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Fossile Bestandteile von Sneakern lassen sich in einem bioökonomischen Ansatz durch Algen ersetzen Illustration: Carmen Seils

KreislaufwirtschaftAlgen in Turnschuhen

Die Bioökonomie will fossile Produkte durch regionale, pflanzliche Stoffe ersetzen. Wie das klappen kann – und wo sie schon eingesetzt wird.

Bioökonomie – was ist das?

„Eine nicht lineare Wirtschaftsweise“, sagt Brigitte Kempter-Regel. Sie arbeitet am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart und ist Expertin für Bioökonomie. Wirtschaft, die heutzutage fast ausschließlich auf fossiler Energie und fossilen Rohstoffen beruht, sei linear, bei Herstellungsprozessen bleibt also immer Abfall übrig. „In der Bioökonomie ist das anders, hier wird in Kreisläufen gewirtschaftet, Abfall gibt es hier nicht“, sagt Brigitte Kempter-Regel. Der Output aus einem Prozess sei der Ausgangspunkt für den nächsten. Neben biologischen Materialien komme auch biologisches Wissen zum Einsatz.

„Die Bioökonomie ist sehr breit“, sagt auch Ulrich Schurr, Leiter des Instituts für Pflanzenwissenschaften am Forschungszentrum Jülich: „Ihr Einsatz reicht von der Nahrungsmittelproduktion über die Herstellung von Chemikalien und Rohstoffen für die Bauwirtschaft bis hin zu Pharmazeutika.“ Wesen der Bioökonomie sei auch, fossil basierte Rohstoffe zu ersetzen, sagt der Pflanzenphysiologe und Bioökonom: „Wenn wir in 20 Jahren klimaneutral werden wollen, dürfen wir nicht nur die energetische Nutzung defossilisieren, auch die stoffliche Nutzung muss sich grundlegend ändern.“

Wo gelingt das bereits?

„Schmierstoffe zum Beispiel werden traditionell aus Erdöl hergestellt“, sagt Brigitte Kempter-Regel. Müssen sie aber gar nicht, man kann als Rohstoff auch Raps-, Sonnenblumen- oder Rizinusöl verwenden. Bereits heute seien diese teilweise so gut, dass sie auch in besonders sensiblen Bereichen wie Rennwagen eingesetzt werden können.

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Rapsöl etwa wird traditionell bei hohem Druck, hohen Temperaturen und unter Einsatz teils toxischer Chemikalien hergestellt. Allerdings leidet dabei die Qualität, und viele Reststoffe, etwa die Schalen und Kerne, gehen verloren. Am Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse haben sie in Leuna einen Extraktions-Reaktor für Raps entwickelt, der ressourcenschonender arbeitet. Das neue Verfahren arbeitet unter milderen Prozessbedingungen, was die Struktur der Rapsproteine bei der Verarbeitung kaum verändert: Neben einem hochwertigeren Öl können auch die Reste genutzt werden, der Rapsschrot lässt sich beispielsweise zu Burger-Patties und Pasta verarbeiten oder als nahrhaftes Futtermittel in der Geflügelmast einsetzen. Aus den Rapsschalen lassen sich wiederum Dämmstoffe herstellen.

Dieses „Ohne Abfall“ illustriert Brigitte Kempter-Regel mit der Apfelsaft-Herstellung: „Früher wurde lediglich das Fruchtfleisch ausgepresst und der Saft weiterverarbeitet, heute nutzen wir alles.“ Aus den festen Rückständen – dem sogenannten Apfeltrester – wird Verpackungsmaterial hergestellt, und was dann noch übrig bleibt, wandert in die Biogasanlage zur Energiegewinnung.

Porsche nutzt nachwachsende Pflanzenfasern, um das Interieur seiner Autos zu bestücken, der Outdoorspezialist Vaude verwendet biobasiertes Polyurethan, das aus landwirtschaftlichen Nebenprodukten wie Zuckerrohr-Resten hergestellt wird, Continental bietet Reifen an, die mit Naturkautschuk aus Löwenzahnwurzeln gefertigt wurden. Am Karlsruher Institut für Technologie ist es Forschern gelungen, aus einem Pilzmyzel Platten herzustellen, die Span- oder Faserplatten ersetzen können. Während diese durch ihren Kleber nach der Nutzung auf den Sondermüll müssen, können die Pilzmyzel-Platten einfach kompostiert werden.

Sind der Ausgangspunkt immer landwirtschaftliche Produkte?

„Im Prinzip ja, es geht um nachwachsende Rohstoffe“, sagt Ulrich Schurr. Das betrifft aber auch die Abfälle in der Biotonne oder in der Kläranlage. „Es geht nicht nur um das, was auf dem Acker wächst.“

Dem pflichtet Brigitte Kempter-Regel bei: „Wir müssen die vorhandenen Rohstoffe besser nutzen.“ Das, was heute vielfach noch als Abfall angesehen wird, versuche die Bioökonomie als Rohstoff umzusetzen. Von Krabbenschalen bis faserigen Pflanzenstängeln – auch bei der Verarbeitung von Lebensmitteln oder agrarischen Produkten würden Reststoffe zuhauf anfallen. Zudem gebe es Verfahren in der Forschung, bei denen Mikroorganismen aus Erzen oder Schrott beispielsweise „seltene Erden“ gewinnen, auch wenn das Verfahren noch nicht marktreif ist.

