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Konflikt in OstukraineFeuerpause, aber kein Frieden

Es ruhig geworden im Osten der Ukraine. Die Menschen trauen sich wieder auf die Straße. Doch die Waffenruhe ist brüchig.

Atempause in einem zerstörten Gebiet: Vuhlehirsk nahe Donezk. Bild: reuters

KIEW taz | Die Waffenruhe in der Ukraine hält – zumindest teilweise. „Die ganzen vergangenen Tage und Nächte habe ich in der Nähe das Donnern der Kanonen gehört. Heute war es endlich ruhig“, berichtete Tatjana Schneidmüller aus dem von den Separatisten gehaltenen Donezker Vorort Suhres am Telefon. „Ich bin Optimistin und hoffe, dass der Waffenstillstand anhalten wird.“

Auch Anastasia Schurkajewa aus Lugansk, wo ebenfalls Separatisten das Sagen haben, konnte vor einer ruhigen Nacht berichten. „Das war seit Langem die erste Nacht, in der ich wieder ruhig schlafen konnte. Am Morgen sind wir auf die Straße gegangen, konnten gar nicht glauben, dass nicht geschossen wird“, berichtete sie weiter. „Wir haben uns im Flüsterton unterhalten, so, als könnte jeder Laut einen Schuss provozieren. Hier in der Stadt ist es ruhig. Das kann ich bestätigen. Aber ich kann das nur für Lugansk sagen. Wie es andernorts aussieht, weiß ich nicht.“

Pünktlich um 12 Uhr Mitternacht war der ukrainische Präsident Petro Poroschenko vor die Fernsehkameras getreten und hatte die ukrainischen Streitkräfte dazu aufgerufen, das Feuer einzustellen. Kurz zuvor hatten auch Sprecher der Separatisten von Lugansk und Donezk die Einstellung des Feuers verkündet. Doch nicht überall wurde die vereinbarte Waffenruhe befolgt.

In Donezk war es nach Mitternacht zwar weitgehend ruhig geblieben. Doch am Sonntagnachmittag drangen zunehmend Nachrichten über Verletzungen des Waffenstillstandsabkommens durch. Einwohner von Schdanowka und Jenakiewo im Bezirk Donezk berichteten der taz telefonisch vom Artilleriebeschuss in ihren Ortschaften.

7.000 Soldaten im Kessel

Vor allem an zwei Orten scheint die Waffenruhe nur von sehr kurzer Dauer gewesen zu sein: Debalzewe und Schirokino. Nach Berichten der Aufständischen sitzen in Debalzewe zwischen 5.000 und 7.000 ukrainische Soldaten in einem Kessel fest - angesichts einer Gesamtstärke von geschätzten 30.000 Soldaten eine sehr große Zahl. Beide Seiten warfen sich hier eine Verletzung des Waffenstillstandsabkommens vor.

In den Minsker Vereinbarungen findet sich kein spezieller Passus über Debalzewe, zitiert das ukrainische Internetportal vest-ukr.com den Chef der Donezker Aufständischen, Alexander Sachartschenko. Dieser, so das Internetportal, habe betont, dass die Aufständischen die Waffenruhe in der Region Debalzewe nicht einhalten würden.

Auch in dem bei Mariupol gelegenen Ort Schirokino wurde offenbar weitergekämpft. Die Aufständischen hätten versucht, am Sonntagmorgen in den Ort vorzurücken, berichtet der Pressedienst des rechtsradikalen Freiwilligenbataillons Asow, das in Schirokino stationiert ist.

„Und dann wird alles noch schlimmer kommen“

„Nach Stunden der Hoffnung am Sonntagmorgen überwiegt bei uns schon wieder die Angst vor einer neuen Enttäuschung“, berichtet der Kiewer Student Wolodja. „Und dann wird alles noch schlimmer kommen.“

Für den Fall eines Scheiterns des jüngsten Waffenstillstands befürchten Beobachter eine neue Eskalation des Krieges und die Ausrufung des Kriegszustands in der Ukraine, wie von Präsident Poroschenko am Samstag für den Fall einer Fortdauer des Krieges angekündigt.

In der Bevölkerung befürchtet man für diesen Fall weitere Einschränkungen. So darf im Kriegsfall die Pressefreiheit sehr weit eingeschränkt werden, Zeitungen können verboten, Wohnungen und Autos beschlagnahmt, das Internet zensiert werden. Statt der bestehenden Teilmobilisierungen ist dann eine Generalmobilmachung möglich.

Drohung Kriegszustand

Doch nicht alle sind sich sicher, dass Poroschenko tatsächlich den Kriegszustand ausrufen wird, sollte die Waffenruhe nicht halten. Bereits jetzt ließen sich mit den Teilmobilisierungen ausreichend Soldaten mobilisieren. Im erklärten Kriegsfall wäre die Ukraine nicht mehr kreditwürdig, befürchten Wirtschaftsexperten, keine internationale Organisation würde einen Kredit gewähren.

Unterdessen hat der ehemalige Profifußballer und langjährige Trainer der ukrainischen Nationalmannschaft, Olexander Sawarow, erklärt, er werde seinem Einberufungsbefehl nicht Folge leisten. Der frühere sowjetische Fußballnationalspieler, der aus Lugansk stammt, begründete seine Entscheidung damit, dass er nicht bereit sei, in einer Region zu schießen, in der seine Eltern begraben seien.

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13 Kommentare

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  • Porschenkos Idee den Notstand auszu-rufen wird für Ihn fatale Konsequenzen haben. Die IWF Kredite werden dann nicht fliessen. Weil dies dem IWF verboten ist. Die Ukraine hat den Waffenstillstand schon nach 2 Std verletzt. Eine militärische Eskalation wird Kiew zum grossen Verliere machen, dann weder die Separatisten nicht stoppen bis man in Dnjepropetrowsk ist

  • Mit der Umbenennung eines Platzes in Italien wird Odessa gedenkt:

     

    "The square in Ceriano Laghetto, in the northern province of Lombardy, is now called "Martyrs of Odessa" in memory of people killed during two separate incidents in the Ukrainian city.

     

    The first was a massacre of Jews in October 1941, but it's also named for pro-Russian separatists who died during clashes with Ukrainian government supporters in May 2014"

     

    http://www.bbc.com/news/blogs-news-from-elsewhere-31164151

  • Wer ist denn heutzutage noch bereit in einem Krieg zu kämpfen? Ich kann mir das nicht vorstellen.Ich glaube Kriege kann man zum großen Teil nur noch mit Söldnern führen. Das macht ´doch keiner mehr mit, so eine Scheiße. Wofür?

  • Durchhalten! Wäre ja schön, wenn es endlich friedlich bleibt und die Leute wieder anfangen richtig miteinander zu reden, anstatt sich zu beschießen und zu drohen. Angst und Aggression machen dumm.

    • @bonus bonus:

      Es wird keinen Frieden geben gegen Russland und ohne Russland, nur mit Russland.

  • Da neulich hier das deutsche Kfz.-Kennzeichen des Landkreises Borken an einem ukrainischen Schützenpanzerwagen erwähnt wurde, hier steht was dazu, unter der Uhrzeit 08.30 Uhr:

    http://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/ukraine-krise-ukraine-vor-waffenruhe-poroschenko-droht-mit-kriegsrecht_id_4476956.html

  • So so, Zitat, "Auch US-Präsident Barack Obama brachte in einem Telefonat mit Poroschenko seine Sorge um die Lage in Debalzewo zum Ausdruck".

    Wo war denn Obamas "Sorge" während der vielen Monate zuvor, wo die vom ukrainischen Militär besetzte Gegend um Debalzwo der "ideale" Ausgangspunkt war, zivile Wohngegenden in Gorlowka und anderen Städten des Separatistengebietes zu beschießen? Wahlweise mit Artillerie, Grad-Raketen, Uragan-Raketen?

    Jetzt, da der Kessel von Debalzewo seit ca. einer Woche zu ist, geht den Truppen dort drin langsam die Munition aus, was schon während der letztenTage an einem verringerten Beschuß zu merken war.

    Es ist völlig richtig, daß um den Kessel von Debalzewo wieder Kämpfe aufflammen werden. Sachartschenko hat schon zum Ausdruck gebracht, dieses Gebiet werde als inneres Gebiet der Volksrepubliken betrachtet. Die Eingeschlossenen dürften sich gerne ergeben, jeder Versuch des Ausbrechens oder des Entsatzes von außen werde aber unterbunden. Schließlich sei Debalzewo in Minsk kein Thema gewesen und auch nicht im Abschlußdokument erwähnt worden.

    • @Der_Peter:

      doch, doch das war schon Thema (Pressekonferenz):

       

      "6,000 to 8,000 servicemen(...)If the troops really had been surrounded, then, logically, they will try to break free, while those who are on the outside will try to arrange for a corridor for their trapped servicemen."

       

      Ist aber ein gutes Faustpfand für Donezk/Lugansk, klar...

    • @Der_Peter:

      Man munkelt, dass im Kessel über 2000 ausländische Söldner und NATO Angehörige mit drin sitzen.

      Deswegen sollen auch die westlichen Vertreter so plötzlich um den Frieden besorgt sein.

      Wie gesagt man munkelt

      • @Ben Nebelt:

        Man munkelt auch das der Mond aus Käse ist, und das es auf der Venus ein riesiges Meer an Erdöl gibt.

        • @Komme_aus_Hannover:

          einfach mal im Hinterkopf behalten wenn während man die weiteren Entwicklungen verfolgt :)

      • @Ben Nebelt:

        Ja, es wird gemunkelt, und die plötzliche Eile von Hollande und Merkel war schon auffällig, just zu dem Zeitpunkt, da der Kessel geschlossen wurde. Die Zeit wird es zeigen, ob das mit den ausländischen Söldnern stimmt oder nur ein Gerücht war.

        Daß Debalzewo kein Thema in Minsk war, könnte daran liegen, daß Kiew immer noch nicht die Einkesselung zugeben möchte, genauso wie der Verlust des Donezker Flughafens von Kiew lange nicht eingeräumt wurde und statt dessen immer neue Truppen zum Verhackstücken dorthin geschickt wurden. Denen wurde erzählt, sie sollten Verwundete bergen, und statt verwundeter Kameraden fanden sie dort nur den Tod oder die Gefangenschaft.