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Krieg in Nahost„Israels Regierung blufft“

Eine Bodenoffensive bringt überhaupt nichts, meint Yagil Levy, Soziologie der Offenen Universität Israel. Das israelische Truppenaufgebot hält er für eine Drohung.

Zigtausende Reservisten sind mobilisiert worden: israelischer Panzer in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen. Bild: dpa
Interview von Susanne Knaul und Susanne Knaul

taz: Herr Levy, Israels Verteidigungsminister Ehud Barak erklärte gleich zu Beginn der Gaza-Operation, dass die israelische Armee fast alle Fadschr-Raketen zerstört hat. Trotzdem dauern die Angriffe auf Tel Aviv an. Lügt Barak – oder wusste er es nicht besser?

Yagil Levy: Die Raketen, die auf Tel Aviv abgeschossen werden, sind nicht zwingend Fadschr-Raketen, sondern andere Modelle, die noch nicht komplett vernichtet wurden.

Was könnte Israel mit einer Invasion in Gaza erreichen?

Eine Bodenoffensive bringt überhaupt nichts. Mit dem Einmarsch von Fußsoldaten kann nichts erreicht werden, was die bisherigen Angriffe nicht schon erledigt hätten. Ich halte das Truppenaufgebot für nichts anderes als eine Drohung. Die Regierung blufft.

Das kostet sie viel Geld. Zigtausende Reservisten sind mobilisiert worden. Wozu diese ungeheure Zahl?

Um den Bluff überzeugender zu machen. Sehen Sie sich einen Vergleich an: Bei der letzten Offensive vor vier Jahren sind rund 10.000 wehrpflichtige Soldaten mobilisiert worden. Diesmal sind 75.000 Soldaten an die Front gerufen worden. Wir können davon ausgehen, dass es hier um eine Machtdemonstration geht, die die andere Seite dazu bewegen soll, möglichst schnell klein beizugeben.

Yagil Levy

ist Professor am Institut für Soziologie der Offenen Universität Israel und beschäftigt sich unter anderem mit der Empfindlichkeit liberaler Demokratien für Kollateralschäden.

Angenommen, die Regierung entscheidet sich für die Bodenoffensive. Was könnte das Ziel eines solchen Krieges sein?

Das einzige Ziel ist, Tod und Zerstörung im Gazastreifen zu verbreiten, um so die Verhandlungsposition Israels gegenüber der Hamas zu stärken und diese so dazu zu bringen, zu tun, was Barak forderte. Die Hamas soll auf den Knien um einen Waffenstillstand betteln. Eine solche Operation hat kein konkretes, erreichbares Ziel. Man muss sich nur den früheren Krieg ansehen, der nichts anderes brachte als zahlreiche Tote und der uns im Anschluss den „Goldstone-Bericht“ der UN-Bericht zu Kriegsverbrechen in Gaza bescherte.

Glauben Sie, dass 75.000 israelische Soldaten ein guter Grund für die Hamas sind, sich vor einem eventuellen Sturz zu fürchten?

Dass 75.000 Soldaten mobilisiert wurden, bedeutet nicht, dass sie alle nach Gaza geschickt werden. Ein Teil wird Israels Grenzen bewachen müssen, vor allem die Grenzen nach Ägypten. Davon abgesehen muss sich die militärische Hamasführung nicht fürchten. Sie wird genau das tun, was sie beim letzten Mal getan hat, nämlich abtauchen, was zur Folge hatte, dass die Armee nicht die Hamasaktivisten tötete, sondern unschuldige Zivilisten.

Wie sehen Sie die Entwicklungen in den kommenden Tagen?

Meiner Meinung nach werden die Verhandlungen, die Israel mit Vermittlung der Ägypter und vielleicht der Europäer indirekt mit der Hamas führt, einen Waffenstillstand ergeben, der uns mehr oder weniger die Situation bringt, die schon vor Beginn der Operation bestand. Einziger Unterschied ist vielleicht ein Legitimitätszuwachs für die Hamas – und damit die Möglichkeit besserer Absprachen an den Grenzübergängen.

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12 Kommentare

 / 
  • KS
    Kritische Stimme

    Palestinenser+Hamas koennen nur gewinnen bei diesem Konflikt,weil sie sonst untergehen durch die einseitige Ignoranz der westlichen Medien+Politiker.EU ist hier Hauptschuldiger weil man toleriert dass ein ganzes Volk gefangen gehalten wird,von der Aussenwelt isoliert,und regelmaessig kollektief bestraft.Zugleicherzeit wird Israel belohnt mit Handelsvertraegen,Subventionen+gratis Waffen um die Palestinen noch mehr zu unterdruecken.Der Kampf ist einer von Pfeil+Bogen gegen Hightechwaffen.Israel verliert weltweit viel Sympathie

  • RD
    Rainbow Dash

    Der Vergleich mit dem letzten Gaza-Krieg hinkt, denn inzwischen ist die Hamas zur diktatorischen Regierungsmacht in Gaza aufgestiegen - und damit agieren auch die Mehrheit ihrer Funktionäre, Kommandanten und Soldaten im offenen. Es ist davon auszugehen, dass Israel ein stabiles Netz von Agenten und Informanten in Gaza hat und damit auch ein recht genaues Bild von den Strukturen der Hamas-Herrschaft. Das hat der IDF ja einige zielgenaue Schläge gegen führende Köpfe der Hamas in den letzten Tagen ermöglicht.

    Im Falle einer Bodenoffensive ist davon auszugehen, dass Israels Militär sehr genau weiss, wen sie ausschalten muss, um die Hamas auf Jahre hinaus handlungsunfähig zu machen.

    Von daher ist das Turppenaufgebot in diesem Fall wohl doch mehr als ein Bluff, sondern die Bodenoffensive ein sehr realistischer "Plan B", dem Israel aber die Verhandlungen mit der Hamas vorzieht - auch auf Druck der Weltöffentlichkeit, die bei weitem nicht primär die Sorge um die zivilen Opfer einer solchen Eskalation umtreiben, sondern die erstaunlich (oder bedauernswert) viele Sympathien mit einer faschistischen Partei wie der Hamas hat.

  • T
    Tillmann

    Was leider nicht in den Nachrichten so recht herüberkommt, ist die Tatsache, dass die Palästinenser mit „Knallfröschen“ schießen und die Israelis mit Bomben zurückschlagen.

  • V
    vic

    @ R.J,

    beide surfen momentan auf Ihrer Schleimspur um Netanjahu herum. Wenn sie da mal nicht ausrutschen.

  • P
    Philip

    Zur ersten Frage siehe auch diesen Artikel in der NY Times:

    http://goo.gl/hIcG4

  • TH
    Thomas H

    WAFFENSTILLSTAND STEHT!

     

    Die Waffenruhe tritt heute Abend (Dienstag, 20.11.2012) um 20:00 Uhr Ortszeit in Kraft, so in Kairo ausgehandelt, zwischen Israel, Hamas und Islamic Jihad.

     

    Lasst uns über alle trennenden Ansichten und Meinungen hinweg gemeinsam hoffen, dass dieser Waffenstillstand auch so zustande kommt und dauerhaft hält!

  • M
    max

    @ Harald:

    Nur um mal alle Fakten der angeblichen nachträglichen Neubewertung des Goldstone-Berichts zu nennen:

     

    "Die drei Mitautoren des Goldstone-Berichts Hina Jilani, Christine Chinkin und Desmond Travers distanzierten sich scharf von der Neubewertung der Vorfälle durch Goldstone. Sie urteilen, dass sich an den Ergebnissen des Berichtes nichts verändert habe und vermuteten in Goldstones Neubewertung das Ergebnis von politischem Druck. "(Quelle: Wikipedia)

  • R
    R.J

    „Israels Regierung blufft“

    mag sein,

    aber Andrea Merkel und Guido Westerwelle nicht,

    und das ist schlimm.

  • V
    vic

    "Eine Bodenoffensive bringt überhaupt nichts, meint Yagil Levy, außer zahlreichen Toten"

    Mehr soll sie auch nicht bringen, meine ich.

  • U
    Ute

    Ob Netanjahu blufft weiß man nicht.

     

    Wohl aber, die Zuschreibung, es gäbe Politiker, die unberechenbar seien,

    dürfte eher auf ihn zutreffen als auf irgendeinen Ajatollah.

    Es ist aber auch egal ob er blufft.

     

    Zu hoffen bleibt, das Abbas den UN-Gang nicht abbricht.

  • S
    saalbert

    "Eine Bodenoffensive bringt überhaupt nichts, meint Yagil Levy, Soziologie der Offenen Universität Israel. Das israelische Truppenaufgebot hält er für eine Drohung." - Dass es sich um eine Drohnung handelt, ist klar, vielleicht auch um eine Be-drohung. Aber wenn, wie Levy meint, dass die Regierung "blufft", würde es sich um eine leere Drohung handeln. Dass sich die isrealische Regierung Späße dieser Art erlauben würde, ist aus der Geschichte jedoch nicht bekannt und auch wohl nicht belegbar. (Und vielleicht ist Levy auch nicht "Soziologie", sondern lediglich Soziologe.)

  • H
    Harald

    Goldstone-Bericht:

     

    Der südafrikanische Vorsitzende der Kommission des UN-Menschenrechtsrats, die im Jahr 2009 den Gazakrieg untersuchte, hatte sich zuvor in der Zeitung „Washington Post“ von dem Bericht distanziert, der Israel der Kriegsverbrechen verdächtigt hatte.

     

    „Wenn ich gewusst hätte, was ich jetzt weiß, wäre der Goldstone-Bericht ein anderes Dokument gewesen“, schrieb er.

     

    Anders als seine Kommission Israel vorgeworfen hatte, habe die israelische Armee nicht absichtlich und systematisch Zivilisten in Gaza angegriffen. Die Hamas habe dagegen ihre Raketen mit Absicht und ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung in Israel abgefeuert.

     

    http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/gaza-krieg-netanjahu-goldstone-bericht-zurueckziehen-1624399.html