Kontrolle von Waffenexporten: Irgendwo in Mexiko
Die deutsche Waffenfabrik Dynamit Nobel hat Raketenwerfer nach Mexiko exportiert. Unklar ist, wo diese gelandet sind. Und in wessen Händen.
Es lässt sich schwer nachvollziehen, wo die gefährlichen Waren letztlich gelandet sind. Denn die deutschen Behörden haben keinen Wert darauf gelegt, sich den genauen Endverbleib der Waffen bestätigen zu lassen. Und die staatlichen Einkäufer in Mexiko haben keine Dokumente, die belegen, was mit den Gütern passiert ist. Fand hier erneut ein illegaler Waffenexport statt?
Immer wieder verwenden die führenden kriminellen Organisationen Mexikos Raketenwerfer, das Jalisco-Kartell holte damit sogar einen Militärhubschrauber vom Himmel. 119 der Waffen wurden in den vergangenen zwölf Jahren bei verschiedenen Mafiaorganisationen beschlagnahmt. Wie die Waffen in die Hände der Kriminellen gelangen, ist unklar.
Außer Frage aber steht, dass Armeeangehörige mit den Verbrecherorganisationen zusammenarbeiten und Soldaten für zahlreiche Angriffe auf die zivile Bevölkerung verantwortlich sind. Im Oktober nahmen US-Strafverfolger den Verteidigungsminister der letzten Regierung, Salvador Cienfuegos, fest, weil er für eine Mafiaorganisation gearbeitet haben soll. Jüngst wurde er an Mexiko ausgeliefert.
Verbleib unbekannt
Trotz solcher Verhältnisse verkaufte Dynamit Nobel im Jahr 2018 zahlreiche Raketenwerfer vom Typ RGW 60 Heat plus Übungssysteme und Zubehör an das mexikanische Verteidigungsministerium (Sedena). Das gibt die mexikanischen Regierung im UN-Waffenregister an. Es geht um insgesamt 4114 Teile, darunter nach Angaben des Bundesausfuhramt (BAFA) um 1467 Raketenwerfer.
Doch wo sind die Waffen gelandet? Die mexikanische Regierung erklärt: „Trotz einer ausführlichen Suche in den Archiven der Sedena“ könne man keine Dokumente über den Verbleib oder den Endnutzer der importierten Raketenwerfer und deren Zubehör finden.
Unter diesen Voraussetzungen hätte der Deal gar nicht stattfinden dürfen, denn die deutsche Firmen müssen beim Bafa eine „Endverbleibserklärung“ des Kunden vorlegen, damit das Geschäft genehmigt werden darf. „Wenn das mexikanischen Verteidigungsministerium den Endabnehmer nicht zweifelsfrei mitteilen und feststellen kann, ist das ein Grund, den Export nicht zu genehmigen“, kritisiert die grüne Bundestagsabgeordneten Katja Keul.
Studenten mit Gewehren von Heckler & Koch ermordet
Dynamit Nobel informiert auf taz-Anfrage, zu Kunden und Vertragsdetails könne die Firma leider keine Auskünfte geben. Das Wirtschaftsministerium erklärt, es habe eine Endverbleibserklärung bekommen. Da der Endverwender eine „föderale Institution“, also die Sedena sei, erübrige sich eine Aufschlüsselung nach Bundesstaaten, heißt es in der Antwort auf eine Anfrage Keuls. Das ist verwunderlich, weil jede nach Mexiko importierte Waffe erst an die Sedena verkauft und dann an andere Nutzer weitergereicht wird. Gerade die genaue Aufschlüsselung half vor Jahren, einen illegalen Gewehrdeal überhaupt ans Licht zu bringen.
Zwischen 2006 und 2009 genehmigte das Bafa den Export von G36-Sturmgewehren der Firma Heckler & Koch unter dem Vorbehalt, dass bestimmte Regionen aufgrund der schlechten Menschenrechtslage nicht beliefert werden dürfen. Dennoch landete etwa die Hälfte der rund 10.000 Waffen in diesen Regionen. Beispielsweise im Bundesstaat Guerrero, wo sie unter anderem im September 2014 beim Angriff von Sicherheitskräften und Kriminellen auf Studenten eingesetzt wurden.
Das machte deutlich, welche tödlichen Folgen Rüstungsexporte haben können. Sechs Menschen starben damals, 43 Studenten der Ayotzinapa-Lehrerschule wurden verschleppt. Bis heute ist unklar, was mit ihnen passiert ist. Die große publizistische Aufmerksamkeit, die das Verbrechen hervorrief, sorgte mit dafür, dass das Stuttgarter Landgericht Heckler & Koch 2019 wegen des illegalen Waffenexports verurteilte.
Trotz dieser Erfahrungen hält es das Bafa nicht für nötig, aufzuschlüsseln, in welche mexikanische Bundesstaaten wie viele der Raketenwerfer gegangen sind. „Damit erleichtert es die Bundesregierung den Importeuren in Mexiko-City, die Kriegswaffen von Dynamit Nobel Defence in Regionen einzusetzen, in denen bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen und korrupte Sicherheitskräfte mit der Drogenmafia kooperieren“, kritisiert Grässlin, der mit seiner Anzeige 2010 das Verfahren gegen Heckler & Koch ins Rollen gebracht hat.
Bessere Kontrollen vor allem auf dem Papier
Eigentlich hatte die Bundesregierung nach dem Bekanntwerden der kriminellen Geschäfte der Schwarzwälder Rüstungsschmiede versprochen, den Kleinwaffenexport genauer zu kontrollieren. Bereits ab Ende 2010 sollten Lieferungen der todbringenden Güter nach Mexiko nicht mehr genehmigt werden. Dennoch verkauften deutsche Firmen weiterhin Waffen in das lateinamerikanische Land. So wurden etwa neben den Raketenwerfern nach 2010 auch Pistolen von Carl Walther GmbH geliefert.
2015 kündigte der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) konkrete Einschränkungen bei der Ausfuhr von Maschinenpistolen, Sturmgewehren und anderen Rüstungsgütern dieser Art an. Die sogenannten Kleinwaffengrundsätze wurden festgeschrieben. Die Lieferung der Raketenwerfer verstoße gegen diese Vorgaben, kritisiert die Abgeordnete Keul. Denn demnach solle der Export dieser Rüstungsgüter in Drittländer, also Nicht-Nato- und nicht dem Bündnis nahestehende Staaten, grundsätzlich nicht mehr genehmigt werden, erklärt die Grünenpolitikerin.
Auf Basis der Grundsätze führte die Bundesregierung auch sogenannte Post-Shipment-Kontrollen ein, also verpflichtende Überprüfungen über den Endverbleib ausgeführter Waffen. Das sei eine entscheidende Verbesserung bei der Überwachung von Rüstungsexporten, erklärte Gabriel. „Endlich können die Angaben, die Empfänger zum Verbleib der Waffen machen, vor Ort überprüft werden.“ Nur: Wenn Behörden wie jetzt die mexikanischen über keine Dokumente verfügen und das Bafa nur weiß, dass die Raketenwerfer an das Verteidigungsministerium geliefert wurden, ist eine Post-Shipment-Kontrolle kaum möglich.
Ohnehin seien diese Kontrollen eine „Farce“, kritisiert die Bundestagsabgeordnete der Linken Sevim Dağdelen. Schließlich seien bei der Bafa nur zwei Stellen dafür geschaffen worden. Anfragen der Parlamentarierin ergaben, dass in den letzten drei Jahren ganze neun Überprüfungen vor Ort durchgeführt wurden.
Die Grüne Keul hält die Einführung zwar grundsätzlich für einen Erfolg, aber auch sie ist überzeugt: „Die Anzahl der durchgeführten Post-Shipment-Kontrollen ist noch sehr ausbaufähig.“
237 Anzeigen gegen mexikanische Soldaten
Der Deal mit den Raketenwerfern widerspricht zudem den Rüstungsexportrichtlinien, nach denen keine Waffen in Regionen exportiert werden sollen, in denen sie zur Verletzung der Menschenrechte genutzt werden könnten. Dynamit Nobel lässt keine Zweifel daran, dass Soldaten ihre Raketenwerfer nicht nur in schweren kriegerischen Kämpfen gegen Panzer, sondern auch bei Angriffen auf Menschen einsetzen können. Die Waffen der „RGW-Familie“ könnten von Einzelschützen bedient werden gegen halbharte und weiche Ziele, sprich Personen, zum Einsatz kommen, wirbt das Unternehmen aus Burbach im Siegerland auf seiner Website.
Vor allem aber der Kunde lässt daran zweifeln, dass Dynamit Nobel Defence tatsächlich „verantwortungsbewusst“ handelt, wie das Unternehmen der taz erklärte. In den ersten neun Monaten dieses Jahres erhielt die Nationale Menschenrechtskommission Mexikos 237 Anzeigen, weil Soldaten die Menschenrechte missachtet haben und gewaltsam gegen Personen vorgegangen sein sollen. In der nördlichen Grenzstadt Nuevo Laredo, einem wichtigen Ort für den Drogenschmuggel, ließen Marinesoldaten 2018 mindestens 32 Menschen verschwinden, die wahrscheinlich getötet wurden. Gegen 257 Armeeangehörige wird wegen des Falls ermittelt.
Auch am Angriff auf die Ayotzinapa-Studenten in Guerrero waren offenbar Soldaten beteiligt. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb jüngst Haftbefehle gegen einige Militärangehörige ausgestellt. Politisch verantwortlich war damals Cienfuegos – jener General, der wegen mutmaßlicher Zusammenarbeit mit der Mafia im Oktober verhaftet wurde. Als Menschenrechtsverteidiger und Angehörige nach dem Angriff auf die jungen Männer fordeten, gegen das Militär vor Ort zu ermitteln, stellt Cienfuegos klar: „Ich werde nicht zulassen, dass meine Soldaten verhört werden.“
Korrektur (11.12.2020): In einer früheren Version des Artikels hatten wir behauptet, die mexikanische Regierung spreche von 4114 Raketenwerfern, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle dagegen von nur 1467. Es gebe also eine Differenz, die sich schwer aufklären lässt. Tatsächlich sprach die mexikanische Regierung aber nicht von 4114 Raketenwerfern. Stattdessen beinhaltete diese Zahl neben Raketenwerfern auch Übungssysteme und Zubehör.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs