Konflikt um Denkmal-Bebauung: Im Schatten des Gasometers
Beim geplanten Ausbau des Gasometers auf dem EUREF-Gelände kommt das Bezirksamt dem Investor entgegen. Dagegen gibt es Proteste von AnwohnerInnen.
Die Luft ist raus: Anfang des Monats wurde die Druckzufuhr für die „Jauch-Kuppel“ gekappt. Die Traglufthalle im alten Schöneberger Gasometer, wo sich einst ein TV-Spielleiter als politischer Talkmaster versuchte, sank in sich zusammen. Der Eigentümer des Gasometers, die EUREF AG unter ihrem Vorstandsvorsitzenden Reinhard Müller, will die Kuppel nach Düsseldorf bringen, wo das Unternehmen nach Berlin einen zweiten „Campus“ errichtet.
Die Luft brennt: Seitdem das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg am 8. September beschlossen hat, den alten Bebauungsplan für den einstigen Gasag-Standort am S-Bahnhof Schöneberg – das heutige EUREF-Gelände – zu reaktivieren, regt sich Unmut bei vielen AnwohnerInnen. Ihr Ärger macht sich an dem Gebäude fest, das nun im Inneren des kreisrunden Gasometergerüsts hochgezogen werden soll, bis kurz unter die 77 Meter hohe Oberkante.
„Wir haben in den vergangenen Monaten mit sehr vielen Menschen im Kiez gesprochen, und die sind durch die Bank entsetzt über die Planungen“, sagt Johannes Zerger der taz. Er engagiert sich in der Bürgerinitiative „Gasometer retten!“, die bereits Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD), Baustadtrat Jörn Oltmann (Grüne) und die Denkmalbehörden angeschrieben und bei einer Onlinepetition über 6.000 Unterschriften gesammelt hat.
Der geplante Neubau „würde die beeindruckende Silhouette der Stahlkonstruktion zerstören, die als weithin sichtbare Landmarke das Berliner Stadtbild prägt und zum identitätsstiftenden Symbol der Roten Insel in Schöneberg geworden ist“, heißt es im Petitionstext. Auch warnen die VerfasserInnen vor der stärkeren Verschattung des angrenzenden Altbauquartiers und dem von dem neuen Gebäude ausgehenden Lichtsmog.
Sie fordern, dass sich ein Hochhaus im Gasometer bis maximal 57 Meter erheben darf und zwei der vom Stahlraster gebildeten „Felder“ frei bleiben. So hatte es der ursprüngliche Bebauungsplanentwurf auch vorgesehen. Argumentiert wurde darin mit denkmalschützerischen Gründen: „Durch das Freilassen der beiden oberen Stahlgerüstringe bleibt der typische transparente Charakter in der Fernsicht weitgehend erhalten“, hieß es.
Weil einige stadträumliche Aspekte zwischen EUREF und Bezirk bislang ungeklärt waren, wurde dieser Bebauungsplan so nie beschlossen – gebaut wurde trotzdem: Die Gebäude des „Campus“, wo sich Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus den Bereichen Energie und Mobilität angesiedelt haben, wurden auf Grundlage der sogenannten Planreife genehmigt.
Fast 15 Meter höher
Der Kompromiss (oder Deal, je nach Einschätzung) zwischen dem Baustadt und EUREF-Chef Müller lautet nun grob gesagt wie folgt: Der modifizierte Bebauungsplan, der seit Montag ausliegt, reduziert die Geschossfläche auf dem Gesamtgelände von 163.800 auf 135.000 Quadratmeter, erhöht sie aber im noch fehlenden Gasometergebäude von 30.850 auf 39.600 Quadratmeter – und die Oberkante von 57 auf 71,50 Meter.
Konkret bedeutet das, dass das Gasometerhaus nur noch das oberste Gerüstfeld teilweise frei ließe. Dort entstünde ein zurückgesetztes „Staffelgeschoss“ mit flacher Kuppel. Für das restliche Gelände ändert sich faktisch nur, dass sich der bereits fertige Gebäudebestand nicht mehr aufstocken ließe. Und EUREF wird die im alten B-Plan enthaltene millionenschwere Verpflichtung erspart, eine weitere Zufahrtsstraße vom Autobahnkreuz Schöneberg zu dem Gelände zu errichten.
Genau das findet Stadtrat Oltmann gut: „Als Grüner kann ich es nur begrüßen, wenn eine Straße nicht gebaut wird“, sagt er. Sie sei auch nicht mehr nötig, das habe ein neues Gutachten ergeben: Das Mobilitätsverhalten habe sich in den letzten zehn Jahren stark verändert, die meisten Beschäftigten auf dem Gelände reisten per ÖPNV oder Fahrrad an. Oltmann ärgert sich über die Debatte, weil im Gasometer rund 2.000 gut bezahlte Arbeitsplätze entstünden – „in einem Zukunftsbereich“: Wie bereits bekannt wurde, will die Bahn AG dort ihre „Digitalisierungseinheit“ konzentrieren.
Deshalb hält der Stadtrat die Änderung der Gebäudehöhe für einen „tragfähigen Kompromiss“, von dem sich alle in den kommenden Wochen ein Bild machen könnten, auch in einem extra vor Ort aufgestellten Info-Container. Alle Einwendungen von AnwohnerInnen würden anschließend geprüft, genauso wie die des Landesdenkmalamts – das gegenüber der taz bestätigt, dass es die Umplanung ablehnt. Solche Einwände könnte das Bezirksamt allerdings „wegwägen“, wie der Fachbegriff lautet.
Der Stadtrat bemüht auch das Argument, dass der Gasometer in seiner „aktiven Zeit“ zwischen 1910 und 1995 kein leeres Gerüst war: Es umschloss einen je nach Füllstand auf- oder abfahrenden Druckbehälter für Stadtgas. „Das geplante Gebäude wird diesem Bild nahekommen“, glaubt er, „und wenn wir schon von Bewahrung historischer Substanz reden: Ich glaube nicht, dass die Anwohner mit einem Zylinder aus genieteten Stahlplatten glücklich wären.“
Johannes Zerger von der Bürgerinitiative lässt das nicht gelten: „Während des Betriebs hatte der Gasometer sehr unterschiedliche Füllstände. Und so wie jetzt sieht er seit einem Vierteljahrhundert aus. Das ist für Schöneberg längst stadtbildprägend“, sagt er. Zerger hat aber auch Bedenken angesichts der Verhandlungstaktik von Projektentwickler Müller. So wurde im Sommer 2020 plötzlich kolportiert, Tesla wolle in den Gasometer ziehen. „Das Gerücht kam natürlich zum perfekten Zeitpunkt und dürfte es EUREF leichter gemacht haben, den Stadtrat und die BVV für die Umplanung zu gewinnen“, meint er.
2.000 „neue“ Arbeitsplätze?
Es blieb dann ein Gerücht. Dass nun die Bahn AG einziehen will, scheint deutlich belastbarer zu sein. Was genau das Unternehmen dort tut, steht auf einem anderen Blatt. „Aus der grünen BVV-Fraktion heißt es, die Bahn AG habe einen Vertrag mit Herrn Müller und werde in dem geplanten Gebäude im Gasometer 2.000 neue Arbeitsplätze schaffen“, berichtet die frühere grüne Bezirksbürgermeisterin Elisabeth Ziemer, die heute in der Denkmalpflege engagiert ist. „Das waren wohl auch Gründe für die Fraktion, der Veränderung des Bebauungsplanentwurfs zuzustimmen.“
Dass es sich um „neue“ Arbeitsplätze handelt, trifft nach taz-Informationen nicht zu. Ein Großteil davon sind Jobs, die die Bahn von anderen Standorten in den Gasometer verlegen will. Nicht zuletzt angesichts der Coronakrise wäre eine solche Expansion gerade auch schwer vorstellbar. Ziemer betrachtet das Versprechen jedenfalls mit „großer Skepsis“: „Herr Müller hat in der Vergangenheit schon viele Projekte angekündigt, die nicht realisiert wurden.“
Das trifft auch auf die Sanierung des Gasometergerüsts selbst zu, wie die KritikerInnen betonen. Immerhin hatte Müller sich schon im Jahr 2009 dazu verpflichtet, die Rostschäden der Stahlträger zu beseitigen. Das soll ihm zufolge jetzt erst, im Zuge des Ausbaus geschehen. Die LED-Anzeige, mit der der Gasometer damals im Gegenzug „geschmückt“ werden durfte, blieb allerdings die ganze Zeit über erhalten. Mittlerweile zeigt sie immerhin die rückwärts tickende „carbon clock“, die angibt, wie lange noch CO2 im aktuellen Umfang emittiert werden kann, ohne das Pariser Klimaziel zu sprengen.
Bleibt die Frage, ob noch ein direkter Meinungsaustausch zwischen AnwohnerInnen und EUREF-Vorstand möglich ist. In einem Zeitungsinterview hatte Reinhard Müller betont, er habe das Gespräch angeboten. Wie sich später herausstellte, bezog sich das wohl auf eine frühere Bürgerinitiative, die schon vor Jahren den Ausbau des Gasag-Geländes kritisierte. Laut Stadrat Oltmann soll es aber am 16. Februar eine Videokonferenz geben, bei der Müller sein Projekt noch einmal vorstellen wird.
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