Krieg im Kongo: Ein klein wenig Gerechtigkeit
Die Offensive gegen die ruandischen FDLR-Milizen im Osten des Landes zeigt Erfolge. Zerstört ist die Miliz, wenn fünf Generäle ausgeschaltet sind.
GOMA taz | Im Innenhof des Militärgerichts in der ostkongolesischen Provinzhauptstadt Goma riecht es nach Urin und Marihuana. Fast hundert Soldaten lungern zwischen kaputten Fahrzeugen herum. Es ist Zahltag. Endlich, nach drei Monaten ohne Sold. Die Stimmung ist aufgebracht.
Hauptmann Sumaili Makelele lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Gelassen sitzt er in seinem Büro vor einem Stapel bunter Aktenordner voller handgeschriebener Dokumente: Zeugenaussagen, Urteile, Klageschriften. Eine davon ist die von Hauptmann Seraphin Lionceau. Der FDLR-Offizier war der kongolesischen Armee vergangene Woche in der Kleinstadt Kitchanga, 90 Kilometer nördlich von Goma, ins Netz gegangen.
Seit zwei Wochen nun führt Kongos Armee (FARDC) Militäroperationen gegen die ruandischen Hutu-Rebellen FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) durch, die sich seit 20 Jahren in Kongos Dschungel verstecken, um gegen die Regierung in ihrer Heimat zu kämpfen. Dabei begehen sie immer wieder Verbrechen an Kongos Bevölkerung.
Darunter auch die Massenvergewaltigungen in Luvungi und weiteren Dörfern im Gebiet Walikale Ende Juli 2010. Insgesamt 387 Menschen wurden in vier Tagen vergewaltigt, darunter 300 Frauen, 23 Männer, 55 Mädchen und 9 Jungen. Das älteste Opfer war 79 Jahre, das jüngste gerade einmal 2 Jahre alt. Es war eines der größten Menschenrechtsverbrechen der jüngsten Geschichte. Die Ermittlungen zogen sich Jahre hin, aus Sicherheitsgründen. Die Sachlage war komplex: Drei Milizen und Kongos Armee hatten sich nahe Luvungi um eine Goldmine gestritten und waren an Vergewaltigungen beteiligt.
Letztlich hatte die Militärstaatsanwaltschaft in Goma acht Haftbefehle ausgestellt, die der taz vorliegen, darunter gegen FDLR-Hauptmann Lionceau. Ab Ende der Woche muss er jetzt vor dem Militärgericht in Goma Rede und Antwort stehen, versichert zumindest Hauptmann Makelele.
Tot und lebendig
Der FDLR-Offizier ist der höchstrangige Gefangene. Insgesamt seien 97 FDLR-Soldaten dingfest gemacht worden, tot und lebendig, bestätigt Armeesprecher Leon Richard Kasonga der taz. „Die Operationen verlaufen sehr gut, wir haben die Kapazitäten und die Erfahrung, die FDLR zu zerstören“, sagt er. Dann rasselt er Namen von Dörfern im Dschungel und in den Bergen herunter, die die Armee von FDLR-Kämpfern befreit hat. Auch 60 FDLR-Frauen und Kinder seien „befreit“ und an das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR übergeben worden, um sie nach Ruanda zu bringen.
Kongos Armee steht unter enormem Druck. Vergangenen Donnerstag nahm sie zwei FDLR-Basen ein. Beide Quartiere waren jedoch leer, die Kommandanten längst geflohen. Doch die FDLR ist erst zerstört, wenn die fünf wichtigen Generäle ausgeschaltet sind. Allen voran FDLR-Militärchef Sylvestre Mudacumura, der vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gesucht wird. Hauptmann Lionceau ist dagegen nur ein kleiner Fisch.
Doch immerhin. An der Ernsthaftigkeit der Operationen haben bislang alle gezweifelt. Die UN-Mission im Kongo hatte zusammen mit Kongos Armee einen Operationsplan ausbaldowert. Doch der wurde dann von Kongos Präsident Joseph Kabila in die Tonne getreten. Er bestand darauf, dass seine Armee die Federführung übernimmt, nicht die UN-Blauhelme. Die FARDC-Kommandanten an der Spitze der Operationen haben jedoch laut UN-Ermittlungen Dreck am Stecken von vergangenen Operationen. Die UN kann laut ihren eigenen Regeln nicht mit ihnen zusammenarbeiten.
Es muss schnell gehen, bevor Kongos marode Armee wieder an sich selbst scheitert und die Kampfhandlungen wegen Nachschubproblemen im Chaos enden. Die Verhaftung von Lionceau ist ein kleiner Erfolg. Denn nach über vier Jahren haben die vergewaltigten Frauen jetzt eine Chance auf Gerechtigkeit. Noch nie wurde die FDLR für die Verbrechen verurteilt, die sie an den Kongolesen verübt hat. Das könnte der erste Fall sein.
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