden gegraben worden.
Seit mehreren Tagen greift das israelische Militär massiv im Libanon an. Auch im dicht besiedelten Wohngebiet Dahijeh in der Hauptstadt Beirut. Die israelische Regierung legitimiert ihre Angriffe damit, gegen die Kämpfer und Kommandeure der schiitischen Hisbollah vorgehen zu wollen. Nach libanesischen Behördenangaben wurden seit Montag mehr als 630 Menschen im Libanon getötet, mehr als 2.000 verwundet. Ein Viertel der Getöteten seien Frauen und Kinder, so das libanesische Gesundheitsministerium.
Am Mittwoch vergangener Woche hatte der israelische Verteidigungsminister eine zweite Front gegen den Libanon angekündigt. Israel hat die Zahl der Luftangriffe seitdem massiv verstärkt. Die Hisbollah ihrerseits intensivierte den Raketenbeschuss auf Israel. Vor zwei Tagen traf eine Rakete erstmals die Stadt Haifa im Landesinneren.
Kreis um Netanjahu dämpfte Hoffnungen
Eine Waffenruhe sei in Sicht, berichteten Medien am Donnerstag. Die USA arbeiten an einem Vorschlag für einen vorübergehenden Waffenstillstand sowohl im Libanon als auch in Gaza. Das berichtete die Nachrichtenagentur Reuters sowie die israelische Medienagentur Walla mit Verweis auf hochrangige amerikanische und israelische Beamte.
Netanjahus Büro dämpfte daraufhin die Hoffnungen. Auf den Vorschlag für ein Abkommen mit der Hisbollah habe der Regierungschef nicht reagiert, hieß es in einer Mitteilung. Der israelische Außenminister Katz sagte, Israel werde weiter „mit aller Kraft bis zum Sieg“ kämpfen.
Die nächsten 24 Stunden seien entscheidend für eine diplomatische Lösung zwischen Israel und der Hisbollah, sagte der libanesische Parlamentssprecher, Nabih Berri, am Mittwoch der arabischen Tageszeitung Asharq al-Awsat. Berri ist Chef der schiitischen Amal-Partei und mit der Hisbollah verbündet. Er ist quasi Vermittler und politischer Ansprechpartner für westliche Diplomatie mit der Hisbollah. Diese hatte zuvor immer wieder betont, den Raketenbeschuss auf Israel erst einzustellen, wenn es einen Waffenstillstand in Gaza gebe.
Gefragt, ob die Hisbollah nun doch die Trennung der militärischen Fronten akzeptieren könnte, antwortete der Parlamentspräsident: „Die Bemühungen konzentrieren sich darauf, beide Dossiers nicht zu trennen.“ Er verwies auf die Vereinbarungen, die mit dem US-Gesandten Amos Hochstein während seiner Besuche im Libanon vor dem 7. Oktober getroffen wurden. Details zu dem zurzeit diskutierten Entwurf nannte Berri nicht.
Gazakrieg beeinflusse Lage im Libanon
Hochstein hatte 2022 ein Abkommen über die Seegrenze zwischen Libanon und Israel verhandelt. Danach sollte ein Abkommen über die Landgrenze folgen – das seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober auf Eis liegt.
Katar, die USA und Ägypten versuchen seit Monaten, Israel und die Hamas zu einer Einigung zu bewegen. Die Diplomaten gehen davon aus, dass ein Ende des Kriegs in Gaza auch den Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon beruhigt.
Ein israelischer Vermittler sagte gegenüber der taz, er habe die Bestätigung der Hamas, dass diese alle Geiseln sofort freilasse, sollte Netanjahu einer endgültigen Waffenruhe zustimmen. Ein israelischer Verhandlungsführer habe ihm aber gesagt, dass Netanjahu nicht an einer Einigung interessiert sei, so Gershon Baskin.
Durch die fast täglichen gegenseitigen Luftangriffe zwischen Hisbollah-Kämpfern und dem israelischen Militär waren seit dem 8. Oktober rund 63.0000 Menschen auf israelischer Seite und rund 110.000 Menschen auf libanesischer Seite aus ihren Häusern geflüchtet. „Unser schlimmster Albtraum ist wahr geworden“, sagt Jennifer Moorehead, Länderdirektorin der Organisation Save the Children im Libanon.
Flucht in Notunterkünfte
„Dicht besiedelte Wohngebiete wurden bombardiert. Es gibt Angriffe in dutzenden Städten. Familien packen zusammen, was sie tragen können, und flüchten. Kinder weinen und sind verängstigt vom Geräusch der Drohnen und Kampfjets, die über ihre Köpfe hinwegfliegen.“
Diese Woche sind durch die verstärkten israelischen Angriffe rund 90.000 Menschen im Libanon zusätzlich vertrieben worden, das meldeten die UN am Mittwoch. Noch immer gebe es einen großen Zustrom aus dem Süden. Die Menschen finden Schutz in eilig eingerichteten Notunterkünften wie Kirchen oder Schulen.
Die Organisation Save the Children schätzt, dass rund 1,5 Millionen Kinder von Schulschließungen betroffen sind. Die genaue Zahl der Binnenvertriebenen im Libanon lässt sich derzeit schwer ermitteln. Viele Menschen sind zu Verwandten geflüchtet, andere schlafen auf den Straßen, in Parks oder an Häusereingängen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern