Krieg in Äthiopien: Addis Abeba im Visier der Rebellen
Äthiopiens Regierung verhängt Ausnahmezustand, Addis Abebas Bevölkerung ist zur Verteidigung aufgerufen. Tigrays Rebellen drohen mit Einmarsch.
Zuvor hatten die Behörden von Addis Abeba die fünf Millionen Einwohner der Stadt dazu aufgefordert, sich auf die Verteidigung der Hauptstadt vorzubereiten. Alle Bewohner sollten innerhalb von zwei Tagen ihre Waffen registrieren und sich dann „in ihrem Quartier versammeln und ihre Umgebung sichern“, so eine von äthiopischen Medien verbreitete Bekanntmachung der Stadtverwaltung. In ganz Addis Abeba würden Straßensperren errichtet.
Eine von der Stadt eingerichtete „Joint Task Force“ warnte in einer weiteren Erklärung, „Terrorunterstützer und Fanatiker“ würden sich zusammenschließen und Häuser mieten; sie würden außerdem planen, sich in Uniformen der staatlichen Sicherheitskräfte zu verkleiden, um „die Öffentlichkeit zu verwirren und kriminelle Aktivitäten zu begehen“. Die Bevölkerung solle solche „Fanatiker“ melden.
Tigrayer in der Hauptstadt sind nach Angaben von Menschenrechtsgruppen in großer Zahl verhaftet und verschleppt worden, als mutmaßliche fünfte Kolonne des Feindes. Unbestätigten Berichten zufolge erarbeiten ausländische Botschaften in Addis Abeba bereits Evakuierungspläne. Die Stadt beherbergt unter anderem den Sitz der Afrikanischen Union (AU).
Teile von Amhara und Afar erobert
Seit einem Jahr herrscht in Äthiopien Krieg zwischen der Zentralregierung und der in Tigray regierenden TPLF (Tigray-Volksbefreiungsfront). Die war seit 1991 jahrzehntelang in Äthiopien die dominante Regierungspartnerin, aber der 2018 eingesetzte Reformpremier Abiy Ahmed brach mit ihr und bekämpft sie seit November 2020 als „terroristische Organisation“. Anfängliche Erfolge waren aber von kurzer Dauer, denn ohne TPLF ist Äthiopiens Armee kaum kampffähig.
Bis zum Bruch stellte die TPLF den Großteil der Führungsebene von Äthiopiens Armee und kontrollierte die wichtigsten Rüstungsbestände des äthiopischen Militärs – damit kämpft sie nun auf eigene Faust. Sie genießt auch offenbar die Unterstützung ihrer Heimatregion, die einer Blockade der Zentralregierung unterworfen ist.
Die Tigray-Rebellen haben in den vergangenen Wochen von Tigray aus Teile der Nachbarregionen Amhara und Afar erobert und sich mit einer weiteren historischen Rebellenbewegung verbündet, der OLF (Oromo-Befreiungsfront), deren bewaffneter Arm OLA (Oromo-Befreiungsarmee) Teile der zentraläthiopischen Region Oromia rings um Addis Abeba kontrolliert.
Am vergangenen Wochenende rückte die TPLF in die strategisch wichtigen Großstädte Dessie und Kombolcha ein, deren Kontrolle ihnen den Weg nach Addis Abeba knapp 400 Kilometer weiter südlich öffnen würde. Die Städte bleiben umkämpft, aber die Rebellen meldeten am Montag und Dienstag weitere Geländegewinne.
Abiy Ahmed schwört Bevölkerung auf Krieg ein
Am Montag sagte TPLF-Sprecher Getachew Reda gegenüber Reuters: „Wenn unsere Ziele es erfordern, dass wir nach Addis Abeba marschieren, werden wir das tun.“ OLA-Kommandeur Jaal Marroo sagte in einem BBC-Interview, der Krieg sei fast vorbei und der Einmarsch in Addis Abeba sei „eine Sache von Tagen oder Wochen“.
Der bedrängte äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed schwor die Bevölkerung am Montagabend auf Krieg ein. „Die Herausforderungen sind zahlreich, aber ich kann euch mit Sicherheit sagen, dass wir einen totalen Sieg davontragen werden“, gab die Nachrichtenagentur AFP seine Rede wieder. Die äthiopische Zeitung Addis Standard zitierte ihn mit der Behauptung, die TPLF bekomme Unterstützung von „schwarzen und weißen“ Ausländern und „die Regierung war nicht auf die menschliche Welle vorbereitet“.
Bereits am Sonntag hatte Abiy Ahmed als Reaktion auf die jüngsten Niederlagen an der Kriegsfront die Bevölkerung dazu aufgerufen, sich „mit allen legalen Mitteln und mit allen Waffen und Fähigkeiten“ zu organisieren, um „die terroristische TPLF abzuwehren, zurückzuschlagen und zu begraben“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass