Kommentar: Zeigt her eure Kinder!
Eltern zu bestrafen, wenn sie ihr Kind vernachlässigen oder misshandeln, hilft dem Kind nicht. Vielmehr müssen Eltern - und Kinder - im Vorfeld unterstützt werden.
Immer wenn mal wieder ein Kind aus einem dreckstarrenden Bettchen geholt, vor dem Verhungern gerettet wird oder kaputtgeschüttelt auf der Intensivstation liegt, ist die Bestürzung groß. Dann werden die unmenschlichen Eltern und das unfähige Jugendamt verdammt und wird ihre Bestrafung gefordert. Das sind richtige und menschliche Reaktionen, aber sie ändern wenig. Denn die Eltern zu bestrafen rettet nicht das Kind. Wichtiger ist es, Eltern im Vorfeld zu unterstützen.
Existenzielle Krisen entstehen selten aus dem Nichts, sie entwickeln sich stetig und wahrnehmbar. Wenn die 17-Jährige mit dem Säugling, zwei Doggen und ihrem neuen Freund in einer Zweiraumwohung von Hartz IV lebt, muss das kein Zeichen für eine gestörte Mutter-Kind-Beziehung sein. Wenn sie sich jedoch mehr um die Hunde als um das Kind kümmert, dann ist das ganz sicher kein gutes Signal. Hier können speziell ausgebildete Hebammen der Mutter in den Monaten vor und nach der Geburt zur Seite stehen. Solche gibt es bereits und zwar als erfolgreiches Modellprojekt. Das ist das Problem. Solange sie nur modellhaft und nicht flächendeckend eingesetzt werden, können sie nur die krassesten Fälle begleiten. Wenn jedoch alle Frauen, die ihr erstes Kind erwarten, Besuch von einer Hebamme bekämen, dann hätten die Mitarbeiter der Jugendämter weniger zu tun, und keine Frau müsste sich kontrolliert fühlen. Das wäre im Übrigen auch keine staatliche Überwachung der Eltern, sondern vielmehr ein Recht des Kindes.
Doch solche Hilfen kosten Geld, und davon hat Berlin zu wenig. Außerdem sammeln sich gerade hier die Opfer einer verfehlten Bundessozialpolitik. Aber wenn Berlin nicht nur die Schäden reparieren will, muss der Senat mehr Geld in Prävention stecken. Die Aufstockung der Hilfen zur Erziehung um 30 Millionen Euro ist ein erster Schritt, auch die Kinderschutzhotline ist wichtig. Vielleicht hört die Nachbarin jetzt genauer hin, ob der Kleine von nebenan nur plärrt oder schrill schreit. Doch wenn das Jugendamt dann eingreift, ist es eigentlich schon zu spät.
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