Kraftprobe mit dem Kind: Die heikle Lätzchen-Frage
Was tun, wenn der Nachwuchs anfängt, einen eigenen Willen entwickelt? Ein kleiner Ratgeber über verschiedene Art der Erziehung.
N eulich Sonntag, wir gehen spazieren, Kind im Kinderwagen, einmal um den Block. Wegen Wetter und Sauerstoff. Hinter uns läuft eine andere Mutter, ihr Sohn mitten in der Pubertät. Ich beneide sie nicht. Er labert, ohne Luft zu holen.
„Das sind auch wertigere Stoffe“, fistelt er mit Stimmbruchstimme. Er sagt tatsächlich „wertiger“. Wie so ’n PR-Manager. „Das ist viel besser verarbeitet als die Billigklamotten von C&A, Primark und so weiter. Das ist auch nachhaltiger.“
„Nachhaltiger, ja?“, spottet die Mutter. „Hat deine Greta Garbo ditt jesacht, dass du jetzt Nobelklamotten tragen sollst, weil ditt nachhaltiger ist?“ Sie lacht höhnisch: „Weil sie ja auch selbst so viel Wert auf ihr Äußeres legt.“
Der Sohn wird sauer. „Ich finde es wirklich traurig, wie egal dir das Schicksal unseres Planeten ist“, lamentiert er. Die Mutter gibt ein grunzendes Lachen von sich.
Ein Pulli für 200 Euro
„Pass mal auf, mein Schatz“, sagt sie. „Wenn du dir unbedingt einen Gucci-Pullover kaufen willst, dann kannst du das von deinem eigenen Geld machen. Ich habe nämlich keine Lust, 200 Euro für ein Kleidungsstück auszugeben, das du höchstens drei Monate trägst, bevor es im Container landet, weil es dir entweder zu klein geworden ist oder du einfach keinen Bock mehr drauf hast.“
Paul und ich werfen uns aus den Augenwinkeln Blicke zu. Und wir dachten, unser Kind wäre grad in einer anstrengenden Phase. Es entwickelt jetzt seinen eigenen Willen. Ganz wunderbar. Dabei habe ich wirklich versucht, ein autoritäres Elternteil zu sein. Streng, liebevoll, weise und ehrfurchtgebietend. Wie so ’ne Vaterfigur ausm 19. Jahrhundert.
Trotzdem ist das häufigste Wort des Kindes jetzt „Nein!“, und ich hab mit Paul ständig dicke Luft, weil ich finde, er fragt das Kind zu viel.
Zermürbungstaktik
„Kind, möchtest du das Lätzchen anziehen?“, fragt Paul. Ich unterdrücke mit Mühe ein Augenrollen. „Neeeiiiin!“, ruft das Kind. Und ich unterdrücke ein Grinsen.
„Kind, wollen wir das Lätzchen anziehen?“, wiederholt Paul. „Nein!“, ruft das Kind. Das ist Pauls Art der Erziehung. Zermürbungstaktik. Er stellt einfach so lange dieselbe Frage, bis das Kind irgendwann die Antwort gibt, die er hören will.
„Ich finde, du vermittelst dem Kind einen falschen Eindruck von Sprache“, sage ich. „Du tust so, als ob er eine Wahl hätte, nimmst seine Entscheidung aber nicht ernst.“
Paul geht zwei andere Lätzchen holen mit dem Kind auf dem Arm, weil sich dieses nicht absetzen lassen will. Das Kind ruft immer noch: „Nein!“
„Hör doch mal auf zu fragen!“, sage ich. „Du bist genauso schlimm wie diese ätzenden Ökoeltern, über die wir uns früher aufgeregt haben. Das Kind muss die Entscheidung nicht treffen, sondern du. Und dann musst du dazu stehen.“
Familie ist was Herrliches
Paul dreht sich zu mir um und funkelt mich an, Blitze sprühen aus seinen Augen.
„Man muss auch nicht alles zur Grundsatzfrage und zur Kraftprobe mit dem Kind machen“, schnappt er zurück, „ich versuche, Konflikte spielerisch zu lösen, den Widerstand ins Leere laufen zu lassen. Das erspart einem auch die ohrenbetäubenden Aufstände. Man muss den Willen des Kindes nicht brechen. Du bist manchmal so ’n richtiger Donald Trump. Verstehst jeden kleinen Furz als persönlichen Angriff.“
Jetzt sprühen aus meinen Augen Blitze. In Hakenkreuzform. „Das nimmst du zurück!“, flüstere ich drohend. „Nein!“, ruft das Kleinkind.
Familie ist was Herrliches. Absolut herrlich.
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