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Konferenz „Degrowth“ in LeipzigWachstum an den richtigen Stellen

Im September soll die Frage nach dem wahren Fortschritt diskutiert werden. Ein Gastbeitrag über ein schon in sich innovatives Treffen.

Wachsen, weiter wachsen: Baukräne im Europaviertel, Frankfurt/Main. Bild: dpa

Fortschritt, Innovation, Wachstum – wer das liest, der denkt: wieder einer dieser Artikel, die nach Förderung neuer Technologien und Wirtschaftswachstum rufen, dem probaten Allheilmittel unserer globalen Probleme. Aber wer sagt eigentlich, dass Fortschritt und Innovation hauptsächlich im technologischen Bereich stattfinden müssen? Und dass Wachstum automatisch als Wachstum der Wirtschaft verstanden werden muss?

Die Assoziationen, die üblicherweise mit Schlagworten wie diesen verbunden sind, hängen stark von unseren kollektiven Erfahrungen ab. Diese sind – wen wundert es angesichts des beschleunigten technischen und materiellen Fortschritts über die letzten Jahrzehnte – vorwiegend technisch und materiell geprägt.

Anhand der weltweiten Zunahme des Treibhausgas-Ausstoßes, von Ressourcenverbrauch, Schädigung der Umwelt bei gleichzeitig steigender Arbeitslosigkeit und fortlaufender Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich wird allerdings deutlich, dass ein „Weiter so wie bisher“ allein mit „grünen“ Technologien nicht möglich sein wird.

Auch die effizientesten technischen Innovationen werden allein unseren wachsenden Naturverbrauch nicht reduzieren können. Sie entheben uns deshalb nicht der Notwendigkeit, fortschrittlich und innovativ im umfassenden Sinne zu sein. Also unsere geltenden Paradigmen von Grund auf zu hinterfragen, darüber hinauszugehen und bewusst neue Strukturen zu schaffen, die ein gutes Leben für alle innerhalb der gegebenen natürlichen Grenzen ermöglichen.

Die De-Konferenz

Vom 2. bis 6. September findet in Leipzig die vierte internationale Degrowth-Konferenz für ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit statt. Mit 7 Hauptvorträgen, mehr als 20 Podiumsdiskussionen, 250 wissenschaftlichen und praktischen Workshops, alles in Open source.

Mit bekannten RednerInnen wie Naomi Klein, Harald Welzer, Sunita Narain, Niko Paech und anderen begreift sich die Konferenz als das wachstumskritische Event in Europa. Mehr zum Programm und Anmeldung unter www.degrowth.de.

Der Zwang, der Weg in die Steinzeit?

Hier ist als herausragendes Beispiel der Zwang zu wirtschaftlichem Wachstum zu nennen, der uns zwar in den ökologischen Kollaps führt, auf dem aber unsere gesamte globale Weltwirtschaft, Arbeitsmarkt, Staatshaushalte und sozialen Sicherungssysteme beruhen. Kritikern des Wachstumsparadigmas und Befürwortern einer Postwachstumsgesellschaft wird dann auch prompt vorgeworfen, fortschrittsfeindlich zu sein und die Menschheit zurück ins Mittelalter oder die Steinzeit führen zu wollen.

Genau das Gegenteil ist jedoch der Fall, setzt man ein Fortschrittsverständnis voraus, das sich nicht auf den technologischen Bereich beschränkt, sondern vor allem eine Weiterentwicklung im ethischen, interpersonellen, gesellschaftlichen und spirituellen Bereich meint. Ein Bereich, der bisher nicht mit dem rasanten Fortschreiten der Technik mithalten konnte. Was dann in diesem Sinne noch zu wachsen hätte, wären nicht monetär messbare Dinge wie Waren und Dienstleistungen, Geld- und Stoffströme, sondern immaterielle Werte wie Empathie, Achtsamkeit und Solidarität.

Die neuen Fragen, die sich stellen

Würden wir uns ernsthaft das Ziel setzten, in demokratischer globaler Solidarität die Grundbedürfnisse aller bei größtmöglicher sozialer Gerechtigkeit, individueller Freiheit und Bewahrung der natürlichen Ressourcen und Ökosysteme zu erfüllen, dann wäre auf einmal sehr viel Raum für Kreativität, Fortschritt und Innovation. Es hieße nicht mehr: Wie können wir es irgendwie schaffen, unsere bestehenden Systeme trotz der multiplen Krisen aufrechtzuerhalten?

Es hieße vielmehr: Was müssen wir ändern? An uns selbst und der Art, wie wir uns organisieren? Wie schaffen wir wirklich suffiziente Lebensstile und eine ausgeglichene Balance zwischen einer ressourcenschonenden, regionalisierten Wirtschaft und intelligenten Technologien, die uns dabei unterstützen, zivilisatorische Errungenschaften zu erhalten und weiterzuentwickeln?

Welche Technologien brauchen wir auch in der Zukunft, und in welchem Maße? Welche müssen wir verbessern oder überhaupt erst entwickeln? Wie können wir überflüssige bestehende Strukturen zurückbauen? Wie organisieren wir soziale Sicherung, demokratische Teilhabe und Geschlechtergerechtigkeit? Wie könnten die Institutionen in einer solchen Gesellschaft konkret aussehen?

Viele Fragen, die auch auf der internationalen Degrowth-Konferenz in Leipzig eine Rolle spielen werden. Hier sollen konkrete kreative und innovative Ansätze aus Wissenschaft, Gesellschaft, Praxis und Kunst vorgestellt, teilweise ausprobiert und vernetzt werden.

Offene Formate auf der Konferenz

Die Konferenz selbst versucht schon im Kleinen, die Werte einer wachstumsbefreiten Gesellschaft zu leben: Sie ist basisdemokratisch organisiert und offen für alle Interessierten unabhängig vom Geldbeutel. Der Teilnahmebeitrag basiert auf Selbsteinschätzung und Solidarität. Leipzigerinnen und Leipziger stellen unter anderem kostenlose private Schlafplätze zur Verfügung und auch das angebotene Essen wird von einer lokalen Kooperative angebaut. Durch interaktive Formate wie Group-Assembly-Process und Open Space können alle die wollen bei Arbeitsprozessen selbst mitmachen.

Wir hoffen, dass die Konferenz viel dazu beitragen wird, eine positive Vision einer Gesellschaft nach dem Wachstum zu erarbeiten und salonfähig zu machen. Als Optimistin glaube ich fest daran, dass alle Menschen letztendlich lieber kooperieren, statt zu konkurrieren, und lieber eine wirklich sinnstiftende Arbeit ausführen, als einfach nur Geld zu verdienen. Es kommt einfach nur darauf an, welche Wahlmöglichkeiten sie für sich sehen. Die Konferenz wird hier sicherlich viele Impulse geben.

Christiane Kliemann ist freie Journalistin, Mitglied im Degrowth-Organisationsteam und engagiert in der Ökodorfbewegung. Zuvor hat sie beim UN-Klimawandelsekretariat und bei der Deutschen Welle gearbeitet.

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4 Kommentare

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  • Und damit verbunden: warum diese dauernde rhetorische Figur des "Wachsens der guten Dinge und Eigenschaften"? Verfängt man sich da nicht genauso in der Steigerungslogik, die man eigentlich ablehnt? Was, wenn "das Wachsen von Solidarität" immer weniger Raum für den Einzelnen/die Einzelne lässt? Auch das vermeintlich Gute kann uns über den Kopf wachsen und ersticken.

  • Ich bin da doch etwas gespalten. Einerseits teile ich selbst die Ansicht, vom Wachstum abzukehren. Ein einfaches "Weiter so" wird es nicht geben. Die ökologischen, aber auch "psychischen" Kosten (Burnouts auf der einen, Arbeitslose mit wenig Selbstwertgefühl auf der anderen Seite) eines sich noch selbst beschleinigenden Kapitalismus sind aus meiner Sicht zu hoch. Ich zweifle aber daran, dass es hier "den einen" Weg gibt, den wir nur alle zu beschreiten haben. Da gebe ich Christian recht: die Lösungsvorschläge, die von ein paar eher radikal orientierten Kräften formuliert werden (ich meine das nicht abwertend, und radikal eher im Sinne: verglichen mit dem breiten Mainstream) vorgeschlagen werden, entsprechen natürlich sehr dem Wertesystem dieser Menschen. Das sie sich wehren gegen die impliziten Diktate, die im aktuellen Wirtschaftssystem vorherrschen, ist für mich vollkommen legitim. Aber es geht für mich zu weit, daraus eine Art normatives Ideal abzuleiten, den den Einzelnen tendenziell eine gewisse Lebensform vorschreibt. Wir schlecht das in einer pluralen Gesellschaft funktioniert, sehen die Organisatoren und mit ihnen assoziierte Organisationen ja schon im Kleinen: Basisdemokratie kann zermürben und ist auch kein Allheilmittel, und zwischen Ökofleisch, Ökovegetarisch und Vegan ist schon ein ganz schönes Spektrum, und wer maßt sich an, hier das einzig richtige Maß zu definieren? Dies nur als Beispiele. Zum Teil scheint mir da ein unterschwelliger Glaube an das gute des Kollektivismus vorzuherrschen, was auch in einen naiven Staats- und Gemeinschaftsglauben führen kann und dies in Teilen der Wachstumsgegner auch schon tut. Für eine Welt mit weniger "Wachstumszwang" zu streiten halte ich für vollkommen notwendig und daran beteilige ich mir gern selbst, aber ich lehne die Teile der Bewegung ab, die, wie Christians Kommentar etwas überspitzt beschreibt, das Heil für alle im gemeinsamen Gärtnern erkannt hat.

  • Was ich bei der Décroissance-Bewegung nicht verstehe ist, dass sie behaupten, unheimlich offen zu sein für den genauen Weg, der beschritten werden soll, aber de facto sind die Projekte eigentlich immer Zurück-zur-Natur-Initiativen, wo jeder sein eigenes Gemüse anbaut.

     

    Effizienz ist eben nicht nur ein Mantra des Kapitalismus, sondern auch ein Weg, wie man Milliarden Menschen mit minimaler Beeinflussung der Umwelt ernähren kann.

     

    Und technologischer Fortschritt ist eine Notwendigkeit, wenn wir unsere Lebenserwartung und zumindest zentrale Teile unseres Lebensstandards auch ohne Öl erhalten wollen. Ich sage nicht, dass wir nicht lernen müssen, uns den Exzess, in dem wir momentan leben, abzugewöhnen. Aber die meisten Menschen werden wohl lieber in einer überkuppelten Küstenstadt leben und Sauerstoff aus Dosen atmen als auf Rettungshubschrauber zu verzichten und zur Geruchsbekämpfung Laub in ihre Toiletten zu schmeißen.

     

    Schließlich macht mich das diffus-religöse Gerede vom "spirituellen Wachstum", das ich hier nicht zum ersten Mal in Verbindung mit Décroissance höre, sehr misstrauisch, wes New-Age-Geistes Kind diese Bewegung ist.

  • nun, ich denke wir haben tatsächlich ein sehr gut ausgefeiltes system, was das ökonomische betrifft. sicherlich ist dies nicht zu unterschätzen !

    Jedoch ist das Menschsein, der Sex , auf der Strecke geblieben. Es ist Strategie des Kapitals, imner noch mehr aus den Leuten herauszuholen.

    Man schreckt seitens gewisser Lobbyisten Kreise nicht davor zurück, uns hier mit einer Welle der sexuellen Repression a la US-Lügenmoral zu kommen- gegen den Willen der breiten Mehrheit.

    Zweck davon soll sein, die energie, die die Menschen für Sex verbrauchen, auch noch für den Profit abzusahnen.

    hier sollten wir diesen Vagabunden klarmachen, daß es auch für das Profitsteigern Grenzen gibt. Daß es andere Dinge gibt im Leben als nur maximalen Profit.

    Denn es ist so, der Mensch lebt nicht vom Brot allein und so manches, was wir glauben, unbedingt haben zu müssen, ist leicht verzichtbar.

    Gleichfalls meine ich daß wir das schon peinliche nachäffen des US-Systems hinterfragen sollten. Die Ökonomie hat den menschen zu dienen und nicht der Kapitalrendite. Raffgier ist kein zukunftsrezept, sondern ein Trieb, der bewußt geschürt wurde. Si8cherlich sollten wir über solche dinge vermehrt debattieren. Das ist der erste schritt zu Änderungen.