Konflikt zwischen Ukraine und Russland: An eurem guten Willen ist alles faul
Warum ich mich mit prorussischen Autoren auf kein Podium setze: Ich lasse mich nicht zu einem Showeffekt degradieren.
Ein Literaturfestival in Deutschland. Auf meiner Tagesordnung steht eine Diskussion mit einem russischen Schriftsteller. Einem Befürworter der Abspaltung der Ostukraine, der nach seinen Donbass-Reisen Pamphlete über die Heldentaten prorussischer Kämpfer verfasst und der die Kiewer Junta verdammt.
Ich sage ab und werde den Gedanken nicht los, dass hier etwas faul ist. Wie kann das sein, dass sie nicht verstehen, wie das ankommt, was das ausmacht? Wieso kapieren sie nicht, dass hier nicht mal eine leise Spur irgendeiner Verständigung möglich ist? Oder geht es ihnen gar nicht um Verständigung? Worum denn dann? Um eine Show? Einen Skandal? Publikumserfolg?
Keine Frage, Diskurse unter Gleichgesinnten fallen nicht so spannend aus. Kaum blanke Nerven, keine hysterischen Schreie, kein Abgleiten ins Private. Also ist alles in bester Ordnung, aus der Sicht eines unvoreingenommenen Westintellektuellen hat jeder ein Recht auf eigene Wahrheit, unabhängig davon, auf wessen Territorium gekämpft wird und wer diese Kämpfe initiiert hat …
Mich aber interessiert diese Art Spannung nicht. Genauso wenig das Abdriften ins Private. Insbesondere dort, wo es um Krieg geht. Sprich, um Menschen — lebendige und tote Menschen. Angesichts deren empfinde ich keine Lust darauf, ein Teil der Show für westliche Intellektuelle zu sein. Solche, die sich darum bemühen, einen korrekten und objektiven Eindruck zu erwecken, die nach eigenem Empfinden gerechterweise „beiden Konfliktseiten“ ein Mitspracherecht einräumen, die aufrichtig davon ausgehen, dass diese beiden „Seiten“ zu einem Dialog bereit sein müssen.
Wer auf Fructose, Laktose und Gluten verzichtet, wird schnell als durchgeknallt abgestempelt. Tatsächlich gibt es einen Hype. Aber es gibt auch die, die wirklich leiden. Warum die sich missverstanden fühlen, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. August 2015. Außerdem: Gefängnisse gelten auch in Europa als Brutstätten für islamistische Attentäter. Drei deutsche Muslime tun alles, um das zu verhindern. Ein Gespräch mit Philipp Ruch, dem Gründer des Zentrums für Politische Schönheit: In Deutschland ist man zynisch und lethargisch, sagt er. Und: 70 Jahre nach Hiroshima wird nicht ab- sondern aufgerüstet. Noch nie war es so billig eine Atombombe zu bauen. Dazu: welche Atomkriege durch Fehlalarme, Schlamperei und Drogenmissbrauch beinahe stattgefunden hätten. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Eiserne Mauer der Geopolitik
Dass dabei ein Okkupant einem Okkupierten gegenübersteht, interessiert kaum jemand. Das sind lästige Details, Nuancen. Alles, was zählt – ist positive Einstellung. Auch im Umgang mit dem Okkupanten. Und das Einfachste ist, der Einladung zu folgen und darauf zu hoffen, dass die „andere Seite“ genauso auf das Positive eingestellt ist. Was bleibt, ist, sich während eines konstruktiven Gesprächs die Argumente der „anderen Seite“ anzuhören, die auf historischer Bedingtheit und geopolitischer Logik, auf Konzeptionen und Strategien, auf einem Gefühl der Revanche und der Nachsichtigkeit basieren.
Und all deine Worte, die um deine Allernächsten kreisen, um die Räume, wo du groß geworden bist, um die Luft, die du dein ganzes Leben einatmest – all das wird zerschmettert an der eiskalten eisernen Mauer der Geopolitik, an dieser „Wahrheit der anderen Seite“.
Denn es ist doch alles korrekt. Aus der Sicht eines unvoreingenommenen Westintellektuellen besitzt jeder seine eigene Wahrheit, unabhängig davon, auf wessen Territorium gekämpft wird und wer diese Kampfhandlungen begonnen hat, und unabhängig davon, ob die „andere Seite“ die eigene Teilnahme daran im Prinzip eingesteht. Und diese gesteht sie selbstverständlich nicht ein.
Ganz im Gegenteil. Sie beteuert, dass sie mit diesem Krieg überhaupt nichts zu tun hat, und ebendas erlaubt ihr, Beschuldigungen vorzutragen, Ratschläge zu erteilen und gönnerhaft die Unglücklichen zu bemitleiden, die immer noch nicht einsehen wollen, dass sie dazu verdammt sind, auch weiterhin in frostigen Umarmungen der Geopolitik zu verharren. Das ist in etwa meine Wahrnehmung solcher Versuche, um jeden Preis konstruktiv zu bleiben.
Alles beim Alten
„Ihr Intellektuellen seid dazu verpflichtet, ein Beispiel an gesundem Menschenverstand in diesem Krieg zu liefern“, sagt mir eine Berliner Kollegin. „Ihr müsst guten Willen und Kompromissbereitschaft demonstrieren. Ihr müsst mit Opponenten diskutieren!“ – „Warte mal“, antworte ich, „aber meine Opponenten nennen mich Faschist“. – „Das ist unwichtig, ihr seid dazu verpflichtet“. – „Warte“, sage ich, „die Sache ist, dass ich kein Faschist bin“. – „Das spielt keine Rolle“. Sie wird ungeduldig. „Du verstehst doch, dass eure Diskussionen, die ihr bei uns in Deutschland führt, eine Art Masturbation sind. Es kommen nur Ukraine-Liebhaber dazu. Wen interessiert das schon?“
Das stimmt, denke ich, es ist wenig Spannung dabei – keine Rangeleien, keine Flüche, keine Pyrotechnik. Und Hauptsache, keiner sagt zum anderen: Faschist. Die Bekannte spricht gut Russisch, ist mit vielen russischen Autoren per du, unter anderem mit denjenigen, die zu einem Angriff auf Charkiw und Kiew aufrufen und dafür plädieren, die Grenzen des eigenen Landes auf Kosten der Territorien der „anderen Seite“ auszudehnen. Sie interessiert sich für Militärkonflikte, war bereits im Kaukasus, will auch nach Donbass fahren. Keine Politik – die professionelle Neugier. Ein weiterer Militärkonflikt auf der Europakarte, es gab unzählige davon, es werden unzählige folgen.
Nichts Besonderes, alles beim Alten. Alles gut. Wenn da nicht diejenigen vor Ort wären, die sich weiterhin weigern, sich als eine der beiden Parteien in dem sogenannten Konflikt bezeichnen zu lassen. Die über diesen Krieg nicht ruhig sprechen können. Die dazu aufrufen, die Aggression, die Annexion und die Okkupation zu verurteilen. Die an das Gefühl der Gerechtigkeit appellieren, überhaupt an Gefühle erinnern. Die sich weigern, sich mit den Tätern an einen Tisch zu setzen und zu verhandeln.
Ja, diese Menschen machen Probleme. Es ist schwer, sie zu verstehen, ihre Wahrheit als eigene zu akzeptieren. Manchmal denke ich, dass der Mensch nur dann beginnt, an den Tod zu glauben, wenn er selbst im Sterben liegt. Erst da glaubt er aufrichtig, fest und unerschütterlich daran. Allerdings nicht mehr lange.
Aus dem Ukrainischen von Irina Serdyuk
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