Kommentare Plastiktüten: Das kommt gar nicht in den Jutebeutel
Bundesregierung und Handel vereinbaren Gebühren für Plastiktüten. Aber nicht für alle. Sollte das Zeug nicht verboten werden? Vier Meinungen.
Bei Junkies hilft nur Härte
D ie Kunststoffplage müssen wir schon selbst beenden. Denn Ideonella sakaiensism verdaut leider zu langsam. Sonst wäre es perfekt, um uns vom Plastikmüll zu befreien. Das im März im Fachblatt Science beschriebene Bakterium ist das einzig bekannte, das sich von Kunststoff ernährt, genau genommen von PET. Wenn das Plastikfressen unter Einzellern Schule machte, die würden unsere Zivilisation glatt kompostieren.
Aber darauf warten reicht nicht bei 100 Milliarden Plastiktüten jährlich in der EU, bei einer Tonne Plastikmüll pro Sekunde in den Weltmeeren und verseuchten Nahrungsketten. Wir Konsumjunkies werden uns von ein paar Cent für Plastiktüten kaum beeindrucken lassen: also einfach verbieten. Oder richtig teuer machen. Fünf Euro pro Stück, für die Renaturierung der Meere.
Minimum fünf Cent will der Handel verlangen und verkauft das als Umweltschutz: Glückwunsch zum Greenwashing-Coup. Die Tüten sind Symbol und Symptom eines Zeitalters des Überflusses. Zeit, uns davon zu befreien.
INGO ARZT
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Meine Tüte gehört mir!
Die Plastetüte ist ein Kulturgut. Mit ihr können Einkäufe bequem und sauber transportiert werden, und danach wird sie mehrfach benutzt: etwa als Schutzhülle für müffelnde Sportschuhe oder nasse Badesachen. Im Unterschied zu anderen Ländern gibt es in Deutschland kein Müllproblem durch Plastetüten; sie werden ganz überwiegend wiederverwertet oder verbrannt. Ein Verbot ist daher unnötig.
Auch bei uns gibt es Müll in der Landschaft: Einwegkaffeebecher und illegal entsorgte Haus- und Gewerbeabfälle. Das gilt es einzudämmen.
Bleibt die Ressourcenverschwendung. Ja, für die Tüten wird Erdöl verwendet – aber verschwindend wenig. Wer als Verbraucher Ressourcen sparen will, sollte nicht zuerst auf Tüten verzichten, sondern maßvoll konsumieren: Es müssen nicht immer die neuesten Klamotten oder das modernste Smartphone sein, auch muss niemand zu jeder Jahreszeit mit vollen Händen frisches Obst und Gemüse eintüten. In Papier oder Kunststoff.
RICHARD ROTHER
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In der Zone ging's auch ohne
Das ist ein Bekenntnis: Ich bin eine gebeutelte Ostfrau. Wenn ich früher in der DDR einkaufen ging, dann immer nur mit Stoffbeuteln. Manche waren einfarbig, andere hatten Aufdrucke: „Veterinärhygieneinspektion Pankow“, „BSG Empor Brandenburger Tor“, so was.
Niemals aber zog ich mit Plastetüte los. Wir sagten Plaste und nicht Plastik. Den Stoffbeutel hatte ich immer dabei – für Überraschungskäufe. Apfelsinen, Bananen, Sie wissen schon.
Es ist nicht so, dass wir im Osten keine Plastetüten kannten. Wir hatten auch welche. Die waren aus dem Westen, schön bunt, mit einer Peter-Stuyvesant-Reklame oder einer für Mustang-Jeans.
In diese Tüten packten wir Bücher, Hefter und Poster aus dem Intershop. Aber never ever so was Schnödes wie Brot, Butter, Milch. Es könnten ja Löcher in den Luxusartikel kommen.
Was soll ich sagen? Ich habe überlebt. Ich bin nicht verhungert und nicht verdurstet. Auch nicht traumatisiert. Ein Leben ohne Plastetüte ist möglich.
SIMONE SCHMOLLACK
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Von Ruanda lernen!
Globaler Vorreiter beim Kampf gegen die Plastiktüte ist Ruanda. Damit das kleine Land im Herzen Afrikas nicht zumüllt, verhängte die Regierung 2008 ein Totalverbot – und wenn in Ruanda etwas verboten ist, dann richtig. Beim Anflug auf Kigali warnen Lautsprecherdurchsagen, dass Plastiktüten bei der Einreise konfisziert werden; und bei der Anfahrt über Land ist bewundernswert, mit welcher Geschicklichkeit Ruandas Grenzbeamte beim Blick ins Gepäck sofort das winzigste Stück Plastik entdecken und einkassieren.
Kein Ruander kommt auf die Idee, das Verbot zu missachten. Erstens gibt es überhaupt keine Plastiktüten mehr, sondern nur noch Papierbeutel. Und zweitens steht auf Verwendung von Plastiktüten eine Geldstrafe von 100.000 ruandischen Franc (rund 120 Euro), ein halbes durchschnittliches Monatsgehalt, bei Wiederholungstätern das Doppelte. Ruandas saubere Straßen werden in ganz Afrika bewundert. Die ästhetische Wirkung des Verbots ist wichtiger als die ökologische.
DOMINIC JOHNSON
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