Korruptionsprozess gegen Staatsanwalt: Der Maulwurf ist immer woanders
Er soll mit einem Drogenkartell gemeinsame Sache gemacht haben: Erstmals sagte vor dem Landgericht Hannover der angeklagte Staatsanwalt aus.

14 Fälle von Bestechlichkeit, ein besonders schwerer Fall der Verletzung von Dienstgeheimnissen und zwei Fälle von Strafvereitelung im Amt werfen ihm die Ex-Kollegen von der Staatsanwaltschaft Osnabrück vor. Er soll die Mitglieder eines Drogenkartells, die Ware über den Hamburger Hafen schmuggelte, vor Überwachungsmaßnahmen, Razzien und Haftbefehlen gewarnt haben.
Für 5.000 Euro im Monat und möglicherweise die eine oder andere Zusatzzahlung. Vermittler soll G.s Boxtrainer gewesen sein, der ebenfalls auf der Anklagebank sitzt – aber anders als der Staatsanwalt nicht in Untersuchungshaft.
Die fast 300 Seiten lange Anklage stützt sich ganz wesentlich auf Chats, die den Ermittlern nach der Entschlüsselung der von Kriminellen gern genutzten Dienste „EncroChat“ und „SkyECC“ in die Hände fielen. In ihnen sprechen die Drogenhändler von Informanten aus dem Justizapparat, die zunächst mit „SA“, später mit „Cop“ und „Coach“ bezeichnet werden.
Angeklagter sieht sich als Sündenbock
Und so wird auch G.s stundenlanger Gegenvortrag eine eigenwillige Mischung aus detailversessener Zurückweisung, ausgiebigem Eigenlob und einem Lamento über die Einseitigkeit von Ermittlern, Medien und Oppositionspolitikern. Die Quintessenz: Der Maulwurf sitzt eindeutig im Landeskriminalamt (LKA), er sei hier nur der Sündenbock.
Es ist ein bisschen wie bei diesem Kinderspiel „Haut den Maulwurf“ (im englischen Original „Whack-a-mole“): Wo auch immer man dem Maulwurf mit dem Gummihammer auf den Kopf haut, er taucht aus einem der anderen Löcher im Spielfeld wieder auf.
Da ist zunächst die persönliche Ebene: Als erfahrener Ermittler sei er – Yashar G. – doch wohl nicht so bescheuert, sich offiziell in einem Gym anzumelden und dort auch bereitwillig für Selfies zu posieren, wenn er gleichzeitig vorhabe, an diesem Ort brisante Informationen zu übergeben. Auch dafür, dass die Ermittler ihm vorwerfen, den Kontakt dorthin plötzlich abgebrochen zu haben, hat er eine ganz andere Erklärung: Seine Frau habe ihm verboten, dort weiter hinzugehen, nachdem sie erfahren hatte, dass er mit seiner Geliebten dort war.
Und davon, dass sein Boxtrainer und Mitangeklagter der „Coach“ sei, ist er nicht restlos überzeugt – immerhin hätten sich so ja auch die fünf, sechs anderen Trainer dort nennen lassen. In dem Gym hätten außerdem diverse Polizisten trainiert.
„Tut ein korrupter Staatsanwalt so etwas?“
Überhaupt, sagt G., passe das doch alles gar nicht ins Bild – immerhin habe er die Verdächtigen, die angeblich auf seinen Tipp hin geflohen waren, ja auch danach im Ausland unnachgiebig weiter verfolgt und etliche von ihnen dann doch noch einer Verurteilung zugeführt. Fast immer mit harten, hohen Strafforderungen.
Die beiden Ermittlungskomplexe, intern „Belarus“ und „Adios“ betitelt, hätten vielmehr sein Gesellenstück werden sollen, ihm einen Namen verschaffen. Tag und Nacht habe er daran gearbeitet, kaum Urlaub gemacht, Feiertage und Wochenenden durchgearbeitet. „Tut ein korrupter Staatsanwalt so etwas?“
Und dann auch noch für 5.000 Euro im Monat? „Das ist doch ein Witz“, wettert G. Gemeinsam mit seiner Frau, einer Rechtsanwältin, habe er zu dieser Zeit über ein Haushaltseinkommen von 9.000 Euro verfügt, mit dem sie prima klargekommen seien. Das große Geld habe ihn überhaupt noch nie gelockt, obwohl ihm mit zwei Prädikatsexamen alle Türen offen standen. Er habe aber für die gute Seite arbeiten wollen. „Entschuldigung“, sagt er zu seinen Verteidigern.
Allerdings sei es in diesen Ermittlungsverfahren schon ziemlich früh zu Merkwürdigkeiten gekommen. Schon im Herbst 2019 habe ein Informant auf einen möglichen Maulwurf im LKA hingewiesen. Immer wieder habe der Hauptbeschuldigte S., der Kopf der Drogenbande, von Überwachungsmaßnahmen erfahren, Observationsteams abgeschüttelt, Autos und Handys gewechselt, Leute angewiesen, im Fahrzeug nicht zu reden. Anfangs habe man sich noch darüber lustig gemacht, dass der Beschuldigte die Kopfstützen seines Audi Q7 ständig wechselte, weil er darin Wanzen vermutete.
Angeklagter will sich noch umfangreicher äußern
Bei der Installation der Wanzen am Flughafen von Hannover sei es auch zu einer Panne gekommen: Erst nach der Installation habe sich herausgestellt, dass der beauftragte Techniker ein Cousin der beiden Hauptbeschuldigten ist – alle drei sind griechischer Abstammung.
An den Durchstechereien habe sich erst etwas geändert, nachdem drei Beamte aus der Ermittlungsgruppe in eine andere Abteilung gewechselt sind. Zufall? Überhaupt habe er es ja richtig gefunden, dass sein Verfahren letztlich an die Staatsanwaltschaft Osnabrück abgegeben worden sei – aus Gründen der Unabhängigkeit. Aber was sei denn mit dem Umstand, dass hier das LKA gegen sich selbst ermittle? Zum Teil unter Beteiligung der gleichen Personen?
Für ihn sei offensichtlich, dass hier wohl vor allem der eigene Stall sauber gehalten werden soll. Und weil die Staatsanwaltschaft nun politischen Druck verspüre und aufgrund der drohenden Verjährung dringend einen Schuldigen präsentieren müsse, sei man eben bei ihm gelandet.
Dazu sei man mit einer „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Karte durch die Gegend gelaufen und habe sechs Berufskriminelle gefunden, für deren harte Strafen er verantwortlich sei, die als Hörensagen-Zeugen alles Mögliche aussagen würden.
Erst vor ein paar Tagen habe es einen tätlichen Übergriff auf ihn gegeben, bei dem drei Albaner beim Hofgang, im toten Winkel der Kamera, auf ihn einschlugen. Er vermute einen Zusammenhang mit dem Zeugen Jonas H., der mit einer Albanerin verheiratet ist. Jonas H. ist jener Spediteur des Drogenkartells, dessen Urteil vom BGH aufgehoben wurde – allerdings nicht, weil Yashar G. an dem Verfahren beteiligt war, sondern weil der BGH fand, man habe die Aufklärungsbemühungen des Spediteurs nicht hinreichend gewürdigt.
Möglicherweise wird der auch noch als Zeuge aussagen müssen, genauso wie der leitende LKA-Ermittler. Das könnte eine spannende Konfrontation werden. Der Prozess vor dem Landgericht Hannover wird am Dienstag und Donnerstag fortgesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!