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Kopftuch-StreitKlare Kampfansage

Gutachter der Bildungsverwaltung: Das Neutralitätsgesetz ist rechtens, Lehrerinnen mit Kopftuch befeuern religiöse Konflikte.

Kopftuch-Streit vor dem Arbeitsgericht 2016 Foto: dpa

Berlin taz | Das Neutralitätsgesetz widerspricht weder dem Grundgesetz noch den Normen der EU noch dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz: Das ist die Botschaft des Rechtsgutachtens im Auftrag der Senatsverwaltung für Bildung, das am Donnerstag von Senatorin Sandra Scheeres (SPD) präsentiert wurde. Erstellt wurde es vom Rechtswissenschaftler Wolfgang Bock, außerordentlicher Professor an der Juristischen Fakultät der Uni Gießen. Bock erklärte, eine Änderung des Gesetzes sei „weder geboten noch zu empfehlen“.

Kern des Gutachtens ist die Feststellung, dass aus einer an Berliner Schulen „verbreiteten islamischen Religionskultur“ Konflikte entstünden, etwa um Bekleidungsgebote, die das ungehinderte Lernen bedrohten oder einschränkten, den Schulfrieden störten und die negative Religionsfreiheit anderer SchülerInnen verletzten.

Bock erklärte, er gehe für Berlin von einem Anteil von 25 bis 30 Prozent muslimischer SchülerInnen aus, von diesen sei „mindestens ein Drittel“ der islamischen Religionskultur „tief verhaftet“. Für diese sei zentral nicht nur die Vorstellung einer Unterordnung der Frau unter den Mann sowie die Beachtung von Bekleidungsvorschriften, sondern auch, dass man als Muslim verpflichtet sei, die Einhaltung dieser Vorschriften bei anderen Muslimen durchzusetzen. Letztere Vorschrift unterscheide den Islam von allen anderen Religionen, betonte der Wissenschaftler. Für seine Einschätzung, wie verbreitet diese Ansichten unter Muslimen sind, beruft er sich vor allem auf weltweite representative Befragungen von Muslimen durch das „Pew Research Center“ zwischen 2008 und 2012.

Aus dieser Einstellung, so Bock, ergeben sich zahlreiche Konflikte, vor allem unter Muslimen: „Das kann bis hin zu einem auf Gruppenkonformität bezogenen Mobbing reichen.“ Entsprechende Berichte von Schulleitungen habe ihm die Bildungsverwaltung zur Verfügung gestellt. Die LehrerInnen müssten derartigen Konflikten „auch mittels strikter Neutralität“ entgegen wirken, sagte Bock. „Das Tragen eines islamischen Kopftuchs ist aber ein vorhersebarer Faktor für die Entstehung und Beförderung solcher Konflikte“, so Bock.

Revision vor Bundesarbeitsgericht

Mit dieser Argumentation hat auch Scheeres immer das Neutralitätsgesetz von 2005 verteidigt. Das Gesetz verbietet BeamtInnen in Justizwesen und Polizei, sowie LehrerInnen an öffentlichen Schulen das Tragen von religiös konnotierten Symbolen und Kleidungsstücken.

Das Gesetz war in letzter Zeit unter großen Druck geraten, bei Linken und Grünen mehren sich Stimmen, die es zugunsten von „Kopftuch-Lehrerinnen“ ändern wollen. Die SPD will am Gesetz festhalten. Die Bildungsverwaltung war mehrfach von Lehrerinnen mit Kopftuch, die keine Anstellung bekommen hatten, verklagt worden und in zwei Prozessen vom Landesarbeitsgericht zu Entschädigungszahlungen wegen Verstoßes gegen das Gleichstellungsgesetz verurteilt worden.

