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Kreditgeber gesuchtDie Schanze hat ein Herz aus Gold

Die „Buchhandlung im Schanzenviertel“ stemmt sich gegen die Gentrifizierung in Hamburgs Ausgehviertel. Damit das so bleibt, sucht sie Un­ter­stüt­ze­r.

Goldige Aussichten im Schanzen­viertel Illustration: Jeong Hwa Min
Jan Kahlcke

Aus Hamburg

Jan Kahlcke

In den Schaufenstern ist in rosa Plüschlettern „Betongold – och nö“ zu lesen. Und danach sieht es auch gar nicht aus. Die weiße Farbe blättert von der schmucklosen Backsteinfassade, manche Fenster müssten mal gemacht werden. Soll der Slogan also auf eine Bedrohungslage aufmerksam machen?

Es ist schließlich das Hamburger Schanzenviertel, das Epizentrum der Gentrifizierung, genauer: das Schulterblatt. So heißt die Straße, in deren Gehwegpflaster man noch die historischen Grenzsteine zwischen Hamburg und Altona findet. Obwohl ein paar Häuser weiter auch das autonome Zentrum Rote Flora liegt, hat Immobilienbesitz hier schon manche Nase vergoldet. Oder vielleicht sogar wegen der Flora, wer weiß das schon so genau.

Das Haus denen, die drin wohnen

Neugierig macht der Schriftzug jedenfalls. Im Schaufenster wird alles erklärt: dass das Haus denen gehört, die drin wohnen und arbeiten. Wie sie es dem letzten privaten Eigentümer abgekauft haben, mithilfe der „Likedeelerei – Syndikat für solidarisches Wohnen“. Und warum sie dafür immer mal wieder frisches Geld brauchen.

Nix wie hin

Die Besonderheit

Es gibt noch ein paar kleine, inhabergeführte Geschäfte auf dem Schulterblatt, wie Stüdemanns Teehandel oder den Reggae-Fachhandel Selekta Shop. Aber die großen Ketten verdrängen sie immer mehr.

Das Zielpublikum

Bücherwürmer können in der Buchhandlung im Schanzenviertel in Ruhe stöbern. Besonders willkommen sind potenzielle Kreditgeber:innen, die für schmalen Zins ein paar Euro an ein selbstverwaltetes Projekt verleihen würden.

Hindernisse auf dem Weg

Der Weg ist einfach: mit U- oder S-Bahn bis zum Bahnhof Sternschanze, dann immer der Flugbahn der goldenen Kanonenkugel nach. Aber jede Menge Nippesläden und Cafés wollen einen vom Weg abbringen.

Der Laden dahinter heißt „Kaosk e. V.“ Man bekommt dort, wenn offen ist, Kunst und Accessoires wie „FCK AFD“-Socken oder Schlüpfer mit dem Aufdruck „Matriarchat“. Und, wenn man Glück hat, den fairsten Kaffee der Welt, der praktischerweise auch einer der leckersten ist.

Hauptmieter und Keimzelle des Haus-Kollektivs ist aber die linke Buchhandlung. Dass sie links ist, erkennt man am etwas spröden Namen „Buchhandlung im Schanzenviertel“, an dem roten Keil, der sich in den Schriftzug schiebt – und, natürlich, am Programm: Antifakalender, Flugschriften mit Titeln wie „Faschistische Ideologie“ oder „Code und Vorurteil“, deren nüchterne Cover sagen wollen: Auf den Inhalt kommt es an!

Aber auch viel migrantische Literatur gibt es, sogar Bestseller wie Édouard Louis’ Klassenroman „Der Absturz“, im Schaufenster auf einer alten Bierbank drapiert. Weiter hinten stapeln sich Pflastersteine, als wären sie von der letzten Straßenschlacht liegengeblieben. Die Auszeichnungen vom Deutschen Buchhandlungspreis kleben ein bisschen verschämt am Rand der Schaufensterscheibe.

wochentaz

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Die beiden Ladengeschäfte ragen tief in den Hinterhof, lassen nur einen schmalen Gang. Dahinter steht, beschirmt von einer mächtigen Atlaszeder, noch ein Gebäude in bröckelndem, grauem Putz. Oben sind Ateliers, überm knapp stehhohen Zwischengeschoss, in dem zuletzt die Werkstatt von Herrn Hansen war, dem letzten Eigentümer. Der Werkzeugkasten hier ist offen, eine Flasche Öl steht auf dem Tisch – als hätte sich Herr Hansen nur kurz zu einem Mittagsschläfchen hingelegt. Dabei ist er vor Jahren gestorben.

Herr Hansen wurde in diesem Haus geboren und hatte dort sein ganzes Leben verbracht. Er mochte das Schanzenviertel so, wie es war, und wollte, dass es so bleibt. Statt an Spekulanten, die sein Haus abgerissen und neu gebaut hätten, hat er es an die Nut­ze­r:in­nen verkauft. Die nennen es bis heute nach ihm: „Hansenhaus“.

Hansen hat ihnen viel erzählt. Von den alten Zeiten, als in seiner späteren Werkstatt eine Schwarzbrennerei war. Auch von der Franzosenzeit. Damals sollen Napoleons Truppen von der Sternschanze aus mit einer Kanonenkugel auf das Haus geschossen haben. Oder doch eher auf einen Vorgängerbau? Denn so ganz kann das nicht stimmen, das heutige Haus wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut. Jedenfalls pflegte Hansen zu erzählen, wie seine Familie die Kanonenkugel in Ehren gehalten und irgendwann sogar vergolden lassen habe. Er will sie einem Waffensammler aus der nahen Bartelsstraße geschenkt haben. Der habe sich später versehentlich erschossen – und die Kugel sei seither verschollen.

Neue Kredite werden gesucht

Die heutigen Eigentümerinnen haben ihr Projekt trotzdem „Die goldene Kanonenkugel“ genannt. Das Eigenkapital dafür haben sie mit Privatkrediten zusammengesammelt. Und die laufen nun teilweise aus. Deswegen, und auch, weil Sanierungen in dem alten Haus viel Geld verschlingen, suchen sie nun neue Kreditgeber:innen. „Am liebsten viele Kleinkredite“, sagt Nina. Aber nicht nur Geld, auch Hand­wer­ke­r:in­nen werden gesucht, mit Lust auf ein solidarisches Projekt, in dem viel in Eigenleistung geschieht.

Irgendwann übrigens werden auch sie nicht drum herumkommen, das marode Haus abzureißen und neu zu bauen. Vielleicht sogar ein Stockwerk höher. „Dann könnten wir noch mehr günstigen Wohnraum schaffen“, sagt Nina, die in der Wohnung des alten Hansen lebt. Der hätte dann zwar nicht sein Haus gerettet. Aber ein Stück längst vergangen scheinenden Lebens im Schanzenviertel. Und natürlich den Buchladen.

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