Konzertprojekt zu Genozid an Armeniern: Türkei klagt über Dresdner Orchester
Für die Dresdner Sinfoniker ist „Aghet“ ein Versöhnungsprojekt. Die Türkei lehnt diese Erinnerung an den Völkermord an Armeniern jedoch ab.
Die Exekutivagentur für Bildung, Audiovisuelles und Kultur bei der EU-Kommission stehe hinter „Aghet“, berichteten die „Dresdner Neuesten Nachrichten“. Sie hat Rindt zufolge insofern nachgegeben, als sie Informationen darüber auf ihrer Internetseite entfernte. „Das finden wir nicht gut.“ Es sei ein Warnsignal, dass die türkische Regierung selbst vor Einflussnahme auf freie Meinungsäußerung in Kunst und Kultur in Europa nicht zurückschrecke.
Sie hat laut Rindt sogar damit gedroht, ihre Zahlungen in den Kulturförderfonds einzustellen und die Beitrittsverhandlungen abzubrechen. „Sie wollten, dass niemand davon erfährt und dass die Begriffe Genozid und Völkermord getilgt werden.“ Für die Musiker namhafter europäischer Orchester sei eine solche „Entschärfung“ inakzeptabel. „Man muss beim Namen nennen, was es war; wir können nicht drum herumreden, dass es um Völkermord geht.“
Die Brüsseler EU-Kommission bestätigte, dass der Text von der Website entfernt wurde. Es habe Bedenken gegeben bezüglich der Wortwahl. Daher sei der Text vorübergehend entfernt worden, um über neue Formulierungen zu sprechen. Nach Angaben einer Sprecherin soll in den nächsten Tagen eine neue Projektbeschreibung veröffentlicht werden. Die EU-Kommission unterstütze das Projekt mit 200.000 Euro. „Seine Umsetzung ist nie in Frage gestellt worden.“
Ungerechtfertigte Anschuldigung
Die vorübergehende Streichung sei das „absolut falsche Signal“, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir der Bild am Sonntag. Der Völkermord an den Armeniern sei eine historische Tatsache. Weder EU noch Deutschland dürften erpressbar sein. Kritik kam auch vom deutsch-türkischen Gitarristen Marc Sinan, von dem die Idee zu „Aghet“ stammt. Die Leugnung des Genozids durch die Türkei ebne den Boden „für die maßlose Gewalt“ gegenüber den Kurden. „Das Appeasement durch die EU-Kommission macht Europa zum Mittäter.“
Ersten Verhaftungen armenischer Intellektueller in Istanbul waren 1915 Deportationen und Vernichtung gefolgt. Schätzungen zufolge kamen 800.000 bis 1,5 Millionen Angehörige der christlichen Minderheit im Osmanischen Reich ums Leben. Die Türkei als dessen Nachfolger sieht im Begriff Völkermord eine ungerechtfertigte Anschuldigung. „Wir wollen einen Dialog in Gang setzen“, sagte Rindt. Nach Aufführungen in Dresden Ende April soll das Konzert, für das sich die Sinfoniker mit Kollegen aus der Türkei, Armenien und Mitgliedern des No Borders Orchestra aus dem früheren Jugoslawien verstärkten, in Istanbul, Belgrad und Jerewan gastieren.
Die Intervention zeige, wie wichtig gerade das Gastspiel in Istanbul für die gemeinsame Vergangenheitsbewältigung sei, betonte Rindt. Die sächsische Europaabgeordnete Cornelia Ernst (Linke) bemerkte, Kunst- und Meinungsfreiheit als höchste Güter und Säulen der EU seien keine Verhandlungsmasse. „Wer Mitglied der EU werden will, muss diesen Werten entsprechend handeln.“
Für die Sinfoniker ist der Widerstand vom Bosporus nichts Neues. Auch 2014 hat laut Rindt „die Benennung des Genozids genügt, um die türkische Regierung auf den Plan zu rufen“. Deren Kulturministerium und die aserbaidschanische Botschaft zogen ihre Unterstützung für ein Projekt kurz vor der Premiere zurück. Nun sehen sich die Sinfoniker in einer Reihe mit dem Satiriker Jan Böhmermann. Dabei gehe es ihnen nicht um Provokation, sondern Versöhnung, sagte Rindt. „Schade, dass sie das nicht verstehen.“
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