Warum hat sich die Bioökonomie noch nicht durchgesetzt?

„Weil fossile Rohstoffe immer noch so billig sind“, sagt Ulrich Schurr. Da die produzierenden Unternehmen die ökologischen Folgen des Klimawandels oftmals an die Gesellschaft auslagern könnten, sei die Bioökonomie an vielen Stellen noch teurer als das fossile System. „Wenn aber zum Beispiel der Preis für CO2-Zertifikate weiter steigt, dann kommen wir auf vergleichbare Herstellungskosten.“ Zudem käme ein Verhaltensthema dazu: „Wir kaufen heute immer noch an vielen Stellen das Billigste, statt nach dem Nachhaltigsten zu greifen.“ Eine Verhaltensänderung könnte der Bioökonomie einen Schub bringen.

Mit Bestandteilen von Pilzen lässt sich die Chemikalie PFAS in einigen Medizinprodukten ersetzen Foto: Carmen Seils

„Dazu kommt die Mengenfrage“, erläutert Brigitte Kempter-Regel. Erdöl ist in riesigen Mengen vorhanden, in der Bioökonomie geht es dagegen um kleinere Rohstoffeinheiten. Bei Weintraubenkernen etwa ist es schwierig, für diese einen ökonomisch lukrativen Verwertungsweg zu finden.

Seit wann gibt es die Bioökonomie?

Im Prinzip schon immer, sagt Forscherin Brigitte Kempter-Regel. „Der Bauer nutzt die Gülle seiner Rinder als Rohstoff: Der darin enthaltene Stickstoff geht als Dünger zurück auf die Felder.“ Der Begriff dafür ist allerdings erst etwa 30 Jahre alt, der Klimawandel habe ein Bewusstsein dafür geschaffen, Ökonomie anders zu denken.

„Bislang war die Bioökonomie ein stark aus der Wissenschaft getriebenes Konzept, jetzt geht es darum, dieses in der wirtschaftlichen Praxis voranzutreiben“, sagt Ulrich Schurr. Er ist Co-Vorsitzender des Bioökonomierates des Landes Nordrhein-Westfalen, der die Landesregierung bei der Entwicklung einer Landesstrategie zur Bioökonomie berät. Er hat zudem die Initiative BioökonomieREVIER ins Leben gerufen, um Forschung in die Praxis zu überführen. Der Strukturwandel in der Kohleregion Rheinisches Revier soll das erste Modell für nachhaltige Bioökonomie in Europa werden.

Weltweit sinkt die verfügbare Ackerfläche, Millionen Menschen hungern. Gibt es überhaupt genug Platz für die Bioökonomie?

„Natürlich ist die Flächenkonkurrenz ein Thema, zumal wir ja auch noch Platz für die erneuerbaren Energien brauchen“, sagt Ulrich Schurr. Deshalb bräuchten wir eine andere Landwirtschaft. „Beispielsweise durch die Digitalisierung: Dabei koppeln wir Ertragsdaten mit Satelliteninformationen zur Verfügbarkeit von Wasser. Auf diese Weise können wir optimal Trockenstress von Pflanzen minimieren.“ Zudem seien Agri-Solarsysteme notwendig: Photovoltaik-Anlagen, die beispielsweise über Obstbäumen Energie erzeugen, die darunter wachsenden Äpfel oder Kirschen vor Hagel oder zu starker Sonneneinstrahlung schützen.

Brigitte Kempter-Regel fügt hinzu, dass es bei der Bioökonomie eben nicht darum gehe, mehr vom Feld zu holen. „Bioökonomie ist, das, was vorhanden ist, besser zu nutzen.“

Wie viel Bioökonomie gibt es heute schon in Deutschland?

Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums arbeiten aktuell rund 4,5 Millionen Menschen im Bereich der Bioökonomie, etwa jeder zehnte Beschäftigte. „Allerdings ist die Definition nicht sehr scharf“, sagt Brigitte Kempter-Regel. Beispielsweise rechnet die Statistik die Altpapier-Wirtschaft mit ein, ein altbewährtes Handwerk, das wenig mit den innovativen Ansätzen der Bioökonomie zu tun hat. Dennoch sagt die Statistik, dass etwa 6 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung „bioökonomisch“ erwirtschaftet werden.

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Das Bundesland Sachsen-Anhalt ist bei den Umsatzzahlen Spitzenreiter: 16,4 Prozent der Gesamtwirtschaft wird dort bioökonomisch erwirtschaftet. Es folgen Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Damit liegen die Anteilswerte der Bioökonomie in den Ländern deutlich über dem bundesdeutschen Schnitt.

Wie kann die Bioökonomie die Fossil­wirtschaft ablösen?

