Korruptionsermittlungen in Brasilien: Das ganze System bloßgestellt
Der Oberste Gerichtshof ermittelt gegen 300 Politiker aus dem gesamten Spektrum. Darunter die Expräsidenten Cardoso, Lula und Rousseff.
Der oberste Richter Edson Fachin wollte sich mit der Veröffentlichung der bombastischen Nachricht eigentlich noch etwas Zeit lassen. Doch wie so oft sickerten brisante Details aus der Justiz an die Presse durch und setzten ihn unter Druck.
Am Dienstagabend veröffentlichte Fachin die komplette Namensliste: Rund 300 amtierende oder ehemalige Politiker werden verdächtigt, vom Baukonzern Odebrecht Geld gegen Gefälligkeiten angenommen zu haben.
Die Ermittlungsverfahren betreffen einige der engsten Vertrauten von Temer wie seinen Kabinettschef Eliseu Padilha und den Vorsitzenden seiner Regierungspartei PMDB, Senator Romero Jucá. Neben den Präsidenten von Senat und Parlament, Außenminister Aloysio Nunes Ferreira und dem im jüngsten Gammelfleischskandal oft zitierten Agrarminister Blairo Maggi steht auch der frühere Bürgermeister der Olympiastadt Rio de Janeiro, Eduardo Paes, auf der Liste. Aécio Neves, ehemaliger Präsidentschaftskandidat und Vorsitzender der wichtigsten Koalitionspartei PSDB, steht ebenfalls unter Verdacht.
Bestechung für überteuerte staatliche Aufträge
Grundlage der Ermittlungen sind Kronzeugenaussagen von ehemaligen Managern des Bauunternehmens Odebrecht. Gemeinsam mit anderen Firmen soll Odebrecht jahrelang Politiker aller Couleur bestochen haben, um lukrative und überteuerte staatliche Aufträge zu ergattern, unter anderem vom halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras. Auch Temer selbst soll in zwei Fällen an Straftaten beteiligt gewesen sein. Ermittelt wird gegen ihn jedoch nicht, da das Staatsoberhaupt Immunität für Taten vor seinem Amtsantritt besitzt.
Neben den Ermittlungen gegen insgesamt 97 Politiker und einen Richter des Rechnungshofs, gegen die aufgrund ihres Ämter nur vor dem Obersten Gericht prozessiert werden darf, gibt es 200 weitere Fälle, die Fachin an untergeordnete Instanzen verwies. Auf dieser Liste finden sich die Namen von immerhin vier Expräsidenten, darunter Dilma Rousseff, Luis Inácio Lula da Silva und deren Vorgänger Fernando Henrique Cardoso.
Die Bloßstellung des gesamten politischen Systems Brasiliens hat aber noch keine unmittelbaren juristischen oder personellen Konsequenzen. Mit einer Anklageerhebung wird frühestens im nächsten Jahr gerechnet. Zudem bereitet der Kongress bereits neue Gesetze vor, mit denen unter anderem illegale Wahlkampffinanzierung nachträglich erlaubt werden soll.
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