Kontrollen der Coronamaßnahmen: Weil sie dich nicht lieben
Während in S- und U-Bahnen weiter die Fahrscheine kontrolliert werden, kontrolliert kaum einer, ob Betriebe die Coronamaßnahmen einhalten.
D iese Woche wurde ich in der U-Bahn kontrolliert und hatte keinen gültigen Fahrschein. Dabei habe ich ein Abo, ich hatte die Karte nur nicht dabei, weil ich sie einer Freundin geliehen hatte und später, nachdem sie sie mir zurückgegeben hat, vergessen habe, sie wieder einzustecken. Jetzt muss ich sie nachreichen und 7 Euro Bearbeitungsgebühr zahlen.
Vor ein paar Wochen habe ich dieses Abo gekündigt, es läuft Ende des Monats aus. Es war keine leichte Entscheidung. Nach all den Jahren als Jugendlicher und als Student, in denen ich ohne Fahrschein gefahren bin, gehörte die Jahreskarte mit zum Erwachsenwerden, zum Ich-verdiene-jetzt-mein-eigenes-Geld-und-ich-kann-mir-das-leisten-Leben, ein konkreter Fortschritt, den ich mir erarbeitet hatte, ein Zeichen neuer Unabhängigkeit, auch ein bisschen Statussymbol. Und es war einfach auch eine große Erleichterung, keine Angst mehr vor Kontrollen haben zu müssen.
Ich habe mein Abo trotzdem gekündigt. Aus Wut. Ich finde es unverantwortlich, dass in der Pandemie weiterhin kontrolliert wird und es so zu vermeidbaren Kontakten kommt, die das Infektionsrisiko im ÖPNV noch weiter erhöhen. Überhaupt finde ich es daneben, Menschen mit Fahrscheinkontrollen zu terrorisieren, in der Pandemie aber ganz besonders. Weil viele von diesen Menschen nicht zu den Glücklichen gehören, die im Homeoffice sitzen, sondern mit der Bahn zur Lohnarbeit fahren müssen.
Und dann ist da noch die Art, wie kontrolliert wird: oft autoritär und rau, immer wieder mit Körpereinsatz. Kurz bevor ich gekündigt habe, hatte ich eine solche unfreundliche Begegnung mit zwei Kontrolleuren. Aber am Ende machen die auch nur ihren Job, auch wenn sie nicht immer gleich wie Rambos auftreten müssten. Und am Ende sind sie die falschen Adressaten der Wut. Denn sie können nichts dafür, dass in dieser pandemiegeplagten Welt so manches grundsätzlich falsch läuft.
Denn während das öffentlich-rechtliche Unternehmen Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) trotz der Pandemie harte Kontrollen fortsetzt, zeigt eine Recherche des Magazins „Report Mainz“ und „BuzzFeed News Deutschland“, dass Betriebe aktuell nur sehr selten kontrolliert werden, ob sie Coronamaßnahmen einhalten: Die Berliner Arbeitsschutzbehörde habe wegen der Pandemie zwar eine Taskforce gegründet, heißt es dort, weshalb es nun pro Woche 80 statt 20 Coronakontrollen wie im letzten Jahr gebe. Bei rund 100.000 Berliner Betrieben würde so jeder Betrieb aber nur alle 25 Jahre kontrolliert. Außerdem würden Behörden Firmen wegen Verstößen gegen die Coronaverordnungen nur verwarnen, selten käme es dagegen zu Bußgeldern und noch seltener zu Betriebsschließungen.
Ich frage mich deshalb, ob es immer noch mehr als 600 Coronatote am Tag gäbe, wenn Betriebe genauso streng kontrolliert würden, wie die BVG auch in der Pandemie Fahrscheine kontrolliert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was