Konfliktforscher über Benin und Niger: „Frauen brechen die Einnahmen weg“
Unter der Militärherrschaft in Niger leidet auch Nachbarland Benin, sagt der beninische Konfliktforscher Kamal Donko. Nicht nur im Kampf gegen Terror.
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taz: Herr Donko, vor knapp 3 Monaten hat in Niger das Militär geputscht. Was bedeutet das für den Norden von Benin, das direkt an Niger grenzt?
Kamal Donko: Nicht nur hier, sondern in ganz Benin sprechen wir täglich über die Lage in Niger. Beide Länder hängen voneinander ab, weil es seit jeher viel Migration gibt. Beispielsweise haben Kinder in Benin ihre Eltern in Niger und umgekehrt. Jetzt wird die Mobilität durch die Grenzschließung, die zu den westafrikanischen Sanktionen gehört, beeinträchtigt.
Wie erleben Sie das hier in Parakou, der größten Stadt im Norden Benins?
Es ist üblich, dass junge Nigrer in den Schulferien nach Parakou kommen, um etwas Geld zu verdienen. Einem jungen Mann habe ich gerade ein Handy abgekauft, um ihn zu unterstützen. Viele können jetzt nicht mehr nach Niger zurück. Sie sitzen hier fest.
Viele Grenzen in Westafrika sind Tausende Kilometer lang und können unmöglich überwacht werden. Wie verhält es sich mit jener zwischen Niger und Benin?
Es gibt einen Grenzfluss, der sich bis heute auf Piroggen überqueren lässt. Diesen Weg will aber nicht jeder nutzen.
Importgüter, die beispielsweise über den Hafen von Cotonou im Süden Benins an der Atlantikküste durch das Land bis nach Niger gebracht werden sollen, lassen sich auch gar nicht in kleinen Holzbooten transportieren.
Auf dem Weg von Cotonou nach Parakou haben Sie gemerkt: Die Straße ist leer. Nur wenige Lkws sind unterwegs.
Es gibt Bilder aus der Grenzstadt Malanville, auf denen Lkws zu sehen sind, die nicht weiterfahren können.
Die Schlangen dort sind viele Kilometer lang. Vor allem in den ersten Tagen nach dem Putsch war es chaotisch. Lebensmittel wie Mais sind längst verdorben. Das sind große Verluste. Auch müssen Unternehmer Kredite bedienen. Banken interessiert es nicht, ob Grenzen geschlossen sind oder nicht. Jetzt fängt außerdem die Erntezeit an. Yams werden bereits geerntet. Wir fragen uns, wohin wir unsere Produkte dann verkaufen.
Wer hängt noch von der Transportbranche ab?
Vielfach verkaufen Frauen am Straßenrand Lebensmittel. Früher haben viele an der Mautstelle gestanden, an der es immer lebhaft war. Heute ist dort fast niemand mehr. Die Frauen verdienen zwar manchmal nur einige Cents. Trotzdem ist das wichtig für die Familien. Manchmal haben Männer vier Frauen, die letztendlich alleine mit ihren Kindern leben. Für die müssen sie sorgen, weil die Männer abwesend sind. Durch den weggefallenen Verkehr brechen ihnen die Einnahmen weg.
Dabei haben schon die Grenzschließungen in Mali im Januar 2022 gezeigt, dass sich so kaum Druck auf eine Junta ausüben lässt …
Es sind Schnellschüsse. In Benin haben wir während der Coronapandemie erlebt, wie wichtig offene Grenzen sind. Die nach Niger wurde damals nie geschlossen, was der Bevölkerung sehr geholfen hat.
Wirkt sich der Staatsstreich auch auf die Sicherheitslage in Benin aus? Im Norden hat es mehrere Angriffe von bewaffneten Gruppen gegeben.
EU plant gezielte Strafmaßnahmen Die EU-Mitgliedstaaten haben sich am Montag auf einen Rahmen für Sanktionen gegen Niger geeinigt. Die EU kann nun Vermögen einfrieren, Einreisen verhindern und finanzielle Unterstützung von Einzelpersonen und Organisationen verbieten. Die Betroffenen stehen noch nicht fest.
Westafrikas Sanktionen Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) hatte nach dem Militärputsch in Niger am 26. Juli alle Finanztransaktionen ausgesetzt und die Grenzen zu Niger geschlossen. Das betrifft faktisch Benin und Nigeria.
Niger hat das Abkommen zur militärischen Kooperation im Kampf gegen Terrorismus mit Benin ausgesetzt. Das heißt, dass Benins Streitkräfte Angreifer nicht mehr grenzüberschreitend verfolgen können. Auch Informationen werden nicht mehr ausgetauscht. Das schwächt uns im Norden zusätzlich.
Seit 2020 hat es in Westafrika sechs Staatsstreiche gegeben. Stehen der Region weitere Putsche bevor?
Auch Länder wie Benin und Togo können leicht destabilisiert werden. Es ist möglich, auf lokaler Ebene Unzufriedenheit zu schüren. Das kann sich dann ausbreiten.
Wie lässt sich das verhindern?
Die Bevölkerung muss bei Entscheidungen einbezogen werden. Infrastruktur zu verbessern, ist gut. Doch für den Straßenbau werden Häuser abgerissen. Wenn jemand dort ein Geschäft hatte und mit den Einnahmen eine Kredit abbezahlen muss, ist das nicht mehr möglich. So etwas sorgt für Ärger.
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