Kommentar: Ver.di muss für alle sprechen
Dass viele Berliner wenig verdienen, wirkt sich auch auf den BVG-Streik aus. Es ensteht eine Neiddebatte auf unterstem Niveau.
Viele Berliner Arbeitnehmer verdienen schlecht. Eine Besserung ist nicht in Sicht, denn die Verbraucherpreise steigen stärker als die Löhne. Das heißt: Die vielen Geringverdiener in der Stadt können sich mit dem erarbeiteten Geld immer weniger kaufen. Diese Misere wirkt sich auch auf den BVG-Streik aus: Friseure, Sicherheitsleute, Putzfrauen, die für ihre Leistung schlecht bezahlt werden, haben oft kein Verständnis für streikende Busfahrer, die sich mit einem Bruttoeinkommen von rund 2.800 Euro nicht zufriedengeben.
So entsteht eine Neiddebatte auf unterstem Niveau. Nach dem Motto: Wenn ich schlecht verdiene, warum sollte es anderen besser gehen? Diese Reaktion ist bedauerlich, weil kontraproduktiv. Wer sich an den niedrigsten Löhnen orientiert, zieht auch die anderen nach unten. Damit ist keinem geholfen.
Die Missgunst hat sich Ver.di auch selbst zuzuschreiben. Die Gewerkschaft hat den Berlinern die Fortbewegungsmittel genommen, es aber weitgehend versäumt, mit Informationen und Aufklärung um Verständnis für ihr Anliegen zu werben.
Geht der Streik in eine neue Runde, muss sich Ver.di viel stärker um die eigene Außenwirkung kümmern. Die Gewerkschaft sollte versuchen, sich zum Sprachrohr aller Unzufriedenen zu machen. Sie muss den Menschen vermitteln, dass ein guter Abschluss bei der BVG Symbolcharakter haben kann. Je mehr Menschen vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren, desto größer wird der Druck, sich auch um die Abgehängten zu kümmern - beispielsweise in Form eines allgemeinen Mindestlohns. Die Stimmung kann Ver.di nur zu ihren Gunsten wenden, wenn sie die Leute mitnimmt. Und sie nicht einfach an der Haltestelle stehen lässt.
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