In einem dieser Prozesse sei man in Revision gegangen, erklärte die Prozessbevollmächtige von Scheeres, Seyran Ates. Beim Bundesarbeitsgericht (BAG) habe man das Gutachten zur Stützung der eigenen Argumentation eingebracht; nun warte man auf den Termin. „Wir stehen hier vor absolutem Neuland.“

Ates spielte damit auf den Hintergrund der Rechtsstreitigkeiten an, auf den Bock in seinem Gutachten ausführlich eingeht. Dabei geht es um zwei divergierende Entscheidungen der beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). 2003 hatte der zweite Senat in einem „Kopftuch-Streit“ entschieden, die Bundesländer könnten Verbote von religiöser Kleidung erlassen, sofern sie in dieser eine „abstrakte“ Gefahr für den Schulfrieden erkannten. Daraufhin entstand das Berliner Neutralitätsgesetz. 2015 entschied jedoch der erste Senat desselben Gerichts, ein Verbot sei nur bei „konkreter“ Gefährdung des Schulfriedens statthaft, ansonsten wiege die Religionsfreiheit von Lehrerinnen höher.

In dieser „einmaligen Situation in der Rechtsprechung“, so Bock, seien Behörden weder an die eine, noch die andere Entscheidung gebunden. Ates betonte, man habe dem BAG vorgetragen, dass eine alleinige Berufung auf das Urteil von 2015 „für uns nicht akzeptabel“ sei. Aber falls man vor Gericht erneut unterliege, „wären wir juristisch am Ende“, die Verwaltung könne nicht vors BVerfG ziehen. Dies stehe im Fall einer Niederlage alleine der Gegenseite zu.

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7 Kommentare

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  • ob die redaktion wohl einen link auf das 122-seitige gutachten von wolfgang bock setzen könnte? ich täte das nämlich erst mal gern lesen, bevor ich mich weiter darüber wundere, wie aus ihm ein scheinbar sattelfester islamwissenschaftler werden konnte.

    • @christine rölke-sommer:

      hat sich erledigt - selbst gefunden, kann unter www.berlin.de/sen/...teilung.843844.php heruntergeladen werden.



      beim ersten durchlesen fielen mir 2 schwachstellen auf. 1. unterschlägt herr bock, dass mittlerweile auch im islam historisch-kritisch angekommen ist, zb anne uni münster und 2. gefällt ihm diese expertise docplayer.org/4640...etz-vereinbar.html nicht - woran besonders pikant ist, dass susanne baer seit 2/2011 richterin am BVerfG ist. honi soit, qui...

  • Jemand, der einer Muslima das Tragen des Kopftuchs bei Strafe der Entlassung verbieten muss, ist genau so wenig zu „strikter Neutralität“ fähig wie jemand, der sie bei Strafe der Entlassung zum Tragen des Kopftuchs zwingt. Ein Atheist ist schließlich auch nur ein Gläubiger, der an die Nicht-Existenz Gottes glaubt.

    Für mich und von hier aus wirkt der ganze Kopftuchstreit eher bizarr. Wenn ich lese, dass aus öffentlichen Mitteln bezahlte Gutachter im Auftrag und auf Rechnung sendungsbewusster Senatorinnen Ablassscheine ausstellen, höre ich vor meinem geistigen Ohr meine verstorbene Oma sagen: „Wes Brot ich ess‘, des‘ Lied ich sing.“

    Im Augenblick sieht es für mich danach aus, als ginge die Gefahr des „auf Gruppenkonformität bezogenen Mobbing[s]“ weniger von den maximal 10% „muslimischer SchülerInnen“ aus, die ihrer Religionskultur „tief verhaftet“ sein sollen, sondern von der Schulsenatorin und ihrem Lieblingsgutachter. (By the way: Wurden für die Zahl tatsächlich Personen befragt oder nur Familiennahmen gezählt?)

    „Der Islam“, scheint mir, unterscheidet sich nicht wirklich vom „allen anderen Religionen“ dieser Erde. Jene Gläubigen jedenfalls, an die Macht hochtrabender Titel, teurer Gefälligkeitsgutachten und darauf fußender Verbote glauben, betrachten „die Vorstellung einer Unterordnung“ sowie „die Beachtung von Bekleidungsvorschriften“ ebenfalls als ausgesprochen „zentral“. Auch sie fühlen sich „verpflichtet, die Einhaltung dieser Vorschriften bei anderen [...] durchzusetzen.“ Notfalls mit Polizeigewalt.