„Politik muss fossile Folgekosten für die Umwelt stärker einpreisen“, sagt Ulrich Schurr. Zudem müsse die Landwirtschaft eine Chance in der Bioökonomie entdecken, denn sie stehe unter massivem gesellschaftlichen und ökonomischen Druck: „Mit der Bioökonomie könnten die Bauern in Deutschland eine neue Perspektive entwickeln.“ Auch die Regionalisierung sei ein wichtiges Prinzip. „Dadurch wird fossiler Kapitalismus faktisch unmöglich gemacht.“

„Die Klimaschäden, die fossile Produkte hervorrufen, müssen stärker zu Buche schlagen“, fordert Brigitte Kempter-­Regel. Deshalb sei es richtig, den Handel mit Emissionszertifikaten auszuweiten. Ab 2027 werden auch der Verkehrs- und Gebäudesektor einbezogen, Heizen mit Erdgas oder Tanken von Benzin wird dann deutlich teurer. „Allerdings reicht das nicht aus, wir müssen auch fossile Subventionen abschaffen.“ Das biete viele Chancen: „Es entstehen neue, nachhaltige Wirtschaftsfelder.“

Pilzfasern in Medizinprodukten

In der Trinkwasseraufbereitung, bei der Herstellung von Kosmetikprodukten, um Papier reißfester zu machen oder in Verpackungen von Lebensmitteln kommt Chitosan zum Einsatz. Doch vor allem wird Chitosan in der Medizin verwendet. Hier hilft es durch seine antibakterielle Wirkung bei Wundauflagen und beugt Pilzinfektionen vor. Gewonnen wurde das natürliche Polymer lange hauptsächlich aus Krabbenschalen und ersetzte damit umweltschädliche Chemikalien wie PFAS.

Diese herkömmliche Methode lässt sich aber nicht für alles verwenden, da sie Allergien auslösen kann. „Man könnte zwar in sehr aufwendigen und hoch chemischen Prozessen das Allergierisiko senken, aber das ist aus ökologischer Sicht nicht immer sinnvoll“, erklärt Sabine Gruber von der Hochschule Campus Wien. For­sche­r:in­nen entwickelten vor einigen Jahren nun die Möglichkeit, Chitosan aus der Zellwand von Pilzen herzustellen. Besonders häufig werden dabei der Schwarzschimmel (Aspergillus niger) oder der Köpfchenschimmel (Mucor rouxii) verwendet. Auch wenn der Chitosan-Anteil in den Pilzen geringer ist, können For­sche­r:in­nen heute durch gesteuerte Fermentation große Mengen an Pilzbiomasse wachsen lassen. Mithilfe von Enzymen werden die Chitosan-Anteile in den Pilzen extrahiert, von Fetten und Proteinen befreit und in Chitosan umgewandelt.

In der Medizin können mit Chitosan Wundauflagen, Pflaster, Pulver und Schwämme hergestellt werden, die bei Verletzungen und Operationen dabei helfen, Blutungen zu stillen. Zudem kann Chitosan die Wundheilung beschleunigen und Narbenbildung reduzieren. Auch in der Augenheilkunde kann Chitosan eingesetzt werden. Daraus wird eine Lösung produziert, die bei Operationen zum Einsatz kommt. Außerdem hilft Chitosan bei Knochenbrüchen und wird in Nasentamponaden nach Nasen-OPs verwendet.

Algen in Turnschuhen

Vielleicht laufen alle Sneaker-Träger*innen bald auf Algen – und lösen damit zwei Probleme auf einmal: Denn wenn an Stränden, Seen und Teichen die Algen wuchern, dann kann das für die zahlreichen Organismen an diesen Orten schnell zu Sauerstoffmangel führen. Außerdem ersetzt der Algenschaum erdölbasierte Produkte, die heute in der Automobilindustrie, in Verpackungen und eben in der Schuh­herstellung verwendet werden.

Bereits 2015 gründete sich das Unternehmen „Bloom“ und präsentierte eine erste Lösung. Mittlerweile gibt es einige Firmen, die sich auf die Algen­methode spezialisiert haben. Dabei werden die Algen zunächst geerntet, getrocknet und zu feinem Pulver zermahlen. Anschließend wird es mit einer Art Bioplastik vermischt. Daraus entsteht ein spezieller Schaumstoff, der je nach Zusammensetzung zu 15 bis 60 Prozent aus Algen besteht und aus dem dann Lauf- und Innensohlen gefertigt werden.

Die Verarbeitung verhindert, dass die giftigen Algen weiterhin die Gewässer belasten und reinigt gleichzeitig Wasser und Luft. So können bei der Produktion eines Paares Sneaker etwa 38 Liter belastetes Wasser gereinigt und zurückgeführt sowie 2 bis 5 Kilogramm CO2 pro Paar eingespart werden. Optisch ist das Endprodukt von algenfreien Schuhen nicht zu unterscheiden, auch die Herstellungskosten sind ähnlich. Große Marken wie Adidas und Nike verwenden die Algen-Lösung bereits. Popstar Billie Eilish kollaborierte mit Nike für die „grüne Revolution in der Modebranche“ und entwarf eine eigene Kollektion.

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