Kontrolle der Kulturbranche in China: Wenn Kunst der Partei dienen muss
In China wird der Kulturbereich unter Xi Jinping immer strenger kontrolliert. Viele gesellschaftliche Themen sind für junge Kreative längst tabu.
Die Lacher des Publikums hat der schmächtige Teenager mit grünem Polohemd und runder Nickelbrille zwar auf seiner Seite. Doch zugleich geht ein Raunen durch die Bar. Die peinlich berührten Blicke der Anwesenden scheinen zu fragen: Darf er überhaupt einfach so über die Regierung herziehen?
Unbeirrt legt der junge Comedian nach: „Vielleicht sollte ich besser vorsichtig sein, Big Brother hört schließlich mit. Am Ende komme ich noch ins Gefängnis“.
Was als unschuldige Pointe intendiert war, ist jedoch für immer mehr Chinesen ernste Realität. Mitte Mai riss der beliebte Stand-Up-Comedian Li Haoshi bei einem Auftritt in Shanghai einen scheinbar harmlosen Witz: Er verglich seine zwei adoptierten Straßenhunde, die sich eines Tages mit den Eichhörnchen aus der Nachbarschaft keilten, mit Soldaten der Volksbefreiungsarmee. Dabei benutzte er einen Slogan, den Staatschef Xi Jinping höchstpersönlich verwendet, um die Armee zu loben: „Ausgezeichneter Arbeitsstil, um die Schlacht zu gewinnen!“.
Selbstkritik wie zu Maos Zeiten plus saftige Geldstrafe
Nur Stunden später wurde Li von einem der Zuschauer im Internet angeschwärzt. Die Behörden reagierten drakonisch: Der 31-jährige Komiker wurde von der Polizei in Gewahrsam genommen, ihm drohen nun wegen „Diffamierung der Volksbefreiungsarmee“ bis zu drei Jahre Haft.
Auch sein öffentlicher Entschuldigungsbrief, der sich wie eine Selbstkritik aus maoistischen Zeiten liest, dürfte ein lebenslanges Auftrittsverbot wohl nicht verhindern. Lis Management muss zudem eine Strafe von umgerechnet zwei Millionen Euro zahlen.
Es ist erschreckend, mit welch eiserner Hand Xi Jinping mittlerweile sein Land regiert. Die ideologische Kontrolle der Kommunistischen Partei reicht dabei nicht mehr nur in akademische Kreise, zivilgesellschaftliche Gruppen oder unternehmerische Vorstandsetagen. Sie hat längst auch Galerien und Konzertsäle erreicht.
Erst vor wenigen Tagen präsentierte eine Lokalregierung im nordöstlichen Heilongjiang stolz eine neue Behörde zur „Regulierung der Kulturbranche“. Auf den offiziellen Fotos sieht man schwarz uniformierte Sicherheitskräfte, die bei der feierlichen Zeremonie wie Soldaten in Reih und Glied stehen. Sie sollen künftig unter den Künstlern für Zucht und Ordnung sorgen.
Von chinesischen Internetnutzern gab es beißende Kritik: „Die Einnahmen der Autoritäten werden sicher bald stark steigen“, schreibt einer auf der Online-Plattform Weibo – wohl als Anspielung darauf, dass die neue Behörde vor allem darauf aus sei, Geldstrafen zu verhängen.
Kritische Reaktionen werden gnadenlos wegzensiert
Ein anderer meint ironisch: „Es ist stets ein freudiger Anblick, Menschen zu sehen, die dem Wohl des Volkes dienen“. Ebenfalls schlägt ein chinesischer User vor, dass es möglicherweise bald auch eine Verwaltungsbehörde brauche, die die Leute dazu anleite, wie man „korrekt seinen Darm entleeren“ soll. Bald waren die kritischen Kommentare von den Zensoren gelöscht.
Dabei steht die Kulturbranche längst unter strenger Kontrolle: Sämtliche Veranstaltungen müssen schließlich vom Kulturbüro genehmigt werden. Jeder Student, der in der Fußgängerzone ein paar Lieder mit seiner Karaoke-Box schmettert, muss die Texte vorher bei den Behörden einreichen.
Nur mit chinesischem Pragmatismus und viel Courage erhalten sich junge Kreative ein Mindestmaß an Freiräumen. „Wir dürfen offiziell keine Auftritte organisieren und auch keine Honorare an Bands zahlen“, erklärt die Besitzerin einer Punk-Bar in Zentralchina: „Wenn die Verwaltungsbehörden also bei uns vorbeischauen, dann sagen wir stets, dass hier zufällig nur gerade ein paar Freunde spontan Musik spielen“.
Lange Liste der Tabuthemen
Die relativ junge Comedy-Szene bot immerhin noch ein gewisses Ventil, um den täglichen Frust und subtile Kritik in Witze zu verpacken. Doch die Liste der Tabuthemen ist lang: Wie eine Gag-Schreiberin in einem mittlerweile zensierten Online-Beitrag offenlegte, machte ihre Firma bereits von Beginn an deutlich, dass Witze über Homosexualität, außereheliche Affären, die Pandemie oder auch die Armut nicht toleriert würden. Dabei würden die Skripte ohnehin noch einmal durch die wachen Augen der Zensoren gehen.
„Die Branche muss 80 Prozent ihrer Energie zur Erstellung von Inhalten aufwenden und dann 500 Prozent ihrer Zeit und Energie für den Umgang mit der Zensur. Das ist eine enorme Ressourcenverschwendung“, schrieb sie in dem mittlerweile gelöschten Posting.
Dabei ist das Interesse der Chinesen an freier Kunst weiter riesig. Die wenigen Nischen, die es gibt, erfreuen sich großer Beliebtheit: Zeigt etwa das China Filmarchiv, eines der wenigen Kinos mit alternativen Kunstfilmen, an einem beliebigen Wochentag einen alten Pasolini-Film aus den 70ern, sind sämtliche der über 500 Plätze im Saal ausverkauft.
Auch vor dem Campus der „Zentralakademie der Bildenden Künste“, dem Kader der vielversprechendsten Talente, stehen die Menschenmassen an diesem brutal-heißen Junitag bis zur nächsten Straßenecke Schlange. Sie wollen die Werke der frisch graduierten Studierenden sehen. Doch ehe die Zuschauer den hochmodernen Museumsbau betreten können, müssen sie Passkontrolle, Gesichtserkennung und Metalldetektoren passieren.
Sozialistische Modernisierung als Ziel
Gleich am Eingang werden Besucher vom Parteisekretär der Kunstakademie willkommen geheißen: „Der 20. nationale Volkskongress der Kommunistischen Partei Chinas hat eine neue Reise zum umfassenden Aufbau eines modernen sozialistischen Landes ausgerufen“, heißt es da: „Die Absolventen dieses Jahrgangs werden sich auf diese Reise begeben und zur grundlegenden Verwirklichung der sozialistischen Modernisierung beitragen“.
Doch dürften solche Botschaften nur ideologische Pflichtübungen sein. Nur wenige der Ölgemälde und Skulpturen der Studierenden sind Propaganda im Stile des einst gängigen sozialistischen Realismus. Einige Werke berühren durchaus riskante Sujets: dunkle Depressionserfahrungen, psychische Ausnahmezustände und Andeutungen von Nacktheit.
Doch ist auffällig, welches Themenspektrum fehlt: Die Corona-Pandemie, die Studierende oft monatelang im Campus einsperrte, darf mit keinem Pinselschlag angedeutet werden. Politische Kritik ist ohnehin tabu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren