Kongress linker Rebellen: In alten Mustern verheddert
Die Linke bleibt gespalten. Es gelingt ihr nicht, sich nach vorn zu orientieren. Die Partei verharrt in Wartehaltung auf Wagenknechts Entscheidung.
D ieser Riss ist nicht zu kitten – das war das Gefühl, das vom „Was tun?!“-Kongress der Linken ausging. Auch wenn man vordergründig die Spaltung der Partei noch einmal aufgeschoben hat. Es ist schwer vorstellbar, dass sich dieses Ausmaß an Verletztheit, an Beleidigt-Sein, auch an Verachtung für das andere Lager wieder aussöhnen lässt. Es dominierte der gekränkte Blick zurück, Sätze, die von „wir müssen wieder“ und „zurück zu“ eingeleitet werden.
Die wenigen Stimmen, die versuchten, den Blick nach vorne zu richten, drangen kaum durch. Das ist schade, weil die Debatte um Krieg und Frieden ja tatsächlich ein paar mehr Differenzierungen vertragen könnte. Und kaum jemand sonst den Blick auf die Welt jenseits der alten Blöcke, den globalen Süden, richtet. Aber bisher gelingt es diesem Teil der Linken nicht, eine originelle Perspektive, eine eigenständige Analyse zu entwickeln. Sie verheddert sich in alten Mustern und alten Kämpfen.
Am Ende steht sie nun immer noch vor der Wahl, sich weiter in internen Machtkämpfen aufzureiben oder zur eigenen Sekte zu entwickeln. Das entscheidet dann „die Sahra“. Irgendwann im Herbst. Dass von diesen ihren in Hannover versammelten Getreuen eine wahnsinnig große Strahlkraft oder gar Aufbruchstimmung ausgeht, werden auch Wohlmeinende kaum behaupten. Möglicherweise hatte Wagenknecht also gute Gründe, lieber nicht persönlich aufzutauchen.
Ihr Wählerpotenzial soll ohnehin ganz woanders liegen – auch darüber wird am Rande des Kongresses eifrig spekuliert: Auf bis zu 19 Prozent könnte eine Wagenknecht-Partei kommen, behauptete eine Umfrage im Auftrag des Fokus Anfang März. Darunter vor allem Nichtwähler und bisher AfD-Wähler. Ob die Enttäuschten aller Länder und Parteien langfristig eine stabile Basis bilden, steht auf einem anderen Blatt.
Für die Parteiführung geht das große Warten also weiter. Man hat kaum eine Chance dem zu begegnen, Appelle wie der von Dietmar Bartsch und Gregor Gysi, sich als linke Partei nicht weiter selbst zu zerlegen, verhallen ganz offensichtlich ungehört. Der Parteiausschluss einer so prominenten Figur wie Wagenknecht wäre nicht nur hochriskant, das Verfahren würde auch zu lange dauern. Man kann also kaum anders als abwarten, tut sie es oder tut sie es nicht?
Das ist bitter, weil es auch die Arbeit derjenigen zu beschädigen droht, die sich in den Ländern den Mühen der Ebene gewidmet haben, die versuchen zu beweisen, dass die Linke tatsächlich einen Unterschied macht, wenn es um konkrete Politik geht und nicht bloß um wolkige Grundsatzdebatten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland