Korruption in der Ukraine: Kyjiws langwieriger Kampf
Die Ukraine freut sich über die Lieferung westlicher Panzer. Aber das Land hat noch eine Front, an der Panzer nicht helfen werden – die Korruption.
Die Null-Korruption unter Kriegsbedingungen sowie ein wirksamer Kampf gegen ihre Erscheinungsformen werden zu wichtigen moralischen Komponenten der ukrainischen Gesellschaft, die sich gemeinsam gegen einen Feind – Russland – zusammenschließt. Gleichzeitig wird er zur unmittelbaren Grundlage, um die nötige militärische und finanzielle Hilfe von westlichen Partnern zu erhalten. Bei der aufgedeckten Geldveruntreuung ging es um überteuerte Preise für den Kauf von Lebensmittel und Verpflegung und für Ausrüstung und Generatoren für die Soldaten.
Nicht nur Selenski versteht das, sondern auch Journalisten und Aktivisten, die trotz Krieges weiterhin die Korruption von Beamten aufdecken. „Unser Traum ist es, in einem freien Land zu leben – nicht nur von Russland, sondern auch von Korruption“, schrieb die Ukrayinska Pravda in dem Leitartikel, der die wichtigsten Koruptionsfakten bekannt gab.
Witalij Schabunin, Vorstandsvorsitzender des Antikorruptionszentrums, ist der Ansicht, dass diese Skandale zum Bruch des Gesellschaftsvertrags zwischen Behörden und Gesellschaft, der am 24. Februar 2022 geschlossen wurde, geführt habe. Das Präsidialamt ist sich der Lage bewusst und reagierte blitzschnell. Am 7. Februar tagt das ukrainische Parlament, Werchowna Rada, wieder und viele erwarten eine weitere Welle von Personalwechseln.
Korruptionsbekämpfung als Weg in die EU
Kyjiws schnelles Handeln diese Woche ist der EU nicht verborgen geblieben. Im Juni 2022 erhielt die Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten. „Wir begrüßen die Tatsache, dass die ukrainischen Behörden diese Probleme ernst nehmen“, sagte die Sprecherin der Europäischen Kommission, Ana Pisonero, bei einem Briefing in Brüssel. „Maßnahmen gegen Korruption umzusetzen ist ein Schlüsselaspekt des EU-Beitrittsprozesses und der politischen Bedingungen für die Fortsetzung der EU-Finanzhilfe.“
Die Ukraine hat bereits eine recht umfangreiche Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung mit sechs unabhängigen Institutionen aufgebaut – darunter ein Ermittlungsbüro, eine Staatsanwaltschaft und ein Gericht. Allerdings sind noch nicht alle einsatzbereit, und ein paar warten auf eine Leitungskraft.
Gleichzeitig stellt der frühere Wirtschaftsminister Tymofij Mylowanow fest, dass die Ukraine bereits weitere Schritte unternommen hat, etwa die Reform der Zentralbank und des Bankensystems, die Schaffung eines transparenten elektronischen Systems für das öffentliche Beschaffungswesen, die Reform der Patrouillenpolizei und die Öffnung des Grundstücksmarktes.
Mylowanow gibt jedoch zu, dass noch viel Arbeit bevorsteht, unter anderem die Gerichtsreform und Maßnahmen gegen Oligarchen. „Oligarchen kontrollieren noch viele Monopole, daher ist eine Kartellrechtsreform notwendig. Lobbyismus und politische Wahlkampfspenden müssen beseitigt und reguliert werden“, unterstreicht der ehemalige Minister.
Der Krieg als Ende der Oligarchen
Durch den Krieg haben ukrainische Oligarchen Vermögen und Millionen Dollar verloren, auch ihre Unternehmen wurden zum Teil zerstört. Rinat Achmetow ist zwar weiterhin der reichste Mann der Ukraine, aber laut verschiedenen Schätzungen hat er bis zu 70 Prozent seines Kapitals verloren.
Sein größtes Unternehmen Metinvest im besetzten Mariupol hat Industriegiganten wie das Stahlwerk Azovstal und die Illich Eisen- und Stahlwerke verloren, die bei den Kämpfen vollständig zerstört wurden. Die größte Koks- und Chemieanlage Europas, die sich in der Frontstadt Awdijiwka in der Region Donezk befindet, wurde ebenfalls stillgelegt. Die Wiederinbetriebnahme dieser Anlagen könnte etwa 20 Milliarden Dollar kosten. Auch in einem anderen Industriezweig, in dem Achmetow ein Monopol hat – der Energiewirtschaft -, erleidet sein Unternehmen DTEK bei jedem Raketenangriff Russlands Millionen von Dollar an Verlusten.
Ein anderer ukrainischer Unternehmer, Ihor Kolomojskyj, dem 2022 von Selenski die ukrainische Staatsbürgerschaft entzogen wurde, verlor ebenfalls einen Großteil seines Kapitals durch den Krieg. Im Frühjahr zerstörte der russische Beschuss eine seiner wichtigsten Anlagen, die Ölraffinerie von Krementschuk, die mehr als ein Drittel des gesamten ukrainischen Kraftstoffmarktes belieferte, vollständig.
Gleichzeitig verstaatlichte die Ukraine im Herbst seine teuersten Aktiva, Ukrnafta und Ukrtatnafta. Sie erhielten den Status von Militärgütern und wurden der Verwaltung des Verteidigungsministeriums unterstellt. Diese Entscheidung wurde jedoch nur für die Zeit des Kriegsrechts getroffen. Später können sie laut Gesetz an den Eigentümer zurückgegeben werden oder der Staat muss eine Entschädigung für sie zahlen.
Viele Experten und Ökonomen in der Ukraine glauben, dass der Krieg das Ende einer Ära von Industrieoligarchen bedeutet, die ihr Vermögen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erworben haben. Sie weisen darauf hin, dass es unwahrscheinlich ist, dass sie ihren Status wiedererlangen, wenn der Krieg vorbei ist. Gleichzeitig wird die Wirksamkeit der ukrainischen Gesetzgebung, einschließlich der Umsetzung des so genannten Anti-Oligarchen-Gesetzes und des Oligarchenregisters, darüber entscheiden, ob neue Oligarchen und Monopolisten im Land auftauchen können.
Laut dem Korruptionsindex von Transparency International (TI) lag die Ukraine 2021 auf Platz 122 der Welt-Rangliste und ist damit im Vergleich zu 2020 um einige Plätze zurückgefallen. Am 31. Januar wird TI den aktuellen Bericht veröffentlichen, aus dem hervorgehen wird, inwieweit das Korruptionsniveau im Zuge der Anti-Korruptions-Infrastruktur und des Krieges tatsächlich zurückgegangen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe