Kommentar: Sicherheit für alle!
■ Das Massaker im Kosovo und die Glaubwürdigkeit der Nato
Als Rache kann man den brutalen Mord an 24 unbewaffneten serbischen Bauern im Kosovo nicht bezeichnen. Und die sich allerorts in der Provinz häufenden Brandstiftungen und Plünderungen nicht albanischen Eigentums auch nicht. Denn die Opfer – Nicht-Albaner, die trotz des verlorenen Krieges geblieben sind – hatten sicher keinen Anteil an der zehnjährigen Diktatur Belgrads. Die zahlreichen Übergriffe auf Angehörige der nationalen Minderheiten seit Ende des Krieges sind vielmehr die üble Folge einer zehnjährigen Politik, die keine Menschen, sondern nur Völker kennt.
Um seinen Anspruch auf die Macht in Belgrad zu begründen, hatte Slobodan Milosevic seit den späten achtziger Jahren voll auf die ethnische Karte gesetzt. Den Menschen in Jugoslawien wurde beigebracht, alles – von den wirtschaftlichen Problemen des Landes bis hin zu ihrem ganz privaten Leben – aus einem völkischen Blickwinkel heraus zu betrachten. Inflation, politisches Chaos, Krieg oder Ehekrise – an allem waren immer die jeweils „anderen“ schuld.
Die albanischen Täter von heute haben diese – ethnische – Sicht der Dinge von ihren ehemaligen serbischen Peinigern übernommen. Was im Kosovo derzeit stattfindet, ist ein kollektives Umdrehen des Spießes durch bestimmte Angehörige der bisher unterdrückten Ethnie. Und wie bereits zu Zeiten der Herrschaft Milosevic' wird sich vieles, was von weitem wie eine menschlich doch irgendwie verständliche Vergeltung für individuell ertragenes Leid aussehen mag, bei näherer Betrachtung eher als billige kriminelle Aktivität entpuppen denn als Rache.
Trotz KFOR-Präsenz beherrscht das ethnische Prinzip – das Milosevic in zehn Jahren gezielt zum einzigen Politikmodell in Jugoslawien ausgebaut hat und über das er sich seitdem an der Macht hält – noch immer die Szene im Kosovo. Nur das diesmal die andere, albanischen Ethnie die Täter, und die serbische die Opfer stellt. Diese Situation gefährdet die Glaubwürdigkeit der Nato, die schließlich einen Krieg geführt hat, um eine ethno-politische Maßnahme, die Säuberung des Kosovo von Albanern, zu verhindern.
Wenn es den KFOR-Soldaten im Kosovo jetzt nicht gelingt, die Sicherheit aller BürgerInnen sicherzustellen, dann wird man nicht umhinkommen einzugestehen, daß das Bündnis an seinem eigenen Anspruch gescheitert ist. Rüdiger Rossig
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