Kreativer Mieterschutz: Mit Klimmzug zum Vorkaufsrecht
In Neukölln soll das Vorkaufsrecht erstmals mit nicht genehmigten Sanierungen begründet werden. Womöglich kommt sogar das alte Vorkaufsrecht zurück.
Zur Erinnerung: 2021 beerdigte das Bundesverwaltungsgericht das Vorkaufsrecht für Kommunen in Milieuschutzgebieten, das auf der Annahme beruhte, neue Eigentümer würden zur Verdrängung der bisherigen Mieterschaft führen. Auf dieser Grundlage waren in den Jahren zuvor Dutzende Häuser in Berlin vor Privatkäufern gerettet worden und gingen stattdessen an kommunale Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften. Seit dem Urteil ist die Praxis quasi zum Erliegen gekommen.
Mit zwei Ausnahmen: 2023 gelang es Neukölln mit der Argumentation der starken Sanierungsbedürftigkeit, das Vorkaufsrecht für ein Gebäude in der Weichselstraße auszuüben, 2024 gelang selbiges für das Tuntenhaus in Pankow. Nun versucht es Neukölln erneut, dies aber erstmals mit der Begründung, dass in dem zum Verkauf stehenden Wohnhaus illegale Sanierungen stattgefunden haben. Denn: In Milieuschutzgebieten muss jede bauliche Maßnahme genehmigt werden.
In der Braunschweiger Straße machten sich die Eigentümer diese Mühe erst gar nicht. In den vergangenen Jahren wurden Fenster ausgetauscht und mindestens zwei Wohnungen zu einer großen zusammenlegt, wie Mieter Lukas Ott (Name geändert) der taz erzählt.
Rückbau erforderlich
Neuköllns Baustadtrat Jochen Biedermann (Grüne) spricht von „nicht genehmigten Modernisierungsmaßnahmen“, die zum Teil auch „nicht genehmigungsfähig“ seien und demnach „zurückgebaut werden müssen“. Biedermann sagt: „Das sind keine baurechtskonformen Zustände.“ Genau damit will er dann auch die Ausübung des Vorkaufsrechts begründen.
Zunächst erhalten Verkäufer und beabsichtigter Käufer die Möglichkeit, Stellung zu nehmen, dann entscheidet das Bezirksamt, ob die Voraussetzungen für die Eröffnung des Vorkaufsrechts vorhanden sind. Für die Käufer bleibt dann die Möglichkeit, eine Liste von Vorgaben des Bezirks, etwa zu Baumaßnahmen und Mieterschutz, zu akzeptieren, eine Abwendungsvereinbarung zu unterschreiben und damit das Haus zu erwerben. Tun sie das nicht, kann der Bezirk das Vorkaufsrecht ausüben, wenn sich denn ein Dritt-Käufer findet.
Ott sagt, die Hausgemeinschaft sei jetzt schon auf der Suche nach interessierten Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften. Auch mit Kundgebungen und Transparenten am Haus wolle man demnächst auf sich aufmerksam machen.
Biedermann unterdessen hofft, „dass wir diese Klimmzug-Argumentation in Zukunft nicht mehr brauchen“. Die künftige Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt, das Vorkaufsrecht „zu stärken“. Das kann, so Biedermann, „nur die Wiederherstellung des Vorkaufsrechts in seiner ursprünglichen Form bedeuten“ – und dies erwarte er auch von der Regierung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Juristin über Ja-heißt-Ja-Reglung
„Passives Verhalten bedeutet nicht sexuelle Verfügbarkeit“
Ole Nymoen und die Frage des Krieges
Kampflos in die Unfreiheit?
Politologe über Brandmauer und CDU
„Wenn die CDU jetzt klein beigibt, ist sie bald überflüssig“
Diskussion über Mindestlohn
Der Bluff der SPD-Führung
Erderwärmung
So schnell wie Europa erhitzt sich kein Erdteil
Streichung von Staatsgeld für Harvard
Echter Widerstand sieht anders aus