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Krauthausen im Gespräch mit Steinmeier„Keine logische Argumentation“

In der Coronakrise kämpfen Menschen mit Behinderung abermals um essentielle Rechte. Raul Krauthausen übt beim Bundespräsidenten Kritik.

Sucht häufiger den Dialog mit Politiker*innen: Inklusionsaktivist Raul Krauthausen Foto: Soeren Stache/dpa

Berlin taz | „Ob wohl das Schloss Bellevue rollstuhlgerecht ist? Was meinen Sie?“ Raul Krauthausen grinst in die Kamera und lädt sich auf diese Weise kurzerhand beim Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier auf einen Karottensaft ein, um das in einer Pandemie-freieren Zukunft mal zu überprüfen.

Mit dem „Babo aller Bürger*innen“, wie Krauthausen den Bundespräsidenten auf seinen Social-Media-Kanälen ankündigte, sprach er am frühen Dienstagabend in einem kurzen Livetalk auf Instagram über Corona und die Situation von Menschen mit Behinderung. Der Talk ist Teil von Steinmeiers Social-Media-Gesprächsreihe #miteinander. Mit Krauthausen hat er sich den wohl bekanntesten und auch reichweitenstärksten deutschen Inklusionsaktivisten als Gast ausgesucht.

Forderungen nach Antworten

Steinmeier, im lockeren Homeoffice-Look, nahm sich für das Gespräch mit Krauthausen dann 22 Minuten Zeit. Am Ende lächelte er zufrieden und glaubte, dass die Aussagen Raul Krauthausens „bei den Menschen, die zugeschaut haben, angekommen sind.“ Krauthausen macht im anschließenden Gespräch mit der taz klar: Er und andere Inklusionsaktivist*innen wollen nicht die knapp 1.400 Instagram-Zuschauer*innen erreichen. Seit 11 Monaten Coronapandemie fordern sie klarere Antworten von politischen Entscheidungsträger*innen.

Schon im März 2020 initiierten Krauthausen und seine Mitstreiter*innen die Kampagne #Risikogruppe, um in den sozialen Medien darauf aufmerksam zu machen, dass nicht nur alte und todkranke Menschen besonders gefährdet sind durch die Coronapandemie. Für Menschen mit Lähmungen, chronischen Muskelerkrankungen oder für Menschen mit Glasknochen, wie auch Krauthausen, war die mögliche Infektion mit dem Coronavirus von Beginn an eine besonders große Gefahr.

Zunächst riefen sie daher zu solidarischem Verhalten durch Abstand halten auf, dazu, zu Hause zu bleiben und die Hygienemaßnahmen einzuhalten. Im Juli haben sie beim Bundesverfassungsgericht Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen die „Gebrechlichkeitsskala“ im Falle einer Triage in Krankenhäusern eingereicht. Was diese für Menschen mit Behinderung bedeute, hat Richterin Nancy Poser gegenüber der taz erklärt: „Wenn man einen Rollstuhl braucht, Assistenzbedarf hat oder am Rollator geht, wird man im direkten Vergleich zu einer nichtbehinderten Person schlechter eingestuft.“

Nancy Poser gehört, wie auch Krauthausen, zu den Gründungsmitgliedern von „Ability Watch“, einem Zusammenschluss von Menschen mit Behinderung, die politische Entscheidungen im Hinblick auf Inklusion kritisch begleiten und regelmäßig auf die mangelnde Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention hinweisen. Öffentlichkeit kreieren, das kann man in Coronazeiten am besten über die sozialen Plattformen. Ein Grund, warum Raul Krauthausen den Live-Talk mit dem Bundespräsidenten auch nutzen wollte. Steinmeier lobte direkt das Engagement der Aktivist*innen. Doch zur konkreten Umsetzung von früh geäußerten Forderungen, zum Beispiel, dass die wichtigen Informationen zum Coronavirus von der Bundesregierung barrierefrei, etwa mit Übersetzungen von Gebärdendolmetscher*innen, zur Verfügung stehen, muss er Nachbesserungsbedarf einräumen.

Es gibt keine Klarheit

Auch der Impfstart wirft neue Fragen auf. Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung zwar zur vulnerablen Gruppe gehören, aber nicht in Einrichtungen, sondern autonom wohnen, tauchen nicht in den priorisierten Gruppen für die Impfstoffverteilung auf. Dazu gehört auch Krauthausen, der sich sofort impfen lassen würde. „Es gibt bislang keine logische Argumentation, warum Menschen mit Behinderung zuhause keine Impfungen bekommen, aber Menschen in Einrichtungen“, sagt Krauthausen später der taz.

Dabei wolle er keine Gruppen gegeneinander ausspielen, es störe ihn aber die Kommunikation: „Es ist allen Menschen vermittelbar, dass es noch nicht genug Impfstoff gibt. Was aber fehlt, ist Klarheit.“ Viele Menschen seien unsicher, wer zu welcher Gruppe gehöre und wie sie über einen möglichen Impftermin informiert werden würden. „Das ist für ein Land, das seine ganze Existenz auf Bürokratie begründet hat, ein echtes Armutszeugnis“, sagt Krauthausen. Die Verunsicherung, die durch diese spärliche Kommunikation entstehe, würde bei Betroffenen ein Gefühl von „die haben uns eh vergessen“ kreieren, berichtet Krauthausen. Im kurzen Gespräch mit Steinmeier, der dem Aktivisten lieber persönliche Fragen stellt, prallt die Kritik an den unklaren Beschlüssen an dessen routinierten und freundlichen Floskelantworten ab. „Man wird umarmt und dann vergessen“, sagt Krauthausen.

Digitaler Fortschritt jetzt interessanter

Auch sei es es für ihn wenig verwunderlich, dass in einer Zeit, in der alle Menschen auf Homeoffice, Fernunterricht, Online-Vorlesungen und elektronische Behördengänge angewiesen seien, diese schnell möglich gemacht würden. Vor der Pandemie sei diese digitale Teilhabe, die von Menschen mit Behinderung schon lange gefordert wird, in vielen Bereichen ignoriert worden. Doch während die Umstellung auf digitale Angebote teilweise mehr Inklusion schaffe, wird eine große Gruppe von Menschen mit Behinderung in dieser Hinsicht wieder vergessen: „Viele Menschen in Einrichtungen haben keinen Zugang zum Internet oder es gibt teilweise einen Computer für alle und kein WLAN“, sagt Krauthausen.

In den Online-Kommentaren kam das Gespräch zwischen dem Bundespräsidenten und Raul Krauthausen gut an. Einige Zuschauer*innen lobten die Initiative Steinmeiers ein Live-Format mit Bürger*innen zu machen. Um jedoch tiefergehend Lösungsansätze zu diskutieren sind 22 Minuten schlicht zu kurz.

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4 Kommentare

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  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    „Es gibt bislang keine logische Argumentation, warum Menschen mit Behinderung zuhause keine Impfungen bekommen, aber Menschen in Einrichtungen“

    Nach 2 Sekunden nachdenken:



    Bei den "Menschen in Einrichtungen" kann die Verbreitung aufgrund der Dichte an Risikofällen deutlich härtere Folgen haben. Ein infizierter Mensch ist in der Lage dutzende oder hunderte andere anzustecken. Die Fälle aus Pflegeheimen muss man nicht in Erinnerung rufen, oder?



    Abgesehen davon ist es deutlich leichter organisierbar.



    2 logische Argumente in

    • @83191 (Profil gelöscht):

      Menschen mit Behindern, die in den eigenen vier Wänden wohnen, haben oft eine Pflege- oder Hilfskraft („persönliche Assistenz“), die mehrere Klienten betreut. Obendrein haben diese Menschen auch Familie, die entweder im gleichen Haushalt wohnt (hochbetagtes Ehepaar, er braucht Pflege, sie nicht oder umgekehrt) oder zu Besuch kommt. Da braucht nur einer den Virus mitbringen und schon ist die Verbreitung weitaus unkontrollierter als in einer Einrichtung, wo man Menschen mit Covid-Symptomen leicht isolieren kann.

      • 8G
        83191 (Profil gelöscht)
        @wachpfosten:

        In den Allermeisten Fällen ist es eine Pflege- oder Haushaltskraft, die die volle Aufmerksamkeit auf die Betreuung legen kann anstatt noch ein Dutzend Weiterer Personen im Auge behalten zu müssen, und daher auch die Umsetzung von Schutzmaßnahmen deutlich besser kontrollieren kann.

        Die Anzahl an Personen, die eine Pflegerin im Außendienst erreicht, ist ebenfalls allein dadurch geringer dass sie zwischen den Stationen fahren muss. Und sie hat dabei gleich auch Zeit für die Hygiene, die die Altenpflegerin z.B. beim Abendbrot Tisch (also alleine mit ~10 zu Betreuenden) nicht hat.

        Dann sind in einem Pflegeheim Dutzende Pfleger aktiv. Die Häusliche Pflege sind meistens die gleichen 2-3 Pflegekräfte die sich je nach Schicht abwechseln.

        Was Haushaltshilfe und Besuch angeht kann der Alleine Lebende sich selbst einschränken. In einem Pflegeheim kommen viele unbekannte Menschen herein, denen man auf dem Gang begegnet.

        Und es gab schon mehrfach Masseninfektionen incl. Todesfälle in Pflegeeinrichtungen. Mir ist kein Fall bekannt, in der ein Mobile Pflegekraft als Superspreaderin bekannt wurde.

        Wenn es einzelne Risiko-Patienten gibt, klar sollte man an sie denken und sie impfen. Aber alleine schon weil es deutlich schwerer zu organisieren ist (siehe Kühlkette des Impfstoffes), sollten Pflegeeinrichtungen Vorrang haben.

    • @83191 (Profil gelöscht):

      Nachträgliche Rationalisierung vorhergehender Ignoranz.

      Bei der Maskenpflicht hat niemand die Bedürfnisse Hörbehinderter mit im Blick gehabt, die auf's Lippenlesen angewiesen sind.

      Bei den Termin-Hotlines für die Impfung hat wieder niemand die Bedürfnisse Hörbehinderter beachtet, für die Telephonieren oftmals eh schon eine Qual ist und die mit minutenlangen Warteschleifen, die ständig angespannte Aufmerksamkeit verlangen, um zwischen nerviger Musik und wiederholten Ansagen den Moment zu erwischen wenn dann doch ein echter Mensch dran ist nochmals unnötig benachteiligt werden.

      Kann man alles rationalisieren -- die traurige Realität ist aber, dass die Wahrnehmung Schwerbehinderter durch die Bank einschliesslich der "Qualitätsmedien" defizitär ist und praktisch nur den unselbständigen, sowieso betreuten Heiminsassen kennt.



      Und auf den muss nicht geachtet werden, das machen ja dessen Betreuer schon ...