Kommunale Wohnungsbauunternehmen: Hohe Mieten für das Gemeinwohl
Ab März müssen Stadt-und-Land-Mieter:innen deutlich mehr zahlen. Die Landeseigenen schöpfen die Grenzen des rechtlich Möglichen immer weiter aus.
Berlin taz Jakob Leser* blickt immer noch ungläubig auf den Brief, den er Anfang des Jahres von seiner Vermieterin bekommen hat: „Die Stadt und Land fordert uns auf, ab 1. März mal eben 300 Euro mehr für unsere Wohnung zu bezahlen“, berichtet der Mieter, der in einer WG im Rollberg Kiez in Neukölln wohnt und anonym bleiben möchte. Für Leser ist die Forderung nicht nachvollziehbar: „Die landeseigenen Wohnungsunternehmen haben eine soziale Verantwortung gegenüber den Mietern, doch davon ist bei Stadt und Land wenig zu sehen“, kritisierte der 38-Jährige, der seit 2020 Mieter bei dem Unternehmen ist.
Laut einer Sprecherin von Stadt und Land sind neben der Wohnung von Leser 27.500 weitere Haushalte von den Mieterhöhungen in diesem Jahr betroffen. Der durchschnittliche Anstieg liegt bei 38 Cent pro Quadratmeter. Grundlage für die Erhöhungen ist die 2023 geschlossene Kooperationsvereinbarung zwischen den landeseigenen Wohnungsunternehmen und dem Berliner Senat.
Demnach sind jährliche Mieterhöhungen von bis zu durchschnittlich 2,9 Prozent im gesamten Wohnungsbestand der jeweiligen Gesellschaft möglich. Das bedeutet, im Einzelfall dürfte die Erhöhung deutlich höher ausfallen. Das sogenannte „Wohnungsbündnis“ für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen, dem die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften angehören, hat Mieterhöhungen jedoch auf maximal elf Prozent pro Haushalt in drei Jahren begrenzt. Angaben dazu, um wie viel Prozent die Mieten bei Stadt und Land steigen werden, machte die Wohnungsbaugesellschaft nicht.
Die bevorstehende Erhöhungswelle ist nach 2024 bereits die zweite innerhalb eines Jahres. Im ersten Halbjahr 2024 hatte die Gesellschaft bereits die Mieten für Wohnungen mit Wohnberechtigungsschein (WBS) angehoben. Damals waren 28.900 Wohneinheiten betroffen.
Erhöhungen seien rechtmäßig
Die nun bevorstehende Mieterhöhung betrifft auch Wohnungen aus dem restlichen Bestand. Gemeinsam mit Betroffenen und Nachbarn hat Jakob Leser am vergangenen Donnerstag eine Kundgebung vor dem Büro des Wohnungsunternehmens in Neukölln organisiert, zu der rund 80 Menschen kamen: „Die Leute sind verunsichert, weil sie nicht wissen, wie lange sie sich ihre Wohnung noch leisten können. Und sie sind wütend, weil ihre Sorgen beim Vermieter auf taube Ohren stoßen“, sagt Leser.
Als Reaktion auf die Kundgebung hätten Mitarbeiter die Jalousien am Firmengebäude heruntergezogen; eine Kommunikation zwischen Mietern und der Gesellschaft habe nicht stattgefunden, berichtet er weiter.
Stadt und Land erklärte gegenüber der taz, dass die Erhöhungen entsprechend geltender Regelungen erfolgen. Neben der Kappung bei elf Prozent greifen für Wohnflächen bis 125 Quadratmeter weitere Begrenzungen, so die Sprecherin des Unternehmens. Zudem gelte das sogenannte Leistbarkeitsversprechen, an das die landeseigenen Wohnungsunternehmen gebunden sind. Danach darf die Belastung des jeweiligen Haushalts durch die Nettokaltmiete nicht mehr als 27 Prozent des Haushaltseinkommens betragen.
Voraussetzung ist, dass die für einen Wohnberechtigungsschein maßgeblichen Einkommensgrenzen und die im Berliner Wohnraumversorgungsgesetz definierten Wohnflächengrenzen nicht überschritten werden. In diesem Fall können Haushalte mit ihrer Wohnungsbaugesellschaft eine individuelle Lösung verhandeln. Wie viele Mieterinnen und Mieter tatsächlich in diese Regelung fallen, gab das Unternehmen nicht an.
120.000 Haushalte betroffen
Bereits zum Jahreswechsel haben die ebenfalls landeseigenen Howoge, Degewo, Gewobag, Gesobau und WBM die im Vorjahr angekündigten Mieterhöhungen umgesetzt. Mit den nun folgenden Erhöhungen bei Stadt und Land sind rund 120.000 Berliner Haushalte in landeseigenen Wohneinheiten von Mieterhöhungen betroffen.
Laut einer Antwort des Senats auf eine Anfrage des Linksfraktionsabgeordneten Niklas Schenker betragen die Erhöhungen zwischen 23,70 Euro und 45 Euro pro Monat. Am geringsten fällt die durchschnittliche Erhöhung bei Stadt und Land aus. Dennoch bleiben die Mieten dort auch nach der Anpassung die höchsten unter den insgesamt sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und steigen auf durchschnittlich 7,20 Euro nettokalt pro Quadratmeter.
Zum Vergleich: Bei der Gewobag und der Howoge erhöht sich die durchschnittliche Nettokaltmiete auf je 6,92 Euro pro Quadratmeter und liegt damit am unteren Ende.
Die Unternehmen begründen die Anpassungen mit gestiegenen Kosten für Sanierungen und Neubauten, aber auch mit den Auswirkungen der Inflation und steigender Zinsen. Während des rot-rot-grünen Senats unterlagen die Mieten der sechs landeseigenen Gesellschaften strengere Begrenzung von maximal 4 Prozent Mietsteigerung in zwei Jahren pro Haushalt.
Neues Moratorium gefordert
Ab Dezember 2022 galt sogar ein einjähriges Mietenmoratorium, das jegliche Erhöhung stoppte. Doch die unter der schwarz-roten Koalition getroffene Vereinbarung von 2023 lockerte diese Beschränkungen. Bereits im Vorjahr haben die meisten der Gesellschaften daher von dem neuen Spielraum Gebrauch gemacht.
Für viele Mieter:innen bleibt die Sorge, wie sie die steigenden Wohnkosten in einer ohnehin teuren Stadt wie Berlin in Zukunft noch stemmen sollen. Die Regelung zwischen Senat und den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ermöglicht den Unternehmen vorerst bis zum 31. Dezember 2027, Mietanpassungen vorzunehmen.
Jakob Leser aus dem Rollberg Kiez sieht den Berliner Senat in der Pflicht, ein Moratorium für weitere Erhöhungen zu verhängen. Einige könnten sich die jetzigen Mehrkosten vielleicht noch leisten, sagt er, „Aber was, wenn das so weitergeht?“
Feststeht: Die Debatte über die soziale Verantwortung der landeseigenen Wohnungsunternehmen dürfte anhalten.
* Name geändert
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit