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KommentarFragwürdige Tugenden

■ Warum öffentliche Gelöbnisse in der falschen Tradition stehen

Braucht die demokratische Republik respektierte Symbole und Rituale? Zweifellos. Fragt sich nur, welche. Der Fahneneid beispielsweise steht in einer vordemokratischen Tradition, gehört einer Gesellschaftsordnung an, die auf Waffengefolgschaft gegenüber dem Fürsten beruhte. Darin unterscheidet er sich vom Bürgereid, durch den sich der neue Stadtbürger zu den Rechten und Pflichten seines künftigen Gemeinwesens bekannte. Die Vereinigten Staaten kennen beide Eide. Aber der Fahneneid dort wird auf die Verfassung geschworen und steht unter dem Vorbehalt der Grundrechte, wie auch die Achtung vor dem Symbol Fahne selbst. Schließlich hat der Oberste Gerichtshof der USA entschieden, daß, wer das Sternenbanner aus politischen Motiven verbrennt, unter dem Schutz des Grundrechts auf Meinungsfreiheit handelt.

In der Bundesrepublik gibt es keinen Eid mehr, sondern ein feierliches Gelöbnis. Es ist zwar erfreulich kurz, enthält aber weiterhin ambivalente Formulierungen: „der Bundesrepublik treu dienen“ und „Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer verteidigen“. Warum nicht einfach „Recht und Freiheit verteidigen“ – mithin universelle Werte? Die Formulierung des Gelöbnisses hingegen enthält eine Aufforderung, die ohne Verrenkung im völkisch- kollektiven Sinn interpretiert werden kann. Und warum „Treue“ und „Tapferkeit“? In diesem Zusammenhang fragwürdige Tugenden.

Über die öffentlichen Gelöbnisse ist viel gestritten worden, und das mit Recht. Eine wirklich gute Idee hatten eine Reihe SPDler, die vorschlugen, das Gelöbnis für die Berliner Rekruten an der Gedenkstätte Berlin-Plötzensee abzuhalten. Denn kein Ort steht so sehr für das Drama des Fahneneides, der von deutschen Offizieren einem verbrecherischen Regime erst geleistet und dann – unter unendlichen Skrupeln – aufgekündigt wurde. Das hieße tatsächlich das Gelöbnis „neu erfinden“, es in einen demokratischen Verstandes- und Gemütszusammenhang einordnen. Hingegen sollte Ortwin Runde, Bürgermeister Hamburgs, seinen Vorschlag schnell vergessen, die Gelöbnisfeier auf dem Terrain des KZ Neuengamme abzuhalten. Was von diesem KZ übrig blieb, ist für das Eingedenken bestimmt. Und kein Ort der Auseinandersetzung über die Mindestanforderungen, die wir an demokratische Symbole und Rituale richten. Christian Semler

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