Kosten für die Pflege: Ein Pflegeheim muss funktionieren
Bald gibt es noch mehr Pflegebedürftige als heute und vermutlich noch weniger Pflegekräfte. Das Geld für den Pflegeausbau müssen alle aufbringen.
P flege macht arm. Sehr rasch und sehr radikal. So zumindest liest sich die Geschichte eines 71-jährigen Mannes, der in Augsburg für den Heimplatz seiner Frau jeden Monat 6.194 Euro bezahlen muss. Die Pflegeversicherung übernimmt, so heißt es in dem Text einer Münchner Tageszeitung weiter, lediglich 1.775 Euro. Demnächst seien alle seine Ersparnisse aufgebraucht, eine Zusatzversicherung habe er bereits aufgelöst.
Ja, Pflege kann arm machen. Über ein Drittel der Bewohner:innen in Pflegeheimen sind den Angaben des Statistischen Bundesamtes zufolge auf Sozialhilfe angewiesen. Manche sind im Laufe ihrer Zeit in der Einrichtung in die staatliche Hilfe gerutscht, andere waren schon darauf angewiesen, als ihr Leben dort begann. Pflege ist bekanntermaßen eine teure Angelegenheit, ein Heimplatz kostet dem Verband der Ersatzkassen (vdek) zufolge zwischen 2.000 und 4.000 Euro. Einen Teil davon übernimmt die Pflegeversicherung, je nach Pflegegrad der gepflegten Person bis zu rund 2.000 Euro. Für die Betroffenen in den Pflegeeinrichtungen steigen die Kosten aktuell erneut, laut vdek um durchschnittlich rund 350 Euro monatlich – wegen höherer Energie- und Lebensmittelkosten, vor allem aber wegen gestiegener Löhne für das Pflegepersonal.
Niemand kann wollen, dass jene Fachkräfte, die unter großen physischen und psychischen Anstrengungen Hilfsbedürftige rund um die Uhr versorgen, weiterhin unangemessen bezahlt werden. Aber mehrere Hundert Euro mehr im Monat muss man erst einmal haben. Vor allem als Rentner:in. 1.370 Euro durchschnittlich landen laut Arbeitsministerium im Monat auf dem Konto bei Ruheständler:innen im Westen, im Osten sind es 1.255 Euro.
Für diese Rentenhöhe muss man 40 Jahre lang in die Rentenversicherung eingezahlt, also durchgängig gearbeitet haben. Viele sogenannte Boomer:innen taten das aber gar nicht, erinnert sei an das Arbeitslosenheer in den 1990er Jahren. Gebrochene Erwerbsbiografien sind für jene, die schon jetzt im Ruhestand sind, und auch für die, die das in den kommenden Jahren sein werden, eine Normalität, die sich heute angesichts des Arbeitskräftemangels kaum jemand vorstellen kann.
Das erste Jahr im Heim ist das teuerste
Das Pflegedilemma ist den Entscheidungsträger:innen, wie die Politik gern bezeichnet wird, durchaus bewusst. Und sie versucht, es abzumildern – ein wenig zumindest. Gerade wurde die Pflegeversicherung teurer, Beitragszahler:innen müssen nun 20 oder 30 Euro im Monat mehr bezahlen. Darüber kann man sich ärgern. Man kann es aber auch als Investition in die eigene Zukunft sehen. Jede und jeder kann gegen Ende des Lebens zum Pflegefall werden – und möchte dann sicher allumfassend und fürsorglich betreut werden. Und das auch bezahlen können.
So ganz alleingelassen, wie das bei all den berechtigten Klagen über das Pflegedilemma erscheint, werden Betroffene und ihre Angehörigen allerdings nicht. So zahlt ab 1. Januar 2024 der Staat den Heimbewohner:innen mehr Geld für den Eigenanteil, 2025 erhöht sich der Betrag dann noch einmal. Konkret heißt das: Auch im ersten, im Übrigen teuersten Jahr in einer Pflegeeinrichtung, übernimmt der Staat jetzt 15 Prozent des Eigenanteils, bislang waren es 5 Prozent. Ohnehin sinken ab dem 2. Jahr in einem Pflegeheim kontinuierlich die Kosten für die Pflegebedürftigen oder ihre Angehörigen, die sie aus eigener Tasche bezahlen. Nach wenigen Jahren ist es nur noch die Hälfte.
Das ist der aktuelle Stand. Ob das so bleibt, ist indes nicht ausgemacht. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt stetig, Demograf:innen rechnen 2030 mit 5,75 Millionen Pflegebedürftigen (jetzt sind es rund 5 Millionen), 2050 könnten es 7,25 Millionen sein. Ihre Pflege muss dann nicht nur bezahlt werden, sie muss auch geleistet werden können. Schon jetzt fehlt allerorten Fachpersonal. Die Härte dieses Jobs schreckt viele ab, sich beispielsweise als Altenpfleger:in ausbilden zu lassen. Für 100 freie Stellen stehen laut Arbeitsagentur nur 19 arbeitslose Pflegekräfte zur Verfügung. Dem Institut der deutschen Wirtschaft zufolge könnten 2035 etwa 500.000 Pflegekräfte fehlen.
Nun ist ein Pflegeheim keine Kneipe, die mangels Personal einfach mal dichtmachen kann. In einem dystopischen Szenario vegetieren alte Menschen in ihren verschmutzten Betten vor sich hin, sie sterben nicht an Altersschwäche, sondern an nicht erfolgter Fürsorge.
Das will natürlich niemand. Die Ampelregierung hat sich eine „freiwillige, paritätisch finanzierte Vollversicherung“ in den Koalitionsvertrag geschrieben, diese solle „geprüft“ werden. Auch die gesetzliche Pflegeversicherung war in den 1990er Jahren mal eine freiwillige Leistung. Übrigens: Ein Pflegeheimplatz für 6.000 Euro ist nicht unbedingt nötig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!