    Der „Kern des Gutachtens ist die Feststellung, dass aus der Religionskultur einzelner Schüler Konflikte entstehen? Dann haben die Verfasser desselben womöglich beim Blick in ihre Glaskugel vor allem ihr eigenes Spiegelbild gesehen. Das Kopftuchtragen ist jedenfalls vor allem da „ein vorhersehbarer Faktor“ für die „Entstehung und Beförderung [von] Konflikte[n]“, wo man es unter Strafandrohung zu verbieten versucht. Wer etwas anderes behauptet, lügt.

  • Die Frage wäre so einfach geklärt, wenn man in den Gerichten endlich begreifen würde, dass dasKopftuch NICHT eine Forderung des Islam ist.



    Ein kleiner Hinweis könnte schon sein, wenn man sich die Betichte noch einmal durchliest, was passierte, als Islamisten ein muslimisches Land überrollt haben: als erstes wurden die Frauen unterdrückt und zum Tragen des Kopftuches gezwungen. Da diese Länder aber auch vorher schon muslimisch waren, kann der Islam die Unterdrückung der Frauen und das Tragen des Kopftuches gar nicht vorschreiben! Tut es auch nicht.



    Das ist eine KULTURELLE Eigenheit aus dem nahen Osten, die bei der ursprünglichen Islamisierung nicht ausgerottet wurde und nun als religiös verbrämt zu Unterdrückung der Grauen eingesetzt wird. Dass das regional kulturell ist, kann man auch an den in der Region älteren christlichen Gemeinden erkennen, in denen die Frauen traditionell ebenfalls Kopftuch tragen - und zwar länger, als es den Islam gibt.



    Ergo: das Kopftuch ist nicht religiös und fälkt damit auch nicht unter den Schutz der freien Religionsausübung. So einfach und so klar!

    • @Mainzerin:

      Wenn jemand sich auf seine Religionsfreiheit beruft, muss die Argumentation nur in sich halbwegs nachvollziehbar sein.

      Es steht Richtern nicht zu, als quasi neutrale Kontrollinstanz zu prüfen, ob die Religion das nun auch wirklich so vorschreibt.

      Auf diese Weise bekommt auch die winzigste religiöse Untergruppe der kleinsten Abspaltung ihren grundgesetzlich garantierten Schutz.

      Wenn jemand kommt und sagt, mein Kopftuch oder sonstwas gehört zu meiner Religionsausübung, weil eben mein Hoca das so sagt, und er es kohärent begründen kann, dann darf ein Richter in seinem Urteil das nicht anzweifeln.

      Da kann er tausendmal Ihrer Meinung sein.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Mainzerin:

      Ich stimme Ihnen zu.

      Die zwei wichtigsten Wesenszüge des Islamismus sind die Unterdrückung der Frauen und der eliminatorische Antisemitismus.

      Der Iran ist das beste Beispiel dafür.

    • @Mainzerin:

      Danke. Es braucht einfach mehr kulturhistorischen Kontext in dieser Frage.

      "Interessant" ist ja immer der Aspekt, dass, ungeachtet der Religion, es Regeln sind, die ausschließlich für Frauen gelten.

      Im ortjodoxen Judentum ist es die Perücke, in älteren christlichen Traditionen und in konservativen islamischen Traditionen das Kopftuch.

      Immer sollen Frauen sogenannte Reize verstecken, damit der Mann nicht in Versuchung gerät und für nichts mehr garantieren kann. Diese Regel ist also im Kern zutiefst sexistisch sowohl Frauen als auch Männern gegenüber.

      Das ist dieselbe Logik, die leichtbekleideten Frauen die Schuld an ihrer Vergewaltigung zuweist.

      Die Linke scheut sich aber, solche Zusammenhänge zu benennen. Und das ist schizo hoch drei und tut dem gesellschaftlichen Miteinander keinen Gefallen.