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Konflikt um Altlasten im BodenWelten prallen aufeinander

Ernst Kirchner will seinen Betrieb erweitern – auf dem Gelände einer Munitionsfabrik im Harz. Die Verwaltung macht ihm dabei das Leben schwer.

Kümmert sich Munitionsreste und Minibunker auf dem Gelände: Ernst Kirchner Bild: Gernot Knödler

HERZBERG taz | Die Pfähle kommen einem irgendwie bekannt vor. Übermannshoch, aus Beton, mit nach außen gebogenen Enden – so sahen diejenigen aus, die die Konzentrationslager einzäunten. Auch hier auf dem Pfingstanger in Herzberg am Harz, einem zugewucherten Gelände zwischen dem Schlossberg und dem kiesigen Bett der Sieber, zeichnen sie die Kontur einer Nazi-Anlage nach – in diesem Fall einer ehemaligen Munitionsfabrik, die kurz vor Kriegsende, vor 70 Jahren in die Luft geflogen ist, unter weiträumiger Verteilung von Munition und Sprengstoff.

Denkmalgerecht herrichten lassen hat die Pfähle Ernst Ludwig Kirchner, ein Herzberger Unternehmer, der sich in den Kopf gesetzt hat, in der Ruine des „Werks Kiefer“ seinen Betrieb anzusiedeln. Kirchner braucht für seinen Anlagenbau ein zusätzliches Lager und eine Werkhalle, in der er „zu seltsamen Zeiten“ arbeiten kann, wie er sagt.

Er will die Brache, zu der er bequem mit dem Fahrrad fahren kann, für seine Heimatstadt reaktivieren und sieht die Chance, hier die Wasserkraft zu nutzen, wie es seit Jahrhunderten im Harz gemacht wird.

Die Pläne klingen plausibel. Doch der Aufwand, den der Unternehmer mit dem Gelände treibt, und der Kampf, den er seit Jahren mit den Behörden ausficht, legen nahe, dass mehr dahinter steckt: die Sturheit eines Machers, der am Widerspruch zwischen Recht und Wirklichkeit verzweifelt; der nicht versteht, dass ihm die Verwaltung ständig neue Steine in den Weg legt; und der von dem Gelände und dessen Geschichte fasziniert ist.

Ernst Ludwig Kirchner ist einer, dem es nicht in erster Linie ums Geld verdienen geht, sondern um die Sache. Probleme lösen, ist sein Ding: eine Maschine zu konstruieren, die eckige und runde Steine voneinander trennen kann, oder ein Rührgetriebe, das den tonnenschweren Klärschlamm der norddeutschen Affinerie Aurubis umrühren kann.

Die Lokalgeschichte gehört auch dazu und die Wasserkraft – Kirchner hat oben an der Bundesstraße ein Wasserrad im alten Mühlenstil errichtet und würde auch auf seinem neuen Firmengelände gerne eine alte Turbinenanlage wieder in Betrieb nehmen.

Kirchners Recherchen

Luxus gibt es im Hause Kirchner nicht. Das Wohnzimmer der Familie ist mit Möbeln aus den 1960er-Jahren eingerichtet: lindgrüne Sessel, Sofa mit Stoppelpolster. Kirchner trägt ausgebeulte Jeans und einen roten Pulli. Das Wohnzimmerfenster geht direkt auf die Fußgängerzone.

Martina Kirchner zieht die Vorhänge zu, bevor ihr Mann die Präsentation vorstellt, die er für seine Herzberger Mitbürger gebastelt hat. Es braucht ja nicht jeder zu gucken, wenn Ernst Ludwig Kirchner auf dem Laptop Flurkarten aus dem 19. Jahrhundert zeigt, Luftbilder aus der Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und Fotos seiner aktuellen „Ausgrabungen“ auf dem Gelände.

Die Industriegeschichte des Pfingstangers, einem flachen Gelände zwischen dem Flüsschen Sieber und dem Schlossberg, beginnt Kirchners Recherchen zufolge 1739 mit dem Bau einer Gewehrfabrik für das Kurfürstentum Hannover, die 1876 geschlossen wurde.

Es folgten eine Baumwollbleicherei, im Ersten Weltkrieg die Produktion von Schießbaumwolle und nach dem Ende des Krieges eine Kunstseidenfabrik. Kirchner hat Dutzende Fotos davon, eine Mischung aus Wildwest-Goldschürfer-Impressionen und einem Idyll blühender Obstbäume.

Überall Munitions und Sprengstoffreste

Die Spinnerei ging pleite. In den 1930er-Jahren lagen die Gebäude brach, 1940 ließ das Oberkommando des Heeres dort eine Munitionsfabrik errichten, in der Bomben und Tellerminen mit Sprengstoff gefüllt wurden. Beim Gang über das großteils zugewucherte Gelände sind deren Reste gut auszumachen: Am Wegesrand steht ein bemooster Ein-Mann-Bunker mit Sehschlitz in Form eines Pilzhutes.

Gegenüber ragt eine Betonsäule hüfthoch in die Luft. Weiter im Wald ragen armdicke Rohre aus dem trockenen Laub. „Da drunten sind überall Bunker“, vermutet Kirchner. Nicht zu übersehen sind die geborstenen Betonwände einer oberirdischen Anlage – bemoost und baumbewachsen.

Die Ruinen sind das Ergebnis einer Explosion nach einem Brand Anfang April 1945, wenige Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner. 1948 sprengten die Briten einen weiteren Teil des Geländes. Dabei blieb genug Gebäudebestand übrig, um dort in den Nachkriegsjahren einen Glashandel aufziehen und den städtischen Bauhof ansiedeln zu können.

Dass überall auf dem Gelände noch Munitions und Sprengstoffreste herumliegen mussten, war den Herzbergern, die den Krieg und Bombenangriffe hinter sich hatten, egal. Bis 1995 gab es den Glashandel und noch 2008 genehmigte die Stadt auf dem Grundstück den Betrieb einer Baustahlfirma.

Die Dinge sollten sich ändern, als Kirchner 2009 ein Stück des Geländes mit der ehemaligen Wäscherei und dem Turbinenhaus der alten Wasserkraftanlage von der Stadt kaufte. Zwar schneiderte ihm der Rat einen Flächennutzungs und Bebauungsplan für sein Vorhaben auf den Leib, doch dann begannen die Probleme.

Ein Pingpong-Spiel

Im Februar 2011 stellte sich heraus, dass es für die von Kirchner erworbenen Gebäude, einen flachen, weißen Bau mit rotem Dach, keinen Bestandsschutz gab. Weil die Nutzung einmal unterbrochen worden war, als Kirchner kaufte, galt es faktisch als illegal.

Denn in den Archiven der Stadt und des Kreises fand sich keine Baugenehmigung. Dass das Gebäude über den größten Teil von 70 Jahren genutzt wurde und zuletzt von der Stadt noch einmal vermietet worden war – egal. Kirchner musste eine neue Baugenehmigung für das bestehende Gebäude beantragen.

Einen ersten Bauantrag zog Kirchner im Mai 2013 auf Anraten seines Architekten wegen „geringer Erfolgsaussichten“ zurück. Im November stellte er mit einem anderen Architekten einen neuen Antrag auf „Nachgenehmigung der vorhandenen Bebauung“.

Es folgte ein Pingpong-Spiel: Der Landkreis stellte Nachforderungen zum Antrag; Kirchner und sein Architekt schrieben zurück. Den Nachweis des Brandschutzes und der Bodenuntersuchung für einen Teil seines Grundstücks blieb Kirchner trotz regen Schriftwechsels den Behörden schuldig.

Dabei hatte der Unternehmer verschiedene Firmen mit den entsprechenden Untersuchungen beauftragt und sogar einen Bagger aufgerüstet, um nach Kampfmitteln wühlen zu können. Vor der Tür der Werkhalle in spe steht ein orangener Bagger mit mit einer Extra-Scheibe vor dem Führerhaus. „Da können Sie mit dem MG drauf schießen“, versichert Kirchner.

Er hat die Scheibe anschweißen lassen, bevor er den Grundstücksteil zwischen Wäscherei und Zaun abräumen ließ. Der begleitende Feuerwerker fand 6,5 Kilo Panzerminen-Schrott und ein Stück Infanteriemunition. Ob das Gelände kampfmittelfrei sei, lasse sich nicht ermitteln, da zu viele Eisenteile im Boden lägen, urteilte der Feuerwerker.

Trotzdem kam er zu dem Fazit: „Für eine gewerbliche Nutzung/Bebauung des Betriebsgeländes spricht unsererseits bei kampfmitteltechnischer Begleitung nichts dagegen.“

Beim Landkreis Osterode scheint das alles nicht angekommen zu sein. Nach mehreren Fristverlängerungen lehnte er es im Januar 2015 ab, den Bauantrag zu behandeln. Das Verfahren laufe seit November 2013 – das sei zu lang. Denn ein Baugenehmigungsverfahren sei „einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen“, beschied die Sachbearbeiterin. Zwar gebe es dafür keine speziellen Fristen, wohl aber „interne Vorgaben“.

Kirchner findet das zum Verzweifeln und sieht die Schuld für das schleppende Verfahren beim Kreis. Immer wieder habe es Nachforderungen gegeben und dann sei auch noch eine maßgebliche Mitarbeiterin vier Wochen ohne Vertretung in den Urlaub gefahren. „Es erschließt sich mir nicht, wie man erst verzögern kann“, sagt Kirchners Frau Martina, „und dann reichen wir ein und sie lehnen ab.“

Stadt und Kreis wollen Kirchner von Anfang an auf die Schwierigkeiten aufmerksam gemacht haben, auf die er sich einlasse, wenn er auf einem Altlasten-Areal plane, das obendrein ein europäisches FFH-Naturschutzgebiet ist.

Bei der Baugenehmigung gehe es auch darum, dass Kirchner „gesunde Wohn und Arbeitsverhältnisse“ nachweisen müsse, sagt der Erste Kreisrat Gero Geisslreiter. Nebenan werkeln die Arbeiter des städtischen Bauhofs vor sich hin, mögliche Munitionsreste im Boden hin, giftige Produktionsabfälle her.

Haftbar gemacht

Man habe die Kirchners gewarnt: „Wenn ihr Eigentum erwerbt, seid ihr Störer“, sagt Kreisrat Geisslreiter. Weil sich Kirchner die Altlastenfläche ans Bein band, wird er auch für die Abwendung der Gefahren haftbar gemacht, die davon ausgehen. „Ich bin einer, der was macht, das ist das Schlimmste“, vermutet Kirchner.

Doch inzwischen gibt es Hoffnung. „Wir gehen davon aus, dass wir kurz vor der Genehmigung stehen“, sagt Martina Kirchner. Einem Widerspruch ihres Mannes gegen die Ablehnung des Bauantrages werde wohl stattgegeben.

Und dabei habe die Kreisverwaltung konzilianterweise sogar darauf hingewiesen, dass Ernst Kirchner den Widerspruch persönlich einreichen müsse und nicht durch einen Vertreter. Vielleicht ist auch dieses Problem bald gelöst.

Mitarbeit: Thomas Kügler

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