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Kommunikation vor der EuropawahlLernt unsere Sprache

Kommentar von Simon Bozic

Nicht mal 20 Prozent der Erst­wäh­le­r*in­nen fühlen sich gut informiert. Das liegt nicht an ihnen. Die Politik muss besser mit Menschen reden.

Auch wenn die Inhalte schwer verständlich sind: Es gibt viele Gründe, zu wählen, findet die Gesamtschule Duisburg-Süd Foto: Stefan Arend/imago

M anche Gesetze und Vorhaben haben Namen wie Utopien: Das „Gute-Kita-Gesetz“ etwa oder das „Starke-Familie-Gesetz“. Dieser Kommunikationstrick ist in Deutschland schon seit Längerem en vogue: Er verspricht eine Welt, ohne zu erklären, wie diese entstehen soll. Und er ist noch dazu nicht die Lösung für das eigentliche Problem: generell schlechte Kommunikation über politische Prozesse.

Dieses Problem zeigt sich auf Europaebene in einer Umfrage des F&P Marketing­instituts im Auftrag von Greenpeace. Laut der fühlen sich nur 18 Prozent der Erst­wäh­le­r*in­nen über die Aufgaben des Europaparlaments gut oder sehr gut informiert. Das macht stutzig, sollten Wahlen doch im Schulunterricht thematisiert werden. Zudem gibt es ja auch noch digitale Informationsangebote wie den Wahl-O-Mat.

Haben die Jugendlichen also im Unterricht geschlafen? Sind sie schlicht lesefaul und politikverdrossen? Nein. 67 Prozent der Erst­wäh­le­r*in­nen geben an, bei den anstehenden EU-Wahlen am 9. Juni abstimmen zu wollen. Das zeugt von Politisierung und einem Bewusstsein für Europa. Doch obwohl die EU mit Austauschprogrammen, Interrail-Reisen, gemeinsamer Währung präsent ist im Leben ihrer Bürger*innen: Wie das Ganze auf parlamentarisch-demokratischer Ebene funktioniert, ist offensichtlich weniger bekannt.

Der parteilose EU-Politiker Nico Semsrott sagt in einem taz-Interview, dass niemand (auch er selbst) das System der europäischen Gesetzgebung vollständig verstehe, es gebe eine extrem hohe Anzahl an Spielern und Chaoselemente. Wenn Semsrott nach einer knappen Legislaturperiode im EU-Parlament immer noch überrascht ist, wie kompliziert die EU-Politik abläuft, ist das alarmierend. Denn wie sollen es denn dann die Bür­ge­r*in­nen verstehen?

Alles zu komplex

„Chaoselemente“ und viele Player – das klingt nach Komplexitätsexplosion. Komplexität ist hinsichtlich wichtiger Gesetzgebung angebracht, keine Frage. Die europäische Politik verfehlt nur leider das Grundprinzip der Kommunikation. Es wird viel getextet, verkündet und transkribiert, doch die Botschaft kommt nicht an.

Was dem Europäischen Parlament fehlt, ist Komplexitätsreduktion. Dieser Begriff ist wesentlich von dem deutschen Soziologen Niklas Luhmann entwickelt worden und bezeichnet die Voraussetzung gelingender Kommunikation. Komplexitätsreduktion ist alltäglich erfahrbar, auch wenn wir sie oft nicht immer bewusst mitbekommen.

Nehmen wir die Klimapolitik als Beispiel. Wenn neue Maßnahmen entwickelt werden, wird nicht jedes Mal im Detail erklärt, wie Klima­schäden auf chemischer Ebene ablaufen. Das würde uns vom Wichtigen ablenken: der Maßnahme an sich. Bei der Gesetzgebung handelt es sich im Wesentlichen um die Fragen „Was wird getan?“ und „Was soll erreicht werden?“. Erst diese Reduktion ermöglicht (Anschluss-)Kommunikation und verhindert Reizüberflutung. So abgedroschen es klingt: Die Politik muss von der Bevölkerung verstanden werden.

Es braucht neue Formate

Was ist nun zu tun? Das Europäische Parlament müsste seine öffentliche Kommunikation selbstkritisch hinterfragen und an neuen Formaten arbeiten. Die EU ist ein Präzedenzfall: Sie vereint als demokratisches Parlament eine große Bandbreite von Sprachen und heterogenen Geschichten Europas.

Tatsächlich sprechen wir nicht immer die gleiche Sprache. Hier geht es nicht nur darum, Französisch, Polnisch oder Schwedisch zu sprechen. Die EU besteht nicht nur aus Ländern, sondern aus Unternehmen, NGOs, Gewerkschaften, Vereinen und vor allem: Bürger*innen. Nur wenige von ihnen sind Politikexpert*innen. Um diese Menschen zu erreichen, muss die Politik Komplexitätsreduktion liefern.

Wenn am 9. Juni die Stimmen abgegeben werden, steht viel auf dem Spiel. Wollen wir bei europäischen Entscheidungen in Zukunft mitreden, müssen die EU-Politiker*innen lernen, in diesen unseren Sprachen mit uns zu sprechen. Erst dann ergibt der Stimmgebrauch Sinn.

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4 Kommentare

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  • Komplexreduktion ist ganz sicherlich richtig, nicht nur in der Beschreibung, sondern vielleicht sogar in der bürokratischen Praxis, so wie es Nico Semsrott beschrieben hat.

    Luhmann ist einer meiner Helden.

    Komplexreduktion in der wissenschaftlichen Diskussion ist jedoch der Tod der Wissenschaft. Es ist eben gerade bei komplexen Systemen, bei denen eben gerade NICHT alles bekannt sein kann (wie jeder seriöse Klimaforscher bei der Kausalitätserhebung zugeben wird), nicht richtig, von vorneherein in Disskusionen pauschalisieren zu wollen. Genau damit findet das statt, was eine ernstgemeinte Komplexreduktion vermeiden sollte, auch nach Luhmann: das im Moment als Nebenaspekte wahrgenommene Aspekte ganz untergehen, die sich im Nachhinein als wichtig herausstellen. Beispiel Klima: ich schreibe mir inzwischen die Finger wund, drauf hinzuweisen, daß der Eintrag an Emissionen in die wesentlich klimasensitivere Stratosphäre (im Vgl zu unserer Atm.-Schicht) mglweise viel relevanter sein könnte als alles, was wir hier unten treiben. Und dies geschieht durch... Flugverkehr (!) Selbst Wasserdampf, ist da oben ein potentes Treibhausgas und entsteht bei Kerosinverbrennung.

  • Nicht die Politik muss besser mit Menschen reden sondern die Medien müssen die politischen Inhalte stärker priorisieren. Horserace Berichterstattung dagegen muss weniger werden, da können aber die Politiker nichts für.

    • @SPD-Versteher:

      Es ist nicht Aufgabe der Medien Sinn in politische Unverständlichkeit hinein zu interpretieren. für die Kommunikation mit den Wählern sind die Parteien zuständig.

  • Vielleicht ist ein Problem, das junge WählerInnen umtreibt, der überproportional starke Einfluss von wenigen nationalen Regierungen auf die EU-Politik oder vielleicht auch die Blockade von sinnvollen Lösungen durch einzelne Staaten, die klandestine Züge, ggfs. sogar erhebliche Anklänge an Nötigung aufweisen kann.



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