Konzertempfehlung für Berlin: Popfeministischer Nahkampf
Die neue Veranstaltungsreihe „Ich brauche eine Genie“ betont auch in ihrer zweiten Ausgabe heute Abend das Können von Musikerinnen.
Ja, ja, die Genialen Dilletanten: 36 Jahre ist es her, dass Berliner Post-Punks und Künstler sich unter diesem Label mit einem Festival feierten (die Schreibweise war angeblich ein Versehen, keine Umsetzung von Name-ist-Programmatik). Seither ist daraus ein geflügeltes Wort geworden, Legenden wurden gestrickt.
Aber Punk ist lange tot – und genial oder zumindest originell war das Ganze sowieso nur manchmal. Höchste Zeit also für Gegenprogramm: „Ich brauche eine Genie“ heißt eine neue Veranstaltungsreihe in der Kantine am Berghain. Das „e“ am Artikelende ist hier übrigens volle Absicht.
In der Berliner Boheme und anderen Subkulturen muss man sich nämlich nach wie vor gegen die Unterstellung abgrenzen, das Amateurhafte zur Kunstform zu erheben – zumindest, wenn man eine Frau ist. So sieht es jedenfalls Sandra Grether, die seit über 20 Jahren als Musikerin, Labelbetreiberin (Bohemian Strawberry Records) und Bookerin Erfahrungen mit dem Musikbetrieb hat und darüber mit ihrer schreibenden Zwillingsschwester Kerstin zu einer zentralen Stimme des Popfeminismus wurde.
Aktuell machen die beiden mit ihrer Band Doctorella dadaistisch angehauchten Chanson-Pop. Im Repertoire übrigens ein fast gleichlautender Song („Ich brauche ein Genie“), der charmant die Fallstricke romantischer Liebe verhandelt.
Ich brauche eine Genie Vol 2: 19. 10, Kantine am Berghain, Rüdersdorfer Straße 70, 21 Uhr, 10 €, www.berghain.de
Leider gibt es ähnliche Fallstricke, wenn man sich auf Augenhöhe mit männlichen Kollegen bewegen und ernst genommen werden will. Deshalb legen die beiden mit ihrer geförderten Reihe nicht nur den Fokus auf Künstlerinnen (neben Musikerinnen treten Autorinnen auf), sondern betonen explizit deren Können.
Denn das Genietum ist immer noch gendercodiert. Zumindest Wikipedia zufolge gibt es nur männliche Universalgenies. Im Pop und dessen Subkulturen ist das Verständnis kaum progressiver. „Selbst die CDU ist weiter als die Musikindustrie in Deutschland“, findet Sandra Grether. Immer noch mache man als Musikerin nervtötende Erfahrungen, auf unterschiedlichsten Ebenen.
„Unsere Bekanntheit mit Doctorella und als Personen, die es uns ermöglicht, mehr als 50 Clubshows in einem Jahr zu spielen, steht in keinem Verhältnis dazu, dass wir von 100 Festivals 100 Absagen bekommen beziehungsweise ignoriert werden.“ Bei Bands wie Isolation Berlin oder Ja, Panik, so fügt sie an, steht doch gar nicht zur Debatte, dass sie überall spielen sollen.
„Bis vor zwei Jahren hieß es immer: Es gibt doch xyz. Dann werden zwei, drei Acts aufgezählt, die oft nicht einmal aus Deutschland sind, also nicht innerhalb der lokalen Strukturen aufgebaut wurden. Wir glauben, dass es ein subtiler Sexismus ist, nur englischsprachige Sängerinnen wahrzunehmen. Das hat schon was von Mund(-und Musik)-Verbieten.“
Auch wenn es durchaus Anzeichen für einen Bewusstseinswandel gibt: Das letzte Pop-Kultur-Festival etwa hatte eine konsequente Quote. Und seit das Netzwerk female:pressure 2013 erstmals eine Studie über Elektronikfestivals veröffentlichte, ist Bewegung in die Szene gekommen, manchem Booker wurden die Augen geöffnet. Trotzdem waren auch im vergangenen Jahr noch 77 Prozent aller Festival-Acts männlich.
„Auf Indie-Festivals ist der Schnitt sogar 92 Prozent. Deshalb ist es wichtig, knallhart Zahlen zu nennen. Andere Argumentationen – Frauen machen genauso gute Musik etc. – bleiben immer schwammig. Mit Zahlen wird klar, dass Frauen wirklich ausgeschlossen werden. Es gibt schließlich viel mehr professionelle Musikerinnen, als die Entscheider wahrhaben wollen“, erklärt Grether und fügt lakonisch dazu. „Was wir machen, ist eben der Nahkampf.“
Trotzdem wollen sie mit der Veranstaltung nicht in eine Ecke gedrängt werden, sondern da sein, wo Relevanz ist (weswegen sie sich auch besonders über das Berghain als Ort freuen). „Das Besondere an unserer Reihe ist, dass wir die Zweifler-Argumente kennen, zum Teil verstehen, auf jeden Fall aber mitbedacht haben. Wir finden es selbstverständlich, dass auch viele Männer kommen.“
Der Auftakt der „Genie“-Reihe fand im Juni statt, unter widrigen Umständen: Vor der Tür ging Starkregen nieder. Auch wenn eine verschworene Gemeinschaft trotzdem kam, ist der anstehende Abend eine Art zweite Premiere. Es soll eine regelmäßige Reihe daraus werden, anvisiert sind vier Termine im Jahr als bunt gemischte Gala.
Diesmal wird Teresia Enzensberger aus „Blaupause“ lesen, ihren historischen Roman über eine Bauhaus-Studentin, der von ihren Künstlerfreunden wenig zugetraut wird. Es hat sich offenbar nicht allzu viel getan in Szenezirkeln.
Zudem ist Cäthe zu Gast, die Songschreiberin mit der markanten Stimme und den autobiografischen Texten, ebenso das Punk-Trio Shirley Holmes. Die erfinden das Rad zwar nicht neu, drehen es aber munter weiter. Dank des Rockschwerpunkts werden auch die Gastgeberinnen zu ihren Instrumenten greifen. Das DJ-Team The Brides – Funkarella & Marizla sorgt fürs Nachgrooven.
Just am selben Abend – wie schade – spielt mit Christiane Rösinger eine Frau, die mit den Lassie Singers und Britta Popgeschichte schrieb und die zum Geschlechterverhältnis im Pop auch einiges zu erzählen hätte (20.30 Uhr, Festsaal Kreuzberg).
Ihr Werdegang wäre als Mann vermutlich anders verlaufen. Schließlich bringt sie auf eine wirklich einzigartige Weise in ihren Büchern und Songs Humor und Melancholie zusammen, zuletzt auf dem Album „Lieder ohne Leiden“. Ihr Publikum hat sie trotzdem gefunden. Der Auftritt ist der Zusatztermin zur ausverkauften Show im April.
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
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