Kommentar: Bioerdbeeren dürfen fliegen
Kein Biosiegel für Ökoprodukte, die mit dem Flugzeug transportiert werden? Das würde die Biolandwirtschaft im Süden ruinieren.
K ein Biosiegel für Lebensmittel, die per Flugzeug transportiert worden sind - dieser Vorschlag aus Großbritannien klingt schlüssig: Wenn schon öko, dann richtig. Doch bloß, weil manches - nach Ökokriterien angebautes - Obst oder Gemüse kein Siegel mehr bekommt, heißt das noch lange nicht, dass sich das auch positiv auf die CO2-Bilanz auswirkt. Verbraucher, die das ganze Jahr über Erdbeeren, Spargel und Tomaten essen möchten, werden das auch weiterhin tun. Dann kaufen sie eben keine ausgewiesene Ökoware mehr.
Produkte ohne Biosiegel erzielen niedrigere Preise im Supermarkt. Das könnte für den Anbau jener Ökoware, die bislang per Flugzeug transportiert wurde, das Aus bedeuten. Viele ProduzentInnen im Süden halten sich an Ökorichtlinien, weil sie für so erzeugte Produkte mehr Geld bekommen. Nicht nur sie profitieren, sondern auch die Umwelt vor Ort. Böden, die nicht intensiv bewirtschaftet werden, binden mehr Kohlendioxid. Ökolandwirtschaft verzichtet auf den hohen Energieaufwand, der für die Herstellung von Dünger und Schädlingsbekämpfungsmitteln benötigt wird. Wegen der ökologischen Transportkosten Biolandwirtschaft im Süden zu ruinieren, fördert also weder den Schutz der Umwelt, noch ist es im Sinne von Verbrauchern, die bewusst konsumieren möchten. Sie könnten selbst entscheiden, ob sie herangeflogenes Gemüse essen wollen, wenn neben dem Ökosiegel etwa ein Flugzeugbutton auf der Ware klebte - die Kette "Marks and Spencer" macht vor, dass das geht.
Anstatt also über die Abschaffung des Siegels nachzudenken, sollten besser Konsequenzen, die Handel mit sich bringt, thematisiert werden. Etwa die Frage nach der Nahrungssouveränität des Südens: Was bedeutet es zum Beispiel für die Menschen in Guatemala, dass sie Brokkoli anbauen, der gar nicht auf ihrer Speisekarte steht? Unternehmer bauen das Gemüse ausschließlich für Esser in den USA und Europa an. Ökolebensmitteln, die das Flugzeug nach Europa gebracht hat, das Siegel zu entziehen, hieße, Fragen zu verdrängen - aus den Augen, aus dem Sinn. CHRISTINE ZEINER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt