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Komödie von Michael HanekeDas Unternehmen Familie

Um einen Clan aus Frankreich kreist „Happy End“ des Regisseurs Michael Haneke. Der Film ist eine bissige Gesellschaftssatire.

Eine schrecklich nette Familie Foto: X-Verleih

Die erste Szene funktioniert auch als Kurzfilm. Starr und minutenlang fixiert die Kamera eine Riesenbaustelle mit gigantischer Grube. In ihrer Tiefenschärfe entwickelt die Einstellung einen unwiderstehlichen Sog. Während der Blick über Betonpfeiler und Stahlträger schweift, tauchen Fragen auf: Was wird hier gebaut, gebaggert, betoniert, was will der Mensch eigentlich noch alles errichten?

Plötzlich kommt es zu einem Erdrutsch, und die am Rand der Grube stehenden Klohäuschen aus blauem Plastik stürzen in die Tiefe. Der Moment entbehrt nicht einer gewissen Komik, doch das Lachen bleibt uns im Halse stecken. Ging da nicht kurz vorher jemand auf die Toilette? Oder wurde jemand unten, auf dem armierten Zementboden, erschlagen?

Da ist er wieder, der Marionettenmeister Michael Haneke, der die Gefühle und Reaktionen seines Publikums so geschickt zu leiten weiß. Manchmal hält er die Fäden locker in der Hand, dann wieder meint man im Kino einen Ruck zu spüren. Jedenfalls kann man gar nicht anders als innezuhalten, hinzuschauen, das Gezeigte und die eigene Reaktion darauf genau zu betrachten.

Kann, darf oder soll vielleicht sogar in Hanekes neuem Film „Happy End“ gelacht werden? Aber ja! Man könnte von einer schwarzen Komödie, von einer besonders bissigen Gesellschaftssatire sprechen. Oder von einem sarkastischen Sittenbild unserer Gegenwart, das von fern an eine US-amerikanische Familienserie der achtziger Jahre erinnert.

Gediegen im Stil

Das Vergnügen beim Schauen von „Dallas“, „Denver-Clan“ oder „Falcon Crest“ bestand ja darin, dass man sich an den verkommenen und neurotischen Familienverhältnissen erfreute, an der Lust, mit der Gemeinheiten verteilt wurden. Vor allem staunte man über die Perfidie, mit der Familienunternehmen oder eben das Unternehmen Familie nach außen verteidigt wurden.

Hanekes Clan heißt Laurent und wohnt in einem großzügigen Anwesen in Calais. Die verschiedenen Handlungsstränge laufen an der prunkvoll gedeckten Tafel im Esszimmer zusammen. Mit wenigen Details skizziert Haneke das bourgeoise Dasein der Familie. In aller Selbstverständlichkeit wird nach der Bediensteten gerufen, der Rotwein in bitte nicht zu großen Schlucken zu sich genommen. Derweil redet man im gepflegten Konversationston mal mehr und mal weniger aneinander vorbei.

Mit fließenden Bewegungen gleitet die Kamera durch Zimmerfluchten, die kein Ende nehmen, in kühler Eleganz

Der Film übernimmt den gediegenen Lebensstil dieser Klasse, führt sie mit ihren eigenen Mitteln vor. Mit fließenden Bewegungen gleitet die Kamera durch Zimmerfluchten, die kein Ende nehmen. Die Mise en Scène fokussiert die kühle Eleganz, in der sich die Laurents eingerichtet haben. Sorgfältig sind die Farben aufeinander abgestimmt, jeder Gegenstand hat seinen Platz – eine Familie stellt sich in ihrem eigenen Dekor aus.

Das großartige Schauspieler­ensemble wiederum verleiht den Stereotypen, derer sich Haneke bedient, ein überraschendes Eigenleben. Am Kopf des Tisches thront der stets gut gekleidete Patriarch Georges, ungebrochen scheint seine Souveränität trotz des gebrechlichen Körpers. Jean-Louis Trintignant lässt uns dennoch spüren, dass seine Figur sich letztlich auf allen Ebenen ihrer Existenz entmachtet fühlt. Deshalb möchte er seinem Leben ein Ende setzen.

Unsichtbare Selbstmordversuche

Seine Suizidversuche entwickeln eine besondere Form des verlangsamten Slapsticks. Nie sind sie zu sehen, man sieht nur das Ergebnis. Nach dem Unterfangen, mit einem Firmenwagen gegen einen Baum zu fahren, ist Georges mit Gipsbein an den Rollstuhl gefesselt. Später wird er Mitmenschen um Hilfe für den Abgang bitten: Seinen perplexen Friseur, eine Gruppe Migranten in der Innenstadt, die eigene Enkelin.

Indessen wird das Bauunternehmen längst von seiner Tochter geführt. Man muss sich anschauen, wie Isabelle Huppert mit der ihr eigenen kurz angebundenen Art diese Geschäftsfrau spielt, vorführt und auch ein bisschen karikiert, ohne selbst zur Karikatur zu werden. Der kapitalistische Überlebensreflex ist Anne Laurent in Fleisch und Blut übergegangen, gerade ist sie dabei, für die Firma ein gigantisches Darlehen aufzunehmen.

Der Film

„Happy End“. Regie: Michael Haneke. Mit Isabelle Huppert, Jean-Louis Trintignant u. a. Frankreich/Deutschland/Österreich 2017, 107 Min.

Der anfängliche Unfall auf der Baustelle kommt also denkbar ungelegen. Mit verschuldet hat ihn ihr nichtsnutziger Sohn Pierre (Franz Rogowski), dessen Rolle des schwarzen Schafs auch auf seinen Körper übergegangen ist. Angeschlagen und mutlos wirken seine Bewegungen. Man lacht über die Rücksichtslosigkeit, mit der Anne ihre Überlegenheit gegenüber dem zwei Köpfe größeren Pierre ausspielt, ist aber auch seltsam betroffen.

Weiterhin sitzen bei den Laurents am Abendbrottisch: ­Annes Bruder Thomas, Chefarzt des örtlichen Krankenhauses, seine schrecklich naiv wirkende Frau Anaïs und die pubertierende Eve aus Thomas’ erster Ehe. Manchmal – und dann hat man das Gefühl, dass sie sich dorthin verirrt hat – schaut sich die Kamera auch in der kleinen Anliegerwohnung des aus Tunesien stammenden Hausmeisters um, und damit auch in der Kolonialgeschichte Frankreichs.

Gesellschaft ohne Utopie

Wofür also steht dieser Clan aus Calais, der sein Vermögen wohl beim Bau des großen Tunnels erwirtschaftet hat? Für ein mit sich selbst beschäftigtes Europa? Für eine Gesellschaft, die keine Utopie, keine Vision, kein Ziel hat, jenseits des Selbsterhaltungstriebs? Für unser aller Ignoranz? „Rundherum die Welt und wir mittendrin, blind“, lautet das Motto von „Happy End“.

Man erinnere sich: Rainer Werner Fassbinder warf seinem französischen Kollegen Claude Chabrol einmal vor, dass dieser seine Figuren gleich einem Insektenforscher unter ein Mikroskop legen würde. Doch wenn moralische und ethische Lebens­konstruktionen von einer in sich verbunkerten Schicht und Daseinsform verdrängt werden, macht es durchaus Sinn, sich kreatürliche und instinktive Verhaltensweisen näher anzuschauen.

Eben deshalb spielt der Schauplatz eine weitere Hauptrolle in Hanekes Film. „Happy End“ zeigt ein völlig anderes Bild der Stadt Calais als das von den Nachrichten erzeugte: eine gepflegte, friedliche Ortschaft, durch die ab und an ein Grüppchen Migranten spaziert. Wo ist die von den Medien suggerierte Bedrohung durch den wuchernden „Dschungel“?

Einmal fährt Anne Laurent entlang des endlosen Zauns, hinter dem sich, irgendwo hinter weiteren Zäunen, das Flüchtlingslager befindet. Dabei telefoniert sie mit einem Anwalt, der auch ihr Geliebter ist. Gerade in ihrer Beiläufigkeit hat die Szene etwas Beklemmendes.

Marionettenmeister ­Haneke

Doch wer kann schon Empathie zeigen, wenn er in seiner eigenen Umgebung keine kennt? Lug und Trug bestimmt den Alltag der Laurents. Mit erpresserischem Kalkül wehrt Anne die Schadenersatzansprüche der Familie des bei dem Baustellenunfall getöteten Arbeiters ab. Vom Dasein als Familienvater unbefriedigt, beginnt Thomas mit seiner Geliebten, einer Musikerin, einen Chat über sadomasochistische Begierden. Um eine Feier seiner Mutter zu verderben, schleppt Pierre ein Grüppchen Migranten an, trägt die Rache an der dominanten Mutter auf deren Rücken aus.

In einer Szene ist der Marionettenmeister Michael ­Haneke ganz bei sich. Zumindest der Großvater und die Enkelin scheinen noch ein Bewusstsein für ihre Handlungen zu besitzen. Offen gestehen die beiden einander, was sie sich in ihrem Leben haben zuschulden kommen lassen. In diesem Abgrund hat die schonungslose Ehrlichkeit zwischen zwei Generationen etwas Tröstliches.

Natürlich kann ein Film, der „Happy End“ heißt, kein solches haben. Das letzte, begeisternde Bild ist von beckettscher Absurdität. Leider wird es keine weiteren Folgen der großen Laurent-Saga geben.

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