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Konferenz über RechtsruckAuf der Suche nach einem progressiven Kulturbegriff

Doch lieber woke: Auf der Konferenz „Under Pressure“ der Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung überlegte man, wie ein rechter Kulturkampf zu kontern sei.

Ein „All fascist bound to loose“ wie Woodie Guthrie sang, braucht es heute wieder in der Kultur Foto: Brian Cahn/Zuma Press/imago

Es ist noch nicht lange her, dass in Deutschland der linke Kulturkampf abgeblasen wurde. „Wir machen Schluss mit dem woken Kram“ drohte die CDU-Bildungspolitikerin Karin Prien dieses Frühjahr im besten Trump-Ton auf der Plattform X der auf Identitätspolitik fixierten Linken. Der Kulturjournalist Jens Balzer hatte diese schon ein Jahr zuvor mit seinem Buch „After Woke“ verabschiedet, denn linker Identitätspolitik liege ihm zufolge ein Antisemitismus inne.

Der Glaube mit einer Rückkehr zu den Bread-and-Butter-Themen diejenigen zurückgewinnen zu können, die mit dem Konzept kultureller Befindlichkeiten fremdeln, könnte sich freilich als gefährlicher Irrtum erweisen. Denn die Kultur, das machte zu Wochenbeginn in Berlin ein Kongress der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung deutlich, ist kein Nebenkriegsschauplatz der Gegenrevolution von rechts, die derzeit die Welt erschüttert, sondern ihr Schlüsselelement.

Im Kern der unter dem Titel „Under Pressure!“ diskutierten Fallbeispiele der von den europäischen Rechtspopulisten bedrohten Kultur rangieren nämlich die nationale Identität oder das nationale Erbe – weit vor der Eindämmung der Inflation.

Heimatmuseum und Heldengral

Wenn Freie Wähler in Ostdeutschland lokale Museen in Heimatmuseen umbenennen wollen, wenn das Museum des Zweiten Weltkriegs in Gdańsk zum polnischen Heldengral umfunktioniert werden soll oder Donald Trump per Exekutivorder den „classical“ Architekturstil für US-Bundesbauten obligatorisch macht, versprühen die europäische und die imperiale Provinz dasselbe Gift, dessen Verwendung sie der Linken vorwerfen: das des „exklusiven Identitarismus“. So formulierte es die Sozialanthropologin Sharon Macdonald von der Berliner Humboldt-Universität.

Gegen derlei Politiken kann sich der Kulturbetrieb mit moralischer Standfestigkeit wehren, mit Solidar-Netzwerken und ausgeklügelten Dialogstrategien vor Ort. Beizukommen ist der rechten Offensive aber nur mit einem progressiven Begriff von Kultur. Und da ist, das sah der SPD-Kulturpolitiker Helge Lindh realistisch, der „demokratische Bogen“ schlecht gerüstet.

Es dürfte auch nicht reichen, sich darauf zu verlassen, dass es in Deutschland nach einer Machtübernahme der AfD so kommt wie in Viktor Orbáns Labor der „illiberalen Demokratie“. Nach Ansicht des Autoritarismus-Forschers Bálint Mikola von der Central European University, die inzwischen von Protofaschist Orbán aus Budapest vertrieben wurde, ist Orbáns Projekt einer konservativen Nationalkultur gescheitert. Trotz massiven Mitteleinsatzes habe sie nie die Qualität der von ihr angefeindeten „Eliten“-Kultur erreicht.

Doch wenn „Symbole und kollektive Rituale zur Bildung neuer Gemeinschaften“, auf die Mikola seine Hoffnung setzt, wenn Kamala Harris’ und Zohran Mamdanis „politics of joy“ oder die derzeit beschworenen „alternativen Narrative“ einen Weg aus der Autoritarismus-Falle weisen könnten, bedürfte es dafür nicht auch einer linken Identitätspolitik und damit der eines voreilig für obsolet erklärten Kampfes?

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3 Kommentare

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  • Wenn ich bei Wikipedia nachschaue, scheint es nicht so kompliziert: »bezeichnet eine Zuschreibung für politisches Handeln, bei der Bedürfnisse einer spezifischen Gruppe von Menschen im Mittelpunkt stehen.« Darunter würde ja auch jede Lobbygruppe fallen, egal, ob links, rechts oder geldgierig.

    »If Black women were free, it would mean that everyone else would have to be free since our freedom would necessitate the destruction of all the systems of oppression.« So würde es gehen und wäre ein linkes Projekt. Entscheidend ist, dass, wenn in einer bestimmten Situation der Bezug auf eine Identität nötig erscheint, diese nicht mit der Produktion von Ausgrenzung einhergeht, sondern mit dem Bewusstsein und der Wertschätzung für Andersartigkeit.

    Aber inwiefern hilft das im Moment weiter? Da hätte ich doch einen weniger banalen Schluss erwartet.

  • Dem Autor fällt es ja extrem schwer, die linke Identitätspolitik hinte sicih zu lassen.

    Nun haben wir erlebt, wohin sie uns geführt hat.

    Muss es wirklich noch mehr vom Gleichen sein?

    Es ist erschreckend, wie schwer es aktuell Linken fällt, einen Gesellschaftsentwurf zu formulieren, der für alle attraktiv ist.

    War nicht immer so.

  • Hier wird Identitätspolitik beschworen, aber nicht definiert.

    Was ist damit gemeint? Identität durch Ausschluss anderer? Identität der hier Geborenen? Identität derer mit dem längsten Stammbaum? Identität durch gemeinsame Werte? Würde als Identität? Identität durch Haarlänge? Identität durch „wir sind nicht cringe“? Identität durch Integration neuer Ideen? Identität durch Ablehnung kultureller Aneignung? Multi-Kulti als Identität? Identität durch Zugehörigkeitsgefühl? Identität durch gemeinsame Rituale? Identität durch Religion? Identität durch Konsum?