Kommentar: Bayerischer Sonderweg
■ Die anti-ostdeutsche Polemik der CSU zielt auf Ensolidarisierung
„Man wird ja wohl noch seine Bedenken äußern dürfen“, gab Edmund Stoiber vorgestern Herrn Bresser zu bedenken, als dieser ihn in der Sendung „Was nun, XY?“ auf diverse CSU-Äußerungen zu den Themen „Neo-Kommunisten“ d.h. PDSler und „Neo-Deutsche“ d.h. Nutznießer der doppelten Staatsbürgerschaft ansprach. Nichts läge ihm, Stoiber, ferner, als die Ausländer-Integration zu behindern oder gar erpresserische Drohungen in Richtung der PDS/SPD-regierten Länder auszustoßen. Vielmehr gelte es, den politischen Entscheidungsprozeß in Sachen Staatsbürgerrecht wie auch hinsichtlich der künftigen föderalen Struktur durch eine gesellschaftliche Diskussion zu unterfüttern. Dem und nichts anderem werde auch die Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staaatsbürgerschaft dienen.
Alles nur ein Beitrag zur Hebung der Streitkultur? Rudert Stoiber kräftig zurück? Können wir als periodisch zum Jahresanfang wiederkehrende, landesübliche Rhetorik abhaken, was in den letzten Tagen aus der bayerischen Staatskanzlei und aus noch tieferen Tiefen Bayerns an unser Ohr drang? Nicht ganz. Wer, wie Stoiber, erklärt, für die Finanzierung „staatssozialistischer Experimente“ im Osten stehe Bayern nicht zur Verfügung, der bringt nicht nur die Chancen der nord-ostdeutschen CDU auf Null – was keine Katastrophe wäre. Er mauert vor allem mit an den neuen Befestigungsanlagen der innerdeutschen Grenze. Er spaltet. Und er zeigt uns, welchen Wert die Beteuerungen haben, mit dem Kampf gegen die doppelte Staatsbürgerschaft wolle man einer innerstaatlichen Gettoisierung vorbeugen.
Seit sich Stoibers Alleinherrschaft im Partei-Staat Bayern abzeichnet, treten die Konturen eines bayerischen Sonderwegs deutlich zu Tage. Dabei läßt sich der materielle Kern aller CSU-Vorschläge zur Neubestimmung des Verhältnisses von Bund und Ländern in einem Wort zusammenfassen: Entsolidarisierung.
Es wäre ebenso falsch wie leichtfertig, Stoibers Angriff auf die Grundlagen sozialer Integration in Deutschland unter quasi ethnologischen Gesichtspunkten zu betrachten – als Ausdruck einer pittoresken, farbenfrohen Haltung voller praller Lebenslust. Dafür fügen sich die Projekte des eisigen Bürokraten Stoiber zu paßgerecht ein in die politische Maxime „Jeder sei sich selbst der Nächste“. Und die ist bekanntlich nicht bayerischen Ursprungs. Christian Semler Bericht Seite 6
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