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Koreanisches KulturerbeIm Schlag der großen Jingo-Trommel

Mit „Jongmyo Jeryeak“ ist eine geheimnisvolle, streng disziplinierte Musik zu hören. Erstmals ist dieses koreanische Ritual in Deutschland auf Tour.

Prächtige Kostüme, gewagte Hutmoden: Jongmyo Jeryeak-Ritus in der Berliner Philharmonie Foto: Fabian Schellhorn/Berliner Festspiele

I n einem Crashkurs vorab durfte man erfahren, dass die Farbe Grün in Korea für den Osten steht und Weiß für Westen. Einmal Klatschen meint Anfang, dreimal Klatschen bezeichnet ein Ende. Und wahrscheinlich hat man auch schon K-Pop gehört, die koreanische Popmusik, und war bestimmt mal koreanisch essen, um wenigstens etwas gerüstet in diesen Abend zu gehen, der einen schließlich mit einem wirklichen Herzstück der koreanischen Kultur bekannt machen sollte.

Und dann sitzt man mit diesen lächerlichen Vorbereitungen in der Berliner Philharmonie und hört die Musik, freut sich an prächtigen Kostümen und den gewagten Hutmodellen, schaut den Tänzerinnen bei ihren abgezirkelten und streng ritualisierten Armbewegungen zu und sieht sogar links auf der Bühne ein seltsames grünes Instrument und rechts ein noch seltsameres in Tigerform. Es ist weiß. Osten. Westen. Aber was heißt das schon?

Man weiß also eigentlich gar nichts. Nicht mal, ob man seinen Ohren trauen darf.

Aufgeführt wird vom National Gugak Center aus Seoul das „Jongmyo Jeryeak“, ein Ritual zur Ehrung der koreanischen Könige. Jahrhundertealt. Unesco-Kulturerbe. Anlässlich des 50. Jahrestags des koreanisch-deutschen Kulturabkommens ist es erstmals überhaupt auf Deutschland-Tournee, am Montag war der Auftakt in Berlin.

Ornamental höchst wirkungsvoll drapieren sich auf der Bühne der Philharmonie weit über 50 Beteiligte, die singen, tröten und die große Jingo-Trommel – „die größte Trommel, die heute in Korea gespielt wird“ (Programmheftwissen) – schlagen, dumpf, wuchtig. In einem zähen Puls kommt die Musik in Gang mit dem rezitativen Singen, in dem die Heldentaten der einstigen und längst dahingestorbenen Könige beschworen werden.

Jongmyo Jeryeak auf Tour

Von Korea: Jongmyo Jeryeak ist ein Zusammenspiel aus Musik, Tanz, Gesang und traditionellen Gewändern. Aufführungen gibt es normalerweise nur am konfuzianischen königlichen Jongmyo-Schrein in der Seouler Innenstadt.

Nach Deutschland: Anlässlich des 50-jährigen Jahrestages des koreanisch-deutschen Kulturabkommens kommt die fast 600 Jahre alte koreanische Tradition auf deutsche Bühnen: Am 17. September gibt es eine Aufführung in der Hamburger Elbphilharmonie, am 23. September im Prinzregententheater in München im Rahmen der Konzertreihe musica viva des BR, und am 26. September in der Kölner Philharmonie.

Gefangen im Sog

Eine geheimnisvolle, leicht leiernd klingende und immer streng disziplinierte Musik, die anders temperiert ist als die hiesige. Halt anders richtig. Erdschwer ist sie und in den ewigen Wiederholungen gleichwohl auffliegend, sich verflüchtigend. Sehr fremd und doch, manchen Prinzipien nach, auch vertraut, weil das Jongmyo Jeryeak letztlich gar nicht so weit weg ist von den musikalischen Riten der christlichen Kirche, mit denen man gleichermaßen ganz diszipliniert abdriften kann und sich auf­geben in etwas Größerem.

Hier in der Philharmonie ist es die Großartigkeit der koreanischen Könige, die allerdings wohl alle immer gleich großartig waren, jedenfalls bemüht sich die Musik überhaupt nicht um Abwechslung, so dass sie mit den stets wiederkehrenden Schleifen und Motiven – Unesco-Kulturerbe hin oder her – doch ermüden kann, dass man mit seinen Gedanken auch mal abschweift: ob etwa so eine musikalische Anbetung ebenfalls bei der Demokratie vorstellbar wäre, immerhin hat auch Korea keine Könige mehr.

Möglicherweise aber würden reale und praktizierende Könige so einer ritualisierten Traditionspflege sowieso im Weg stehen.

Aber selbst solche Überlegungen zermalmt dann die Musik in ihrer kreiselnden Bewegung. Gefangen ist man wieder in dem meditativen Sog.

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Thomas Mauch
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1960, seit 2001 im Berlinressort der taz.
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