piwik no script img

Kreiswehrersatzämter schließenRestabwicklung bis Februar

Die Wehrpflicht ist weg, die Kreiswehrersatzämter schließen. In München räumt man schon auf. Hier soll bald ein „Assessment Center“ entstehen.

Diese Akten müssen dem „Assessment Center“ weichen: Amtsleiter Jörb Braun. Bild: Marlene Halser

MÜNCHEN taz | Jörg Braun betreibt derzeit seine eigene Abschaffung. Der 63-Jährige ist Leiter des Münchner Kreiswehrersatzamtes – und als solcher wird er bald nicht mehr gebraucht. Nach dem Ende der Wehrpflicht im Juli 2011 sind auch die Kreiswehrersatzämter in Deutschland überflüssig geworden. Zum 30. November sind die letzten 52 Kreiswehrersatzämter in Deutschland offiziell aufgelöst.

Über 20 Millionen junge Männer – und seit 2001 auch Frauen – wurden deutschlandweit von 1957 bis 2010 auf ihre Bundeswehrtauglichkeit untersucht. In der Münchner Behörde waren es knapp 400.000 junge Männer und Frauen aus der Landeshauptstadt und ihren Umlandgemeinden. Bis zur Wiedervereinigung war das Kreiswehrersatzamt das größte der Republik, wie Braun stolz erzählt.

„Zuletzt kamen noch zwischen sieben und neun Bewerber täglich“, berichtet Braun wehmütig, während er durch die leeren Gänge führt. „Früher waren es mal 80 bis 120 am Tag.“ Seit dem Ende der Wehrpflicht wurden hier nur noch die BewerberInnen für den Bundesfreiwilligendienst von den MusterungsärztInnen begutachtet. Ab Freitag wird vorerst damit Schluss sein.

Einige der Kreiswehrersatzämter sollen aber wiederauferstehen – sie sollen künftig in 16 „Karrierecentern“ aufgehen, von denen 8 zu sogenannten „Assessment Center“ ausgebaut werden. Auch die Behörde in München ist darunter. Was jetzt neudeutsch „Assessment“ heißt, ist weiterhin ein Eignungstest. Neben München werden die BewerberInnen in Berlin, Hannover und Düsseldorf auf ihre sportliche, medizinische und psychologische Tauglichkeit getestet. Neu ist auch, dass die Rekrutierung für die militärische und die zivile Laufbahn künftig über eine einheitliche Bundeswehrbehörde läuft.

Jörg Braun ist froh über diese Entscheidung: Die etwa 150 Beschäftigten, die bislang unter seiner Führung tätig waren, werden zum überwiegenden Teil in der neuen Organisation weiterarbeiten können. Auch wenn die Paletten mit den Umzugskartons bereits in den Gängen stehen und auf den Abtransport warten, ist in den Liegenschaften an der Münchner Dachauerstraße Ende November noch nicht ganz Schluss. „Ein kleiner Teil der Mitarbeiter ist noch bis Februar mit der Restabwicklung beschäftigt“, erklärt Braun. Restabwicklung – das heißt in erster Linie Akten sortieren, Dienstsiegel und Stempel vernichten. „Eine Riesenoperation“, sagt Braun.

Die Akten müssen umziehen

Bundesweit müssen etwa 5,5 Millionen Akten von Reservisten und ehemaligen Wehrdienstleistenden sortiert und sukzessive zusammengeführt werden. „Wir bekommen sehr oft Anfragen nach Dienstbescheinigungen“, erklärt Braun. „Deshalb werden die Unterlagen gebraucht.“

In München sind es etwa 100.000 Akten. Zehn MitarbeiterInnen sind in der Behörde seit dem Sommer mit dem Sortieren der Aktenberge beschäftigt. Am Ende werden die Ordner zwölf Lkws füllen. Spätestens am Faschingsdienstag sollen sie in einem Zentrallager in Willich in Nordrhein-Westfalen eintreffen. „Wir wissen noch nicht genau, ob wir das schaffen“, sagt Braun besorgt.

Der Umbau der Behörde zum neuen „Karrierecenter“ aber wird voraussichtlich schnell vonstattengehen. Die erforderlichen Umbauarbeiten hielten sich in Grenzen, sagt Braun. Lediglich im Keller, dort, wo derzeit Reservistenakten der Jahrgänge 1949 bis 1956 lagern, soll ein neuer Fitnessraum für den sportlichen Eignungstest entstehen.

Mit alldem hat Behördenleiter Jörg Braun nichts mehr zu tun. Der 21. Dezember wird sein letzter Arbeitstag sein. Er geht in den Vorruhestand – gemäß den Vorgaben des Reformbegleitgesetzes ohne Abzüge seiner Bezüge.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Z
    Zeil

    Ich habe die Pobacken dort auch gespreizt.

  • A
    ADA

    Ich habe extrem schlechte Vibes bei den Laden. Leider wurde versäumt darauf hinzuweisen, dass der Laden auch für die " Gewissensprüfung " bis ca.85 zuständig war. Wer diesen absurden und erniedrigengen Vorgang selbst mitgemacht hat, rätselt nicht mehr ganz so, warum sich junge Männer in den End 70igern radikalisiert haben. Man sollte dieses dieses dunkle Kapitel mal aufarbeiten.

  • MN
    Mein Name ist Legion

    Wird die Assekuranz aber freuen, daß ihr Zugriff auf die Musterungsakten erhalten bleibt. Damit lassen sich dann wie bisher trefflich Leistungsausschlußgründe konstruieren ("...damals mit 'ner Hernie zurückgestellt und jetzt wollen Sie BU-Zusatzrente trotz dieser uns verschwiegenenen Vorschädigung von uns? Nö, und besten Dank für Ihre Prämienzahlungen!"...)

  • A
    Albär

    Diese Ämter haben in den 70er-Jahren die W 15-Männer bewusst weit ab vom Wohnort stationieren lassen. Heimatnähe schadete angeblich der Wehrbereitschaft.

    Da es monatlich nur eine Freifahrt mit der DB gab, Bundestagsabgeordnete fuhren schon immer gratis, wurde am Freitag, nach Dienstschluss, erschöpft vom nachmittäglichen Sportprogramm, von Kiel nach Füssen oder von Garmisch-Partenkirchen nach Schleswig gebrettert. Sonntagabend das Gleiche retour.

    Die Verluste ohne Feindeinwirkung waren enorm. Wöchentlich wurde in Lüneburg am Kasernentor auf einer Tafel die Anzahl der für das Familienleben gestorbenen Soldaten im laufenden Jahr aufgeführt und an eine vorsichtige Fahrweise appelliert. Vor der Körner Kaserne waren es auch schon mal 15 Männer. Lüneburg hatte seinerzeit drei Kasernen.

    Hochgerechnet müssen tausende Soldaten in der BRD ums Leben gekommen sein, da sie das Familienleben pflegen und sich der Wochenendsauferei entziehen wollten. Es waren halt eben nur Opfer eines sozial adäquaten Gefährdungspotentials, dem Straßenverkehr. Den Kreiswehrersatzämter sei Dank.

  • K
    KlausK

    Assessment Center? Wer braucht so was?

     

    Deutschland braucht Studentenbuden, laut SZ mindestens 70000. Die Kreiswehrersatzämter und leer stehende Kasernen böten Platz für einige Tausend, hinzu käme noch Wohnraum in der Branntweinmonopolverwaltung, die ja auch abgewickelt werden soll.