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Korruption und Gewalt in MexikoZwangsarbeit für die Kartelle

Über die Ambivalenz zivilgesellschaftlicher Strategien im Umgang mit Gewalt in Mexiko ging es auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.

Vor allem auf lokaler Ebene sind zahlreiche Gruppen gegen Mafia- und Polizeigewalt aktiv – auf diesem Bild ist beides zu sehen: Polizei und Mafia. Bild: dpa

Was tun, wenn der Staat nichts tut? Wenn Polizisten auf der Gehaltsliste der Mafia stehen und Soldaten dafür verantwortlich sind, dass Menschen verschwinden? Um sich gegen den alltäglichen Terror krimineller Organisationen zur Wehr zu setzen, bilden mexikanische Bürgerinnen und Bürger zunehmend autonome, von staatlichen Institutionen unabhängige bewaffnete Gruppen.

In vielen Dörfern der armen südlichen Bundesstaaten Michoacán und Guerrero patrouillieren Männer und Frauen, die sich in diesen Milizen zusammengeschlossen haben. Aber auch im reicheren Norden sind paramilitärische Einheiten entstanden.

Über die Ambivalenz dieser „Volksbewaffnung“ und andere zivilgesellschaftliche Strategien im Umgang mit Korruption und Gewalt sprachen am Dienstag Vertreter aus Mexiko auf einer Veranstaltung der Heinrich Böll Stiftung in Berlin.

Ganz neu sind die autonomen Sicherheitskräfte nicht. Schon seit 17 Jahren agiert in Dutzenden von Gemeinden Guerreros eine „Gemeindepolizei“, die auf Wiedereingliederung von Straftätern und Entschädigung der Opfer setzt. Solange die Geschäfte der Kartelle niemand in Mitleidenschaft zog, lebte man in friedlicher Koexistenz. Doch seit die Mafia zunehmend Schutzgeld kassiert, Menschen entführt und Ackerland beschlagnahmt, ist damit Schluss.

Auseinandersetzungen mit der Polizei

Anfang des Jahres entschlossen sich Mitglieder der Gemeindepolizei sowie andere Gruppen, gegen die organisierte Kriminalität vorzugehen. Die gewalttätigen Kämpfe haben seither nicht nachgelassen. Regelmäßig liefern sich die Milizen auch Auseinandersetzungen mit der Polizei, einige sitzen im Gefängnis.

„Es herrscht ein großes Durcheinander“, erklärt Rodolfo Aguirre von der Böll-Stiftung in Mexiko. Manche seien schwer bewaffnet, andere würden nur Wache schieben. Dass Bürgerwehren Gefahren mit sich bringen, steht außer Zweifel. Nicht nur, weil manche für die Mafia arbeiten. Angesichts der Tatenlosigkeit der Polizei kommt es immer wieder zur Lynchjustiz gegen Kriminelle. „Wir leben in einer sehr explosiven Situation“, warnt Aguirre.

Jorge Verástegui von der Menschenrechtsorganisation Fuundec verweist darauf, dass Unternehmen im Norden des Landes bewaffnete Gruppen anheuern, um sich vor der Mafia zu schützen. Schon deren Namen – Guardias Blancas (Weiße Wachen) – erinnert an rechte Paramilitärs, wie sie seit Langem in Kolumbien aktiv sind und sich schnell auch gegen Gewerkschafter oder Kleinbauern richten können. Man müsse die Gruppen differenziert betrachten, plädiert Aguirre: „Wir sollten sie nicht alle verurteilen, aber sie auch nicht in den Himmel loben.“

Fuundec kümmert sich um die Verschwundenen

Zivilgesellschaftliches Engagement in Mexiko sieht natürlich auch anders aus. Zwar hat die Friedensbewegung des Dichters Javier Sicilia, die vor zwei Jahren von sich hören machte, keine Relevanz mehr, aber vor allem auf lokaler Ebene sind zahlreiche Gruppen gegen Mafia- und Polizeigewalt aktiv. So kümmert sich Fuundec um die Angehörigen der vielen Menschen, die verschwunden sind – das Statistische Amt spricht von mehr als 105.000 Entführungen allein im letzten Jahr.

Warum die Kriminellen Menschen entführen, ist nicht eindeutig geklärt. Durchreisende Migrantinnen und Migranten verschwinden, um deren Angehörige zu erpressen oder die Frauen zur Prostitution zu zwingen. In Coahuila, wo Fuundec aktiv ist, trifft es jedoch auch Architekten, Kommunikationstechniker oder Veterinärmediziner.

„Es sind Menschen mit speziellen Profilen, die wohl Zwangsarbeit für die Kartelle verrichten müssen“, erklärt Aktivist Verástegui. So viel konnten die Menschenrechtsverteidiger bisher von den wenigen Entführten erfahren, die wieder freikamen. Viele tauchen erst wieder als Leichen in Massengräbern auf.

„Picar Piedra“ – „Stein zerhacken“. Unter diesem Titel hat die Böll-Stiftung Mexiko ein spanischsprachiges Buch herausgegeben, das sich mit den zivilgesellschaftlichen Strategien gegen die gewalttätigen Verhältnisse befasst. Hier kommen neben der Fuundec und Aguirre Initiativen aus Guatemala, Honduras und anderen Ländern zu Wort. Angelehnt an italienische Erfahrungen resümierte Mitherausgeberin und Moderatorin Ingrid Spiller am Dienstag: „Auf der Gewaltebene ist der Kampf nicht zu gewinnen. Die kulturelle Hegemonie der Mafia muss gebrochen werden.“

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