Konzert von Trio Gordan in Berlin: Und die Glocke summt tatsächlich
Hochzeitslieder und Störgeräusche: Das Elektronikfolk-Trio Gordan veranschaulicht bei seinem Auftritt in Berlin den Flair des Nachtzugs nach Belgrad.
Sonntagabend, zehn Minuten vom Ostbahnhof: Die Schlange vor dem Berghain, glänzendes Schwarz und blasse Haut, reicht über den weiten Vorplatz bis zur Imbissbude an der nächsten Querstraße. Das Technobabel hat die Fenster rot illuminiert. Vor ihnen dämmert eine Melange aus Baumärkten, Lagerhallen und Schienensträngen, hinter ihnen hat sich ein Mensch aus der wogenden Masse gelöst und tanzt an der Trennscheibe zur Welt.
Nicht schlecht, aber die andere Party steigt heute Abend im Nebengelass in der Berghain-Kantine. Sie liegt links von dem ehemaligen Heizkraftwerk, ein Landgasthaus neben dem Palast. Geschmackssache, wen es wohin zieht.
In die Kantine eingeladen hat das Trio Gordan: die Sängerin Svetlana Spajić, der Multiinstrumentalist Guido Möbius und der Drummer Andi Stecher. Gordan könnten am Ostbahnhof aus dem Spree-Donau-Kurier gestiegen sein: Spajić kommt aus Belgrad, Stecher pendelt zwischen Innsbruck und Berlin, wo Möbius lebt. Tatsächlich beschließen Gordan in der Hauptstadt eine Herbsttour. Gerade haben sie in Hamburg auf der „MS Stubnitz“ die Nordlichter zum Tanzen gebracht, erzählt ihr Tourbegleiter Thomas Herbst.
Wenn die Ride-Becken rasseln
Wenig später pulsiert ein elektronischer Beat durch die Kantine. Stecher lässt eine Metallkette über das Ride-Becken rasseln und ratschen. „Opa“, ruft Spajić. Das meint nicht etwa die Ahnen, wobei es in den nächsten 90 Minuten durchaus um Überlieferungen gehen wird. Das Motto hört man oft am Anfang oder inmitten von Balkanmusik, auf Halligalli aller Art. Es ist ein Ausdruck von Freude und Überraschung. Möbius grundiert an den Saiten. Das Konzert hebt ab.
„Woe Is Me In Foreign Lands“ heißt der erste Song des Abends. Das gar nicht wehmütige Lied von Heimweh ist einer der vielen Songs aus der serbischen Folklore, die Gordan auf mittlerweile zwei Alben so interpretieren, dass Altes wie von heute klingt.
Der Song ist ein Traditional der dalmatinischen Serben, hat Spajić im Interview mit der britischen Avantgarde-Fibel The Wire erklärt. Erschienen ist es 2021 auf dem Debütalbum, das Gordan während des Lockdowns in Berlin aufgenommen haben. Im Video fährt Spajić im Taxi durch Dorćol in der Belgrader Altstadt. Die Sängerin wirkt nachdenklich, besorgt.
Der zweite Song ist ein Brecher
Auf der Bühne ist Spajić anfangs beherrscht, doch das wird sich ändern. Der zweite Song ist ein Brecher: Stecher trommelt zackige Wirbel auf der Snare und schickt Basstrommelbeben hinterher, Möbius schraubt an den Geräten. Im Refrain verzahnen sie das Klirren der Becken mit den elektronischen Geräuschen vom Effektentisch.
Der Song ist neu, wenige Tage alt. Gordan haben gerade ein drittes Album aufgenommen, erzählt Spajić in ihrer tiefen Stimme. Sie singt, auch wenn sie spricht. Erst der dritte Song, „The Bell Is Buzzing“, kommt vom aktuellen Album. Tatsächlich summt die Glocke.
Auch „Oh My Rose Flowers“, Gordan verwenden zum Teil englische Titel, Spajić singt aber konsequent serbisch, ist ein Liebeslied. Die hat nicht nur schwache Worte, und jetzt bringt Stecher wieder die Kette zum Einsatz, greift zu den Paukenschlegeln und trommelt die Floor Tom via umgedrehtes Metallbecken. Möbius webt den Geräuschteppich mit Frequenzen aus dem Mikrofon. Im nächsten Song greift er zum Geigenbogen.
Blood, Sweat and Tears
„How A Mountain Fairy Divided The Two Jakšić Brothers“, der ultimative Popsong der Südslawen zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert, mutet wie eine alte Balkanfabel an und ist die eines Brudermords. „Blood, sweat and tears“, kommentiert Spajić. Auch das ist nicht von gestern. Bei Gordan geht es um Liebe und Katastrophen, um Menschen innerhalb der großen Geschichte.
„Gastarbeitersongs“, meint Spajić, als sie zwei weitere neue Stücke ansagt. Sie singt von Erinnerungen an das Dorf, die D-Mark und vom schwarzen Mercedes. In der Kantine ist mittlerweile eine Sause gestiegen. Nicht nur die Muttersprachler sind aus dem Häuschen. „Još jedno“, noch eins, ruft einer. Drei Zugaben werden Gordan geben. Vorher sagt Spajić dem Rufer, er könne dem Publikum die Texte des Abends übersetzen.
In „Barabinska“, Auftaktsong vom aktuellen Album, tritt ein Herumtreiber auf. Man hört den Typen förmlich durch die Nacht oder den Morgen schwanken. Und irgendwie ist der Vogel, woher oder wohin auch immer es ihn zieht, unwiderstehlich. Den Schlusspunkt setzt ein Hochzeitslied.
Dann entlässt die Kantine ihre Gäste in die Nacht. Draußen ist immer noch Friedrichshain. Die Schlange vor dem Berghain-Palast hat sich halbiert. „Kommt doch auch einmal zu uns/ Unser Lied ist ein schöner Schrei“, möchte man mit Miodrag Pavlović, auch er aus Belgrad, den wartenden Pilgern zurufen.
Der nächste Zug Richtung Donau und Save geht morgen früh.
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