Krieg, Terror und Journalismus: Halle, Hass und Erdoğan
Keine Woche ist wie die andere – und selten ist eine so beschissen, wie die vergangene. Ein Rückblick auf irrsinnige sieben Tage.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Die Auswahl an geeigneten Antworten auf diese Frage.
Und was wird besser in dieser?
Der Zwischenruf „Halt die Fresse“ gegen Störer bei der Schweigeminute für die Opfer in Halle.
Türkische Truppen marschieren im Norden Syriens ein und die üblichen Verdächtigen wie Medico International protestieren. Dazu gibt es noch einen offenen Brief von Künstlern und Journalisten, die zur Solidarität mit Rojava aufrufen. Juckt das Erdoğan überhaupt?
Nein.
Annegret Kramp-Karrenbauer sprach nach dem Anschlag in Halle lediglich von einem „Alarmzeichen“. Hat die CDU-Parteivorsitzende eventuell den Schuss nicht gehört?
Korrekt. Wer im Moment von Schock und jäher Trauer gelassen das etymologische Wörterbuch konsultiert, liest: „all`arme“, zu den Waffen; und dieser Ruf liegt vor dem Schuss – nicht wie hier: dahinter. Auch Seehotte Hofer rumpumpelte von „Lackmustest“. Die rhetorischen Platzpatronen „unschuldige Menschen“ (Heiko Maass) und „sinnlos getötet“ (AKK) waren wieder mit dabei. Semantisch ein klares Plädoyer, schuldige Menschen sinnvoll zu töten. Die Ehrennadel für versehentliches Kollateralgoebbeln jedoch geht an eine Video-Unterzeile der Bild: „Weil Stefan B. an der Synagoge keinen Erfolg hatte, erschoss er wahllos …“ Kein Erfolg. Ach so. Wohlfeil, vom sortierten Schreibtisch aus in Aufwallung Erbrochenes feinzuwägen. Soweit jedoch das Gesprochene Gedachtes enthielt, macht es aber schon Angst.
Das ZDF schaltete den AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen im „Morgenmagazin“ zu, um über Antisemitismus und Halle zu sprechen. Warum machen die das?
Warum schaltete man grüne Politiker, wenn es bei Anti-AKW-Demos zu Gewaltausbrüchen kam? Weil das Journalismus ist. Oder doch werden könnte. Renate Künast und Volker Beck, die gegen die redaktionelle Entscheidung des ZDF twitterten, mögen sich daran noch erinnern. Michel Friedman hatte tags zuvor die AfD der „geistigen Brandstiftung“ geziehen. In der gleichen Ausgabe des „Moma“ präparierte Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, den „sekundären Antisemitismus der AfD“ präzise heraus. Nur im Interview selbst dann verliebte sich der Moderator suizidal in ein Höcke-Zitat von Wölfen, Hämmern, Ambossen und irgendwas mit Hitler, wofür er sich die Erstohrfeige „Was hat das mit Halle zu tun?“ von Meuthen abholte. Der schwärmte von seiner Rassenbande als „pro-israelisch“, man habe „ganz viele“ jüdische Mitglieder und gar eine „jüdische Gruppe“. Informierte Nachhaken wie „Wie viele jüdische Mitglieder genau, bitte?“ und „Was sagen die zu Halle?“ blieben aus. Oder: „Umvolkung, Massenmigration – warum teilen Sie Vokabeln mit dem Mörder von Halle?“ Oder „Beschneidung, Schächtung – warum will die AfD das verbieten?“ Stattdessen kotaute das Eis in der Unterwerfungswendung des Moderators: „Wir werfen Ihnen persönlich diese Formulierung gar nicht vor.“ Was man im Sportstudio nochmal als Zeitlupe wiederholen kann: Hau dir einen Elfer über 90 Meter rücklings ins eigene Tor. Also – es ist noch schlimmer. Die müssen das nicht nur machen – die müssten das sogar gut machen.
Laut „report München“ wurden 87 Prozent aller weiblichen Bundestagsabgeordneten bereits Ziel von Hass und Bedrohung im Netz. Männer raus?
Aus Umfragen offenbar. Report München befragte alle 221 weiblichen Bundestagsabgeordneten, 77 antworteten. Die Schlagzeile „Hass und Bedrohung gegen weibliche Abgeordnete“ konnte man also schon vor Stattfinden der Umfrage bereitlegen.
Die Turteltaube wurde zum Vogel des Jahres 2020 ernannt. Was sagt uns das über Deutschland?
Dass uns die gebratenen Täubchen auch nicht mehr in den Mund fliegen. In Europa ist der Bestand um zwei Drittel, in Deutschland um 80 Prozent zurückgegangen. Jeweils seit neulich. Ursache: industrielle Landwirtschaft und Waidmannsheil in Spanien, Italien, Malta. Unter Tauben kein Geheimnis, dass die Turtelmenschen aussterben.
Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr an Äthiopiens Premier. Ihre Prognose für 2020: Thunberg oder Merkel?
Trump will auch noch einen. Thunberg erspart die diesjährige Wahl ein Schicksal als 18-jährige Rentnerin. Merkel hat schon geliefert, oft zielt die Jury eher auf Ermutigung denn auf Honoratiorenbelohnung. Also: ein aktiver Ausgleichspolitiker wie Abiy Ahmed – nach vorne geschaut eine gute Wahl.
Die Bundespressekonferenz wird 70. Ihre Frage an die Bundeskanzlerin?
„Würden Sie durch ein vielsagendes Schweigen einräumen, dass der Laden hier ohne Tilo Jung im Gestern stecken geblieben wäre?“
Und was machen die Borussen?
Spielfrei. Die esoterische Version des Unentschiedens.
Fragen: Simon Sales Prado